Macht-Wechsel

Sportlicher Krisenmanager: Kanadas neuer Premier Mark Carney

22.04.2025

Ehemaliger Zentralbankchef soll nach Trudeaus Abtritt Liberale an der Macht halten. Er ist ein über die Parteigrenzen hinweg geschätzter Experte, Marathonläufer und Eishockeyspieler 

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Mit einem Wechsel in der Overtime haben sich Kanadas Liberale inmitten eines Handelskriegs mit den USA und angesichts desaströser Umfragewerte neu aufgestellt. Mark Carney trat als Feuerwehrmann das Erbe des immer unbeliebter werdenden Premiers Justin Trudeau an. Dass der Ex-Zentralbanker als belastbarer Krisenmanager gilt, spricht für ihn. Denn nicht nur die US-Regierung, sondern auch die anhaltende Wohnkrise und die Teuerung machen Kanada vor der Wahl zu schaffen.

Kanada werde "niemals, in keiner Weise, Form oder Gestalt, Teil der Vereinigten Staaten sein", sagte Carney nach seiner Vereidigung. Im Handelskrieg will er einen Kurs des entschlossenen Widerstands fahren. Einer Umfrage des Senders "CTV News" zufolge glauben 40 Prozent der Kanadier, dass Carney der beste Politiker für Verhandlungen mit Trump wäre - deutlich mehr als die 26 Prozent Zuspruch für Oppositionsführer Pierre Poilievre. Diesen Eindruck bestätigen auch die Umfragewerte der Liberalen, die seit Trudeaus Rücktritt durch die Decke gehen. Dem über die Parteigrenzen geschätzten Carney wird reichlich Erfahrung im Krisenmanagement nachgesagt.

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Krisenmanager als Zentralbankchef während Finanzkrise

Carney wurde 1965 in einer Kleinstadt im dünn besiedelten Nordwesten Kanadas geboren. In Harvard und Oxford studierte er Ökonomie, bevor er insgesamt 13 Jahre lang für die Investmentbank Goldman Sachs tätig war. Nach seinem Abschied aus der Privatwirtschaft übernahm Carney 2008 inmitten der Weltfinanzkrise die Leitung der kanadischen Zentralbank. Dass Kanada die globalen Wirtschaftsfolgen damals vergleichsweise gut überstand, wird auch ihm zugeschrieben. Zwischen 2013 und 2020 war Carney während der turbulenten Brexit-Phase als erster Nicht-Brite Zentralbankchef in Großbritannien. Danach war der Vater von vier Töchtern bis Jänner UNO-Sondergesandter für Klimaschutz.

Carneys politisches Potenzial war niemandem im 40-Millionen-Einwohner-Land verborgen geblieben. Die Liberale Partei soll insgesamt über ein Jahrzehnt lang immer wieder um den 60-Jährigen geworben haben. Laut eigener Aussage soll Carney 2012 auch Trudeaus Vorgänger, der konservative Premier Stephen Harper (2006-2015), das Amt des Finanzministers angeboten haben. Er habe den direkten Wechsel von der Spitze der Zentralbank in die Politik jedoch als unredlich empfunden. Da Carney vor seiner Wahl zum Parteichef noch kein politisches Amt innehatte, hat er auch keinen Sitz im Unterhaus.

 

Carney sucht Distanz zu Vorgänger Justin Trudeau

"Ich bin nicht der übliche Verdächtige, wenn es um Politik geht, aber dies ist nicht die Zeit für gewöhnliche Politik", sagte Carney auf seine mangelnde Erfahrung in der Spitzenpolitik angesprochen. Der Liberale versprach Steuererleichterungen für die Mittelschicht und den Abbau bürokratischer Hürden. Im Wahlkampf schrieb er sich auch eine Begrenzung der Einwanderung auf die Fahnen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und die bestehende Wohnkrise nicht zu verschärfen. Um sich von Trudeau abzugrenzen, schaffte Carney in seinen ersten Amtstagen die unbeliebte CO2-Steuer ab, auf die sich die konservative Opposition in ihrem Dauerwahlkampf jahrelang eingeschossen hatte.

Dass Carneys erste Auslandsreise als Premier ihn nach Frankreich und nicht in die USA führte, wurde in der EU als ein starkes Zeichen der Annäherung gesehen. Traditionell führt der erste Besuch eines neuen Regierungschefs nach Washington. Carney plädierte wiederholt für eine engere Zusammenarbeit mit Europa und Asien, um die Handelsabhängigkeit von den USA zu verringern. Die alten Wirtschafts- und Sicherheitsbeziehungen zu den USA seien "Geschichte", unterstrich der Premier.

Ehemaliger Eishockeyspieler und Marathonläufer

Vorgehalten wird dem Harvard- und Oxfordabsolventen, er sei zu weit weg von der Lebensrealität vieler seiner Landsleute. Für viel Aufsehen sorgte auch seine Weigerung, an einer französischsprachigen TV-Debatte in Quebec teilzunehmen - als einziger Spitzenkandidat. Carneys Französisch, in Kanada zweite Amtssprache, sei nicht gut genug für einen Premier, heißt es von Kritikern. Das ist bedeutend, denn rund jeder fünfte Kanadier spricht Französisch als Muttersprache.

Um diesem Image entgegenzuwirken, gestaltete Carney seine Auftritte in sozialen Medien auffällig zweisprachig. Im Netz stellt der Liberale seine sportliche Seite in den Vordergrund: Etwa, dass der 60-Jährige gerne Marathons läuft, oder seine Vergangenheit im Eishockeysport. In der Highschool und im College war Carney Torhüter bei seinen Schulteams, bekam sogar ein Stipendium. Ihm muss klar sein, dass er auch nach seiner Einwechslung als Premier kurz vor Spielende wenig Gegentore zulassen darf.

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