"Was in mir lebt"
Diese Fotokünstlerin setzt ein starkes Zeichen gegen Gewalt an Frauen
23.11.2025Mit ihren fotografischen Werken nimmt uns Evelyn Lynam Ruiz ab 25. November auf eine Reise der Heilung mit. Mit „Was in mir lebt“ erzählt sie die Geschichten von Frauen, die Gewalt erlebten.
Ein fotografisches Projekt über Resilienz, Identität und die Kraft der Selbstermächtigung“ wollte die gebürtige Chilenin, die seit 13 Jahren in Österreich als Fotokünstlerin arbeitet, schaffen. Das Ergebnis sind ergreifende, starke Inszenierungen von Frauen, die sich in keiner Opferrolle sehen, sondern vielmehr von ihrer Metamorphose zeugen wollen. Evelyn Lynam Ruiz (38), der in ihrer Kindheit selbst Gewalt in vielen Formen angetan wurde, im MADONNA-Interview über „Was in mir lebt“.
"Wir sind nicht das, was uns passiert ist, sondern das, was wir daraus machen."
Wie kam es zu dem Projekt und dieser beeindruckenden Ausstellung?
Evelyn Lynam Ruiz: Das Projekt ist sehr persönlich und kommt direkt aus meinen eigenen Erfahrungen – aus Kindheitstraumata. Ich habe viel Gewalt erlebt, in verschiedener Form, und musste lange Therapie machen, um heilen und ein normales Leben führen zu können. In diesen Jahren habe ich gemerkt: ein Trauma verschwindet nicht einfach. Man kann es nicht ausradieren. Es lebt in einem weiter – aber man lernt, Ressourcen zu finden und Wege, wie man trotz allem weitergehen kann. Deswegen heißt das Projekt „Was in mir lebt – Portraits einer Metamorphose“.
Sie haben zehn Frauen fotografiert – jede einzelne völlig anders, in sehr aufwendigen Settings...
Ruiz: In all diesen Therapien habe ich auch verstanden, wie wichtig Narrative sind: wie wir über uns selbst sprechen. Wir sind nicht das, was uns passiert ist, sondern das, was wir daraus machen. Die Arbeit mit Symbolen, mit Sprache, mit Selbstrepräsentation – das war für mich sehr prägend. Irgendwann wollte ich das, was ich gelernt habe, weitergeben und mit anderen Frauen teilen. So ist das Projekt entstanden.
Ein wichtiges Thema ist auch, dass Opfer von Gewalt oft sofort in eine Schublade gesteckt werden. Es gibt Vorstellungen, wie jemand zu sein hat, der Gewalt erlebt hat – wie er aussieht, wie er heilt. Aber jede Person ist anders, jeder Heilungsprozess ist anders. Darum sind auch alle Porträts völlig unterschiedlich. Das Einzige, was sie verbindet, ist die souveräne Haltung der Frauen, die in der Mitte stehen – gemeinsam mit ihren Symbolen.
"Das Projekt hat mich an meine Grenzen gebracht."
Wie sind Sie konkret mit den Frauen durch diesen Schaffensprozess gegangen?
Ruiz: Sehr behutsam. Es geht nicht darum, jemandem in einer Stunde sein Trauma zu entlocken. Wir hatten oft mehrere Treffen, die viele Stunden dauerten. Erst nach langen Gesprächen entwickelte ich Moodboards und visuelle Konzepte, suchte Symbole, Locations oder baute Requisiten. Jede Frau musste sagen können: „So fühle ich mich repräsentiert.“ Manche Shootings waren extrem aufwendig – von handgebauten Türrahmen bis hin zur Suche nach einer verlassenen Zugstation... Im Durchschnitt arbeitete ich etwa 60 Stunden mit jeder Frau. Diese Geschichten verdienen diese Hingabe und Würde.
Sie haben selbst Gewalt erlebt – was hat diese Arbeit mit Ihnen persönlich gemacht?
Ruiz: Ganz ehrlich: Das Projekt hat mich an meine Grenzen gebracht. Ich dachte, ich hätte vieles bereits verarbeitet, aber ein Jahr lang rund um die Uhr mit Trauma und Gewalt beschäftigt zu sein – und mich bei jedem Foto tief hineinzufühlen – das war enorm. Ich arbeite empathisch, und das kostet Kraft. Es war psychisch sehr fordernd.
Aber ich bin auch dankbar, weil ich dadurch selbst wieder Dinge anders sehen und weiter verarbeiten konnte. Ich will aber betonen: Ich bin keine Kunsttherapeutin! Ich verspreche niemandem Heilung. Es ist eine Zusammenarbeit. Die Frauen entscheiden jederzeit, was sie zeigen möchten. Neben jedem Bild steht ein Text, den sie selbst geschrieben haben. Nichts wird übergriffig oder ungewollt gezeigt.
"Es geht nicht um Opferrolle, sondern um Transformation"
Die Frauen wirken sehr stark auf den Fotos.
Ruiz: Die Porträts zeigen keine Opfer. Es geht nicht um Opferrolle, sondern um Transformation. Das heißt nicht, dass die Wunden verschwunden sind. Transformation heißt nur, dass man Wege gefunden hat, weiterzugehen.
"16 Tage gegen Gewalt sollen neue Perspektiven aufzeigen"
Ihre Ausstellung findet anlässlich der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ statt. Warum sind diese wichtig?
Ruiz: Ich glaube, sie bringen dann etwas, wenn wir neue Perspektiven einbringen statt Klischees zu bedienen. Genau das will dieses Projekt: einen anderen Blick auf das Thema. Bei der Vernissage haben wir eine Podiumsdiskussion mit Expertinnen – UN Women, von Frauenhäuser, Politikerinnen, Kunsttherapeutinnen.
Der Abend soll einen echten Dialog ermöglichen. Das Projekt zeigt die verschiedensten Formen von Gewalt: politische, systematische, psychologische, rassistische Gewalt. Vielschichtig eben. So vielschichtig wie Gewalt leider ist.