Griechen-Krise

Gusenbauer: Wie die EU tickt, was nun droht

06.11.2011

EU Backstage. Der Ex-Kanzler verrät: Wie Krisensitzungen ablaufen. Wer das Sagen hat.

Athen stürzt die EU in die schwerste Krise ihrer Geschichte. Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer über Euro, Merkel & Sarkozy – und Österreich.

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© TZ Österreich
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Athen stürzt die EU in die schwerste Krise ihrer Geschichte. Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer über Euro, Merkel & Sarkozy – und Österreich. Deutschlands CDU-Kanzlerin Angela Merkel nickte während einer Pressekonferenz vergangenen Dienstag in Berlin fast ein. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verpasste die Geburt seiner Tochter Giulia vor zwei Wochen. Die EU-Krise bringt Europa an den Rand der Erschöpfung.
Das Schicksal Griechenlands und der Eurozone stehen auf dem Spiel: Und nur zwei Politiker geben in der EU jetzt den Ton an. Oder wie es Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer im ÖSTERREICH-Interview sagt: „Merkel und Sarkozy geben vor, was in der Eurozone passieren soll, die anderen nicken nur noch ab.“
Tatsächlich, nicht nur beim G20-Gipfel in Cannes am vergangenen Donnerstag schienen nur noch Frankreich und Deutschland über den Kurs der Eurozone zu befinden. Sie zitierten Griechenlands Premier Papandreou zu sich. Der wie stets alles „sehr ruhig“ ertragen habe und prompt die Volksabstimmung absagte – genau wie Merkel/Sarkozy es wollten. Auch bei der letzten EU-Sitzung, in der die Entschuldung Griechenlands paktiert wurde, legte das Duo Merkel/Sarkozy die Marschroute vor.
Doch wie laufen solche Sitzungen wirklich ab?
Wenn sich die 27 EU-Regierungschefs im schmucklosen EU-Ratsgebäude in Brüssel treffen, dauert die „Begrüßung“ meistens rund 20 Minuten. Hier soll sichergestellt werden, dass auch Regierungschefs von kleineren Ländern mit den „Großen“ reden können. Dann werden alle Mitarbeiter rausgeschickt.
Der Verführer. Nicolas Sarkozy redet in den Sitzungen dann gerne und mit viel Pathos. Ausrutscher, wie vergangene Woche gegen Großbritanniens Premier David Cameron („Halt endlich die Klappe“), passieren ihm sonst nicht. Sarkozy setzt lieber auf Charme und große Gesten. Er vermittelt den anderen das Gefühl, als würden sie „Europa retten“, und verführt sie so, seinen Weg mitzugehen.
Einer, der sich resistent zeigt, ist der Brite Cameron. Er pocht auf britische Rechte.
Die Autoritäre. Deutschlands Angela Merkel ist laut Augenzeugen immer gut vorbereitet und um Sachlichkeit bemüht. Wenn eine Diskussion aber zu lange in eine Richtung gehe, die ihr missfalle, schnappe sie gerne zu: „Es ist so. Und aus“, sagt sie dann ihren Kollegen. Und „so“ sei stets so, wie Frau Merkel die Sachen sehe.
Als Doppel haben sich Merkel und Sarkozy zuletzt stets durchgesetzt. Deutsche und Franzosen halten Europa an der kurzen Leine …

Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer im ÖSTERREICH-Interview

ÖSTERREICH: Griechenland wird nun doch keine Volksabstimmung über die Euro-Hilfe abhalten. Gut oder schlecht?
Alfred Gusenbauer: Grundsätzlich wäre eine Volksabstimmung durchaus sinnvoll gewesen. Denn Papandreou hatte es mit innerparteilichen Widerständen, einer völlig verantwortungslosen Opposition und teilweise starken Protesten der Bevölkerung zu tun. Zudem muss Griechenland im Austausch für die EU-Hilfe gravierende Einschnitte vornehmen, die die Gesellschaft treffen. Ich denke, man hätte die Mehrheit für den eingeschlagenen Weg bekommen. Man müsste die Menschen fragen: ‚Wollt ihr diesen Weg gehen, der schwierig ist, aber uns die Chance gibt, aus der Krise herauszukommen? Oder wollt ihr aus der Eurozone aussteigen?‘
ÖSTERREICH: Die Situation bleibt heikel. Was würde es für den Euro bedeuten, wenn Griechenland ausstiege? Es wurde erstmals von der EU nicht mehr ausgeschlossen …
Gusenbauer: Egal wer in Griechenland regiert, braucht die ausdrückliche Zustimmung der Bevölkerung zum Regierungskurs. Sonst würde Griechenland wohl in einen Staatsbankrott stürzen und das würde jene Banken treffen, die griechische Staatspapiere halten. Dann ginge es nicht mehr um eine Entschuldung von 50 Prozent, sondern es wäre alles weg.
ÖSTERREICH: Wäre ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone tatsächlich das Ende des Euros, wie viele prognostizieren? Die Lage in Athen ist ja derzeit völlig unklar.
Gusenbauer: Die Opposition in Griechenland war schon bislang völlig verantwortungslos. Sicher ist noch nichts. Aber, nein, ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone würde nicht zwangsläufig das Ende des Euros bedeuten. Natürlich könnte es fatale Auswirkungen haben. Aber nur, wenn man nicht rechtzeitig vorsorgt. Man muss anmerken, dass das alles außergewöhnlich ist. In so einer Situation war die EU ja noch nie. Die EU muss jetzt bereits solche Szenarien einkalkulieren und vorbereitet sein. Sollte es zum Staatsbankrott kommen, müsste man die Garantien für die Bankenrekapitalisierung von derzeit 112 Milliarden Euro auf bis zu 350 Milliarden Euro ausweiten. Damit könnte man gravierende Folgen verhindern. Wenn man hingegen zuließe, dass systemrelevante  Banken innerhalb der EU über einen Staatsbankrott stürzen, hätte das auf die gesamte Wirtschaft Auswirkungen.
ÖSTERREICH: Auch Italiens Situation wirkt dramatisch. Kann die EU das überhaupt noch in den Griff bekommen?
Gusenbauer: Italien ist mit Griechenland nicht zu vergleichen. Es hat hohe Schulden, aber auch viele Ressourcen. Aber in Italien gibt es zwei Realitäten: Jene von Norditalien und jene von Süditalien. Norditalien ist übrigens ähnlich wohlhabend wie Österreich. Trotzdem braucht Italien einen strikten Sanierungskurs.
ÖSTERREICH: Seit einigen Monaten wirkt es so, als würden nur noch Frankreichs Sarkozy und Deutschlands Merkel den Ton in der EU und Eurozone angeben. Haben die anderen Staaten noch was zu reden?
Gusenbauer: In den letzten Jahren hat sich dieser Trend sichtbar verstärkt, dass nur noch Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vorgeben, was in der Eurozone passieren soll. Der Rest hat alles nur noch abzunicken.
ÖSTERREICH: Wieso ist das so?
Gusenbauer: Einerseits ist Großbritannien nicht in der Eurozone, das sonst auch stark mitspricht. Andererseits stecken andere große Länder wie Italien oder Spanien teilweise selbst in einer Krise …
ÖSTERREICH: Aber das dürfte doch kleine Eurozonen-Länder nicht daran hindern, zumindest zu versuchen, eine Rolle zu spielen, oder?
Gusenbauer: Natürlich nicht. Luxemburgs Jean-Claude Juncker bemüht sich ja immer wieder, mit eigenen Initiativen aktiv zu werden. Er wird nur dann leider zu wenig unterstützt.
ÖSTERREICH: Sie meinen, Österreichs Politik unterstützt ihn zu wenig?
Gusenbauer: Ich möchte nicht das Verhalten der österreichischen Politik kommentieren. Aber die Entwicklung in der EU, dass nur noch Frankreich und Deutschland entscheiden, ist eine gefährliche Fehlentwicklung. Denn die Menschen in kleineren Staaten werden das nicht lange so akzeptieren.
ÖSTERREICH: War das zu Ihrer Zeit in der EU anders? Hatten da kleinere Staaten denn mehr zu sagen?
Gusenbauer: Dass das EU-Duo Frankreich und Deutschland eine funktionsfähige Achse ist, ist gut. Natürlich haben sie auch zu meiner Zeit stark mitgeredet. Aber es war nicht so, dass vor EU-Regierungsgipfeln bereits alles vorab vereinbart war. Da gab es schon sehr rege Debatten. Da ging es schon pluralistischer zu. Da der Trend aber nun in die Richtung geht – Deutschland entscheidet, Frankreich gibt die Pressekonferenz – sollte es dringend vertragliche Veränderungen geben.
ÖSTERREICH: Wie sollen diese Veränderungen ausschauen?  
Gusenbauer: Man braucht eine stärkere Legitimation der Entscheidung. Man bräuchte ein EU-Finanzministerium und eine EU-Wirtschaftsregierung.
ÖSTERREICH: Das könnte die Bürger in den einzelnen EU-Staaten aber möglicherweise abschrecken, nicht?
Gusenbauer: Nein, denn man müsste dieser EU-Wirtschaftsregierung natürlich eine demokratische Legitimation geben. Sie müsste ans EU-Parlament angegliedert sein. Damit entscheiden die EU-Bürger bei Wahlen über sie. Die Bürger wären damit viel stärker eingebunden, als sie es jetzt sind.
ÖSTERREICH: Was läuft derzeit in der EU aus Ihrer Sicht denn falsch?
Gusenbauer: Zum Ausbruch der Krise 2008 hatte sich die Diskussion sehr rasch nur in den EU-Rat verlagert. Das kann problematisch sein, denn dann werden aus innenpolitischen Problemen aus einzelnen Staaten plötzlich europäische Probleme. Angela Merkel hatte lange Zeit wegen einer Regionalwahl in Deutschland die Griechenlandhilfe verweigert. Damals, vor eineinhalb Jahren, wäre aber die Hilfe weit billiger und wohl auch effizienter gewesen. Solche Situationen müssen künftig verhindert werden. Die EU muss schlagkräftiger und krisenfester werden.
ÖSTERREICH: Wie sollen die EU und die Eurozone in einem Jahr ausschauen?
Gusenbauer: Zunächst wird die Eurozone hoffentlich die Krise gut überwunden haben. Aber nachdem die Krise überwunden ist, brauchen alle EU-Länder Strukturreformen. Und zwar echte.
ÖSTERREICH: Das heißt, auch Österreich braucht stärkere Strukturreformen?
Gusenbauer: Alle EU-Länder. Man muss einerseits konsolidieren – also die Schulden eindämmen – andererseits muss man aber auch an das Wachstum denken. Immerhin wird das Wachstum der Eurozone 2012 nur rund 0,5 Prozent betragen. Damit könnte die Arbeitslosigkeit leider wieder steigen. Da muss man rechtzeitig gegensteuern.
ÖSTERREICH: Was sollen die nationalen Regierungen oder die EU denn machen?
Gusenbauer: Man braucht einen Marshallplan für Europa. Man muss investieren, um das Wachstum anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Und es gibt in Wirklichkeit noch Gelder in Brüssel, die von den nationalen Staaten noch gar nicht abgeholt wurden.

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