Ungarn

Schwer angezählt: Steht Viktor Orbán vor dem Aus?

22.12.2025

Partei von Magyar führt seit Monaten in den Umfragen 

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Viktor Orbán steht seit 2010 an der Spitze der ungarischen Regierung, und lange Zeit schien kein zweiter Regierungschef in der EU so fest im Sattel wie er. Aus Sicht seiner Kritiker hat der rechtsnationale Politiker das auch dadurch geschafft, dass er die Freiheit von Justiz, Wissenschaft und Medien drastisch eingeschränkt hat. Nun aber, knapp vier Monate vor der Parlamentswahl in Ungarn im April, scheint das Fundament der Macht des 62-Jährigen zu bröckeln.

In dem charismatischen Oppositionspolitiker Peter Magyar ist Orbán offenbar ein ernst zu nehmender Rivale erwachsen. Magyars Partei Tisza liegt in mehreren unabhängigen Umfragen seit mittlerweile einem Jahr vor Orbáns rechtskonservativer Fidesz.

Kindesmisshandlung in staatlichen Einrichtungen als wunder Punkt

Tisza ist politisch schwer einzuordnen - auch, weil Parteichef Magyar sich zu vielen umstrittenen Themen kaum äußert. Doch der 44-Jährige scheint einen wunden Punkt Orbáns gefunden zu haben: ein Skandal um Kindesmisshandlung in staatlichen Betreuungseinrichtungen.

© Getty

Den schwerwiegenden Vorwürfen wurde in vielen Fällen nie juristisch nachgegangen - und das unter der Regierung Orbán, der den Kinderschutz zu einem seiner wichtigsten Grundsätze erklärt hat. Was der Rechtsaußen-Politiker darunter versteht, zeigte er bei der Parlamentswahl 2022: Die ungarischen Bürger stimmten über ein von Orbáns Partei Fidesz gewolltes Referendum ab, mit dem sie den Schutz Minderjähriger vor LGBTQ-Inhalten stärken lassen wollte.

Magyar setzt Orbán angesichts des Skandals unablässig unter Druck. Mitte Dezember veröffentlichte er einen bis dahin unter Verschluss gebliebenen Bericht der Regierung aus dem Jahr 2021, in dem mehr als 3.000 Fälle von Kindesmisshandlung in staatlichen Betreuungseinrichtungen dokumentiert werden. Wenige Tage zuvor hatte er ein Video verbreitet, in dem der stellvertretende Leiter einer Jugendstrafanstalt dabei zu sehen ist, wie er einem am Boden liegenden Jugendlichen gegen den Kopf tritt.

Im Dezember folgten rund 50.000 Menschen in der Hauptstadt Budapest dem Aufruf Magyars zu einer Demonstration, auf der sie den Rücktritt der Regierung forderten.

Expertin sieht "neue Dynamik" in ungarischer Politik

Die Politikwissenschaftlerin Zsuzsanna Vegh von der Denkfabrik German Marshall Fund schätzt die Opposition gegen Orbán derzeit so stark ein wie seit Langem nicht mehr. Es gebe "eine neue Dynamik" in der ungarischen Politik, sagt Vegh der Nachrichtenagentur AFP.

Statt früher einer zersplitterten Opposition sehe sich Orbán nun einem einzigen Gegner gegenüber, der "ähnlich populär" sei wie er selbst, fügt Vegh an. Und die aktuellen Wirtschaftsdaten sprechen gegen die Regierung: Die wirtschaftliche Entwicklung in Ungarn stagniert, die Inflation liegt mit rund vier Prozent seit Monaten deutlich über dem EU-Durchschnitt.

Premier hält mit "Antikriegsdemonstrationen" dagegen

Der Regierungschef reagiert auf diese Entwicklungen mit auffälliger Umtriebigkeit. Vor kurzem kündigte Orbán staatlich geförderte Darlehen für den Kauf der ersten Immobilie an, die Verlängerung der Einkommensteuerbefreiung für Mütter von mindestens drei Kindern - und ein 14. Monatsgehalt für Pensionisten. Auch organisiert der Langzeit-Ministerpräsident sogenannte "Antikriegsdemonstrationen", an denen politische Verbündete, Künstler und andere Prominente teilnehmen.

Orbán wird auf diesen Veranstaltungen auf der Bühne interviewt, zu persönlichen Angelegenheiten wie zur internationalen Politik. Immer wieder nutzt er diese Gespräche für Angriffe auf Magyar, dem er vorwirft, eine "Marionette" der EU-Kommission zu sein und die Steuern im Land erhöhen zu wollen, um Krieg gegen Russland zu finanzieren.

Mit der EU, die er gerne als Buhmann darstellt, ist Orbán ohnehin seit Jahren über Kreuz. In einem Affront für die europäischen Verbündeten reiste der Regierungschef nach Washington und Moskau, um nur ja die weitere Versorgung seines Lands mit günstigem Erdöl aus Russland zu sichern.

Der Politikredakteur Szabolcs Dull verweist darauf, dass Orbán bei früheren Wahlen erst in den drei Monaten vor dem Urnengang seine Präsenz erhöht habe. Nun sei die Fidesz jedoch gezwungen, "ihren Trumpf schon viel früher zu spielen".

Bedrängte Regierungspartei will Präsidentenamt absichern

Unterdessen verabschiedete das von einer deutlichen Fidesz-Mehrheit dominierte Parlament ein Gesetz, das die Amtsenthebung des Präsidenten erschwert. Amtsinhaber Tamás Sulyok gilt als Orbán-nah. Der Präsident hat in Ungarn zwar vor allem symbolische Aufgaben, doch kann er Gesetze blockieren oder dem Verfassungsgericht zur Prüfung zuleiten.

Kritiker sehen in dem Gesetz einen Versuch Orbáns, sich auf das lange Undenkbare vorzubereiten: einen Machtwechsel in Ungarn. Sollte die Fidesz tatsächlich die Wahl verlieren, könnte zumindest der Präsident der neuen Regierung das Leben erheblich erschweren.

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