Analyse am Weekend

Ein Jahr Krieg in der Ukraine – "Sie werden uns niemals besiegen"

18.02.2023

Raketen, Angst, Zerstörung, Millionen Menschen auf der Flucht. Ein Jahr Krieg, wie könnte er enden?

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Kiew. Zwei Tage vor Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sitze ich beim russischen Botschafter in Wien, ein wuchtiger Mann: Zehn Mal frage ich Putins Chefdiplomaten, ob es eine Invasion in der Ukraine geben wird. Ebenso oft verneint er, streitet grell empört ab: „Es wird keinen Einmarsch geben.“ Ein ­feiger Lügner.

Keine Tränen. Dann fallen Bomben und Raketen auf die Ukraine und ich sitze im Auto Richtung Kiew. Erst durch Ungarn, dann in die verschneiten Karpaten. Es kommen mir Zehntausende Autos entgegen. Flüchtlinge. Vor einem Hotel in Ternopil treffe ich Nataliya Yeshova, 35, TV-Moderatorin. Mit ihrer neunjährigen Tochter Kira. Die beiden kommen aus Kiew, sind panisch, erzählen: „Wir wurden vom grellen Feuerschein geweckt, eine Rakete schlug ein. Ich packte Kira, dann sind wir weg. Mein Mann blieb zurück in Kiew, er verteidigt die Stadt.“

Weiter ostwärts in Schytomyr, westlich von Kiew, spreche ich mit Vlada und ihrer Mutter in einem eiskalten Hotel-Foyer. Vlada ist 15, ein zartes Mädchen. Zitternd sagt sie: „Ich habe Angst. Ich möchte wieder zur Schule gehen, was soll nur aus uns werden?“ Vlada hat nur ein kleines Rucksäckchen mit. Gerade das Nötigste konnte sie einpacken. Vlada weint ohne Tränen.

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ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl berichtete mehrmals aus dem Kriegsgebiet

Putin wollte die Ukraine in zwei Tagen besiegen

Irrtum. Damals glaubten alle, der Krieg wird in ein, zwei Wochen vorbei sein. Putin dachte, er könne die Ukraine in nur zwei Tagen besiegen, unterjochen. Ein historischer Irrtum.

250.000 Menschen sind seither getötet worden, davon 140.000 junge Russen. 18 Prozent der Ukraine sind besetzt. 7.000 Zivilisten sind ums Leben gekommen, 438 Kinder.

Doch schon im März 2022 ist spürbar: Putin kann diesen Krieg nicht gewinnen, nicht 44 Millionen Einwohner kontrollieren. Nach zwei, drei Wochen ist jeder Ort zu einer kleinen Festung ausgebaut, ein Volk entschlossen zum Kampf.

Ich saß damals in einem kleinen Camp ukrainischer Soldaten, wir hörten das dumpfe „Wumm“ einschlagender Granaten. Die Russen, sagen sie, sind nur fünf Kilometer entfernt. Sandsäcke, Betonblöcke, Notschlafstellen auf Holzpaletten, 30 Mann, alles Reservisten: Ein Tierarzt, drei Studenten, pensionierte Soldaten, Kommandant ist Dimitry, ein Ingenieur und dreifacher Vater. Sie sind entschlossen, wissen, was sie tun, kennen das Gelände, haben ein ganzes Arsenal an Anti-Panzer-Waffen: Britische, deutsche, spanische, amerikanische, das modernste Gerät für den Abwehrkampf gegen anrückende Panzer. Dimitry sagt: „Ich kann nicht einschätzen, wie lange wir kämpfen müssen. Aber wir tun es, weil wir es wollen. Sie werden uns nicht besiegen, niemals, wir haben den Willen zum Sieg.“

„Spirit“. So ist es. Bis heute. Putin setzt auf Zeit und Raketen. Ukraine-Präsident Selenskyj auf den „Spirit“ seiner Landsleute und Hilfe aus dem Westen. Ein Übergang vom Militärischen zum Diplomatischen ist derzeit ausgeschlossen.

Beide Seiten sind noch nicht an einem Punkt angelangt, an dem Verhandlungen aus ihrer Sicht Sinn machen würden. Die Ukrainer und Europa müssen sich auf ein sehr blutiges Frühjahr einstellen.

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