'Deutsche Natascha'
Staatsanwältin schildert Stephanies Martyrium
06.11.2006
Der Prozess um die Entführug und mehrfache Vergewaltigung der heute 14-jährigen Stephanie aus Dresden in Deutschland begann turbulent: Der Angeklagte sorgte gleich für einen Tumult im Gerichtssaal, die Staatsanwältin schilderte das grausame Martyrium der jungen Deutschen.
Zu dem Tumult war es gekommen, als die Staatsanwaltschaft die Drohung des 36-jährigen Angeklagten zitierte, dass er Stephanie köpfen und an seine zwei Hunde verfüttern würde, sollte sie zu fliehen versuchen. Als der mutmaßliche Entführer diese Worte vernommen hatte, sprang er auf und tobte. Er ließ sich nicht mehr beruhigen und wurde von Sicherheitsbeamten überwältigt, die ihn mit Handschellen gefesselt aus dem Gerichtssaal führten und in einen Haftraum brachten. Die Verhandlung wurde unterbrochen und nach rund eineinhalb Stunden fortgesetzt.
Das Martyrium der 13-Jährigen
Nach der Pause schilderte
Staatsanwältin Liane Pospischil das Martyrium von Stephanie. Der Angeklagte
habe sie als seine "Sexsklavin" angesehen, sie körperlich
misshandelt, sie unter Gefahr für Leib und Leben zu sexuellen Handlungen
genötigt und sie in zahlreichen Fällen "besonders erniedrigt". Die damals
13-Jährige sei gezwungen worden, perverse Fantasien und Wünsche des
Angeklagten zu erfüllen. So habe er das Mädchen täglich an in die Wand
gelassene Ringe oder ans Bett gefesselt und mindestens zwei Mal wöchentlich
in eine knapp einen Meter lange, enge Holzkiste gesperrt, wenn er das Haus
verließ.
Für den Fall, dass sie sich zur Wehr setzte oder versuchte, sich bemerkbar zu machen, drohte der vorbestrafte Sexualtäter Stephanie laut Anklage, sie umzubringen oder sie "an die Hunde zu verfüttern". Bei nächtlichen Ausgängen wurde sie von ihrem Peiniger gefesselt und mit einem 15 Zentimeter langen Küchenmesser bedroht. "Aus Angst folgte sie seinen Anweisungen", sagte die Staatsanwältin.
Perverse Taten gefilmt
Den Großteil seiner Taten nahm der
Beschuldigte selbst per Video auf. Nach Angaben eines Polizeibeamten, der am
Montag als Zeuge aussagte, wurden insgesamt 15 Kassetten gefunden, die in
sieben Fällen Stephanie zuzuordnen sind. Auf den anderen Kassetten seien
weitere Kinder zu sehen, die der Angeklagte unter anderem beim Baden und
Spielen mit seiner Videokamera aufgenommen habe.
Laut Anklage hatte er die Entführung der Gymnasiastin lange vorbereitet, das Mädchen über sechs bis acht Wochen zuvor auf dem Schulweg beobachtet, bevor er es am 11. Jänner auf dem Weg in die Schule in sein Auto zerrte und kidnappte, und Kleidung für den geplanten Missbrauch besorgt.
36 Tage lang musste das heute 14-jährige Mädchen in der Gewalt des vorbestraften Sexualstraftäters verbringen, mehr als 30 Mal missbrauchte der 36-Jährige das Kind. So zumindest die Anklage. Laut den Aussagen der damals 13-Jährigen soll er sie mehr als 100 Mal vergewaltigt haben. Stephanie selbst brachte die Polizei schließlich auf die Spur ihres Peinigers, indem sie bei den nächtlichen Ausgängen mit dem Tatverdächtigen kleine Zettel mit Hilferufen auf der Straße fallen ließ.
Umfassendes Geständnis
Der Angeklagte hatte die Auflistung
der Taten nahezu reglos verfolgt. Wenige Stunden zuvor habe der Angeklagte
den Gerichtssaal grinsend betreten, so der „Spiegel“. Zu seiner Person und
den Vorwürfen äußerte er sich erst am Nachmittag unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. Dabei legte der Angeklagte ein umfassendes Geständnis ab.
Der 36-Jährige habe alle Fragen umfangreich beantwortet, wie eine
Gerichtssprecherin sagte.
Das Gericht hatte den Antrag der Verteidigung zu Beginn der Verhandlung abgelehnt, die Öffentlichkeit vom Prozess auszuschließen. Der Vorsitzende Richter Tom Maciejewski hielt eine Auseinandersetzung des Mannes mit den Tatvorwürfen in der Öffentlichkeit jedoch für notwendig. Der Beschuldigte ist wegen Vergewaltigung, Geiselnahme, schweren sexuellen Kindesmissbrauchs und Körperverletzung angeklagt. Er hatte die inzwischen 14-Jährige fünf Wochen in seiner Wohnung gefangen gehalten.
Stephanie und ihre Eltern waren nicht im Gerichtssaal. Sie wurden von ihrem Anwalt vertreten.
Eltern fordern Schmerzensgeld
Die Familie der Entführten
verlangt nach einem Bericht des Nachrichten-Magazins "Focus" vom
Land Sachsen Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 875.000
Euro. Die Eltern der 14-Jährigen werfen der Polizei schwere
Ermittlungspannen vor, durch die sich das Leid ihrer Tochter unnötig
verlängert habe.
Ermittlungsfehler
Die Polizei hatte Ermittlungsfehler bei der
Suche nach Stephanie eingeräumt. So war der einschlägig vorbestrafte
Tatverdächtige bei einer Computerabfrage noch unter seiner früheren Adresse
registriert und deshalb nicht ins Visier der Kriminalisten geraten.
Landespolizeipräsident Klaus Fleischmann sprach seinerzeit von einem "
Recherchefehler". Auch die Vorgangsweise beim Befreien des Kindes löste
Erstaunen aus. Als Beamte an der Tür des Geiselnehmers klingelten und ihnen
nicht geöffnet wurde, forderten sie statt eines Spezialkommandos einen
Schlüsseldienst an. Stephanie war in dieser Situation noch mehrere Minuten
mit dem Täter allein.
Dem 36-Jährigen droht eine Strafe von bis zu 15 Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Der Prozess ist auf neun Verhandlungstage angesetzt.