Im Bunker im Kibbuz

Wienerin in Israel: ''Wir werden beschossen, unser Freund ist tot''

08.10.2023

Die Wienerin Vera Tal lebt seit Jahrzehnten in einem Kibbuz, ganz nahe am Gaza-Streifen. Jetzt ist sie mitten im Kriegsgebiet in einem Sicherheitszimmer. 

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Die Wienerin Vera Tal spricht mit oe24.TV über die Lage in ihrem Kibbuz, direkt an der Grenze zum Gaza-Streifen. Sie und ihr Mann sitzen mit ihrem Hund in einem 12 Quadratmeter großem Sicherheitsraum. Umgeben von Kriegslärm, Raketen, Schüssen.

Nahe ihres Dorfes schnitten Hamas-Terroristen Löcher in den Zaun und kamen am Samstag nach Israel. Sie haben einen Freund von Vera Tal erschossen und könnten immer noch in der Nähe sein. Deshalb sollen die Kibbuz-Bewohner erst am Montag bei Tageslicht evakuiert werden. 

Vera Tal, die seit 1965 in Israel lebt, in einem Kibbuz (einer Art bäuerlicher Kollektivsiedlung) erzählt oe24.TV: "Palästinenser sind am Samstag durch den Zaun vom Gaza-Streifen aus in das Gebiet unseres Kibbuz eingedrungen. Etwa 10 Männer von unserer Gruppe versuchten sie aufzuhalten. Es hat sich im Kibbuz ein Kampf entwickelt. Bei dem Kampf ist einer unserer Leute ums Leben gekommen, einer wurde als Geisel genommen. Zwei weitere wurden schwer verletzt, einem wurde der Fuß amputiert."

Angst: "Auf uns allein gestellt, Militär kam stundenlang nicht"

Vera Tal berichtet weiter: "Wir wurden sofort aufgefordert, ins Sicherheitszimmer zu gehen. Das ist eine Art kleiner Bunker, 12 Quadratmeter groß, der unauffällig an das Haus hinzugebaut wurde. Dort harrten wir stundenlang aus. Das Militär ist nicht hierher gekommen. So sind alle Kibbuzin (Anm.: Mehrzahl von Kibbuz) am Gazastreifen auf sich allein gestellt und haben die Angriffe zurückschlagen müssen. Das ist nur teilweise gelungen."

Die Wienerin erzählt, dass die Dorfbewohner überhaupt nicht auf den Angriff vorbereitet waren. "Eine Rakete hat die Wasserleitung zerstört. Die Leute haben sich nicht vorbereitet. Aber das Ärgste ist, dass dieser Mann aus unserem Kibbuz ums Leben gekommen ist, er ist ein Freund von uns. Wir trauern um ihn."

Terror: "Wir können nicht raus" 

Rund um ihr Haus schlagen die Bomben ein, Schüsse knallen durch die Nacht. "Der Kriegslärm um uns herum ist schrecklich. Wir werden immer wieder beschossen. Der Kibbuz selber, aber auch die Umgebung. Bei uns ist nur ein Haus von einer Rakete zerstört worden. In einem anderen Kibbuz wurde alles zerstört."

"Der Lärm ist furchterregend", erzählt Vera Tal. "Wir können nicht raus. Wir dürfen bis jetzt nur in der Wohnung im Sicherheitszimmer sein. Spazieren gehen, mit dem Hund raus gehen ist eine Gefahr. Wir haben einen Hund." Sie sagt, dass sie sehr niedergeschlagen ist. Es ist eng im Sicherheitszimmer. "Wer kleine Kinder hat, hat es noch schwerer."

Hoffnung: Baldige Evakuierung ans Tote Meer

"In den nächsten Stunden werden wir wohl alle evakuiert werden", hofft Vera Tal auf Montagmorgen. "Der ganze Bezirk wird evakuiert. Jeder Kibbuz bekommt eine Herberge zugeteilt, im Inneren Israels. Wir kommen zum Toten Meer. In ein einfaches Hotel. Ein Bus der Bezirksverwaltung soll uns dorthin bringen." 

Derzeit wäre der Bus mit den Flüchtlingen ein Ziel für Terroristen. Das israelische Militär will erst die Gegend sichern, bevor die Evakuierung bei Tageslicht starten soll. Keiner weiß, wie es in ihrer neuen Heimat Israel weiter geht und ob die Kibbuz-Bewohner jemals wieder in ihr Dorf zurückkehren und in Sicherheit leben können.  

Kind von KZ-Überlebenden

Vera Tal wuchs in Wien als Kind von zwei KZ-Überlebenden auf. Ihre Eltern haben sich in Auschwitz kennengelernt. Über diese Zeit erzählte sie der bpd (Bundeszentrale für politische Bildung) einmal: "Es haben einige überlebt, aber befreit wurde niemand. Das KZ bleibt stecken in der Seele und im Bewusstsein. Die Assoziationen gehen auf die Kinder über."

Sie hatte als Kind in Wien oft ein beklemmtes Gefühl. Erst in Israel konnte sie sich langsam von der Angst befreien. Dort arbeitete sie als Lehrerin und Bibliothekarin. Wien nennt Vera Tal, die 1965 nach Israel ausgewandert ist, "die schönste Stadt der Welt".  

Julia Rauch, Aaron Brüstle 

 

 

 


  

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