Nach Gemayels Tod

Alarmstimmung im Libanon

21.11.2006

Ein Attentat auf den prominenten Politiker Pierre Gemayel hat die politische Krise im Libanon dramatisch verschärft.

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© reuters
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Der christlich-libanesische Politiker und Industrieminister wurde am Dienstag in seinem Wahlkreis bei Beirut erschossen. Er ist bereits der fünfte Politiker oder Intellektuelle aus dem antisyrischen Lager, der in den vergangenen zwei Jahren ermordet wurde.

Im Auto erschossen
Der 34-jährige Gemayel war nach Berichten von Augenzeugen mit seinem Auto in der Beiruter Vorstadt Jdeideh unterwegs - in diesem christlichen Wohngebiet am Nordrand der libanesischen Hauptstadt lag auch der Wahlkreis des Politikers. Sein Auto wurde von einem anderen Fahrzeug gerammt. Der Täter stieg aus und erschoss den Politiker aus kurzer Distanz. Gemayel wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo nur noch sein Tod festgestellt werden konnte, wie die christliche Falange-Partei mitteilte.

Das Attentatsopfer war der Sohn des ehemaligen Präsidenten Amin Gemayel, der von 1982 bis 1988 amtierte. Sein Großvater Pierre Gemayel führte die Falange im Bürgerkrieg von 1975 bis 1990.

Beerdigung am Donnerstag
Pierre Gemayel soll am Donnerstag beerdigt werden. Die Trauerfeier werde am Donnerstag in der christlich-maronitischen Kathedrale St. Georges im Zentrum von Beirut stattfinden, erklärte das anti-syrische Bündnis am Dienstagabend.

Die anti-syrische Regierungsmehrheit rief ihre Anhänger am Abend auf, am Tag des Begräbnissen von Gemayel auf die Straße zu gehen. Genau wie nach dem Attentat auf den früheren Rafik al-Hariri sollten sich die Libanesen auch dieses mal "in zivilisierter Form" gegen die Gewalt und für einen freien Libanon einsetzen.

Spannungen weiter verschärft
Politische Beobachter erwarten, dass das Attentat die politischen Spannungen im Libanon weiter verschärfen wird. Im Heimatort Gemayels östlich von Beirut zerstörten Anhänger am Dienstag die Autos von pro-syrischen Politikern. Ähnliche Vorfälle wurden auch aus der Hauptstadt selbst gemeldet. Führende Politiker riefen die Bevölkerung zur Ruhe auf.

Die Falange-Partei gehört zur antisyrischen Parlamentsmehrheit, die in den vergangenen Tagen einen erbitterten Machtkampf mit der schiitischen Hisbollah und anderen prosyrischen Kräfte führte. Alle schiitischen und ein christlicher Minister sind zurückgetreten. Gemayel hatte den Rücktritt des pro-syrischen Staatspräsidenten Emile Lahoud gefordert, der ebenfalls maronitischer Christ ist.

Hariris Sohn: "Hand Syriens war dabei"
Der politische Führer der antisyrischen Mehrheit, Saad al-Hariri, brach nach der Nachricht vom Attentat auf Gemayel eine Pressekonferenz ab. Er würdigte Gemayel als guten Freund und sagte den Tränen nahe, es werde alles getan, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Hariri, der Sohn im Februar 2005 ermordeten Politikers Rafik al-Hariri, machte die Regierung in Damaskus für die Tat verantwortlich: "Wir glauben, dass die Hand Syriens dabei war."

Hariri sah einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf Gemayel und der für Dienstag geplanten Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York, bei der die Einsetzung eines internationalen Tribunals zur Aburteilung der Verantwortlichen für das Attentat auf seinen Vaters beschlossen werden soll.

Auch die syrische Regierung verurteilte jedoch das Attentat und sprach von einem abscheulichen Verbrechen, das Frieden und Stabilität im Libanon gefährde.

Anschlag weltweit verurteilt
Das US-Außenministerium sprach von einem Terroranschlag mit dem Ziel, die Regierungskoalition ins Wanken zu bringen. Staatssekretär Nicholas sagte, eine Spaltung des Libanons dürfe nicht zugelassen werden. Die britische Außenministerin Margaret Beckett äußerte sich besorgt über die möglichen Folgen des Anschlags. Israels Außenministerin Tzipi Livni meinte, der Anschlag sei Ausdruck des Konflikts zwischen Extremisten und gemäßigten Kräften in der Region.

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac verurteilte den " abscheulichen Anschlag" auf Gemayel mit größter Entschiedenheit. Die Mörder sollten verfolgt und bestraft werden, forderte Chirac am Dienstag in Paris. Das Streben der Libanesen nach Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie werde nur gestärkt aus diesem "fürchterlichen Drama " hervorgehen, meinte der Präsident. Der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy sieht den Anschlag als "einen neuen Versuch, den Libanon zu destabilisieren".

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an alle Kräfte im Libanon und in der Region, ihrer Verantwortung gerecht zu werden "und alles zu unterlassen, was die innenpolitische Lage im Libanon weiter destabilisiert."

Auch der EU-Außenbeauftragte Javier Solana verurteilte die Ermordung Gemayels. "Die Urheber dieses feigen Attentats müssen ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen werden", erklärte Solana in Brüssel. "Der Libanon muss für seinen Willen, in Frieden und Unabhängigkeit zu leben, erneut einen hohen Tribut zahlen. In meinem eigenen Namen und im Namen der Europäischen Union würdige ich den Mut und der Entschlossenheit all derer, die sich für die Unabhängigkeit und die Einigkeit des Libanons einsetzen."

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