Europa
Auslieferungen: Kroatien und Serbien unter UNO-Beschuss
10.07.2025Brammertz: 300 mutmaßliche Straftäter "mit null Chancen auf eine Auslieferung" nach Bosnien
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für Ex-Jugoslawien, Serge Brammertz, hat Kroatien und Serbien mangelnden Willen zur Verfolgung von Kriegsverbrechen vorgeworfen. "80 bis 90 Prozent der Verfahren in Kroatien gehen gegen Serben, die gar nicht in Kroatien anwesend sind. Es ist die absolute Ausnahme, dass Kroaten in Kroatien verfolgt werden. In Serbien werden sehr wenige Verfahren geführt", sagte Brammertz der Tageszeitung "Der Standard" (Freitagsausgabe).
Der jüngste Freispruch in einem Verfahren wegen Zwangsumsiedlung in Srebrenica zeige zudem, "dass die Anklagebehörde schlechte Arbeit geleistet hat", sagte der belgische Jurist, der unter anderem für die Anklagen gegen die bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić und Ratko Mladić verantwortlich war. Die beiden und "alle Masterminds der Verbrechen vom Jugoslawien-Tribunal" seien verurteilt. "Der Völkermord in Srebrenica ist endgültig anerkannt, auch vom Internationalen Gerichtshof", betonte Brammertz anlässlich des 30. Jahrestags der Ermordung von rund 8.000 Bosniaken durch bosnisch-serbische Truppen in der ostbosnischen Stadt.
"Nicht sicher, ob Karadžić und Mladić heute festgenommen würden"
"Ich bin mir nicht sicher, ob Karadžić und Mladić heute festgenommen würden, wenn sie noch auf freiem Fuß wären", sagte Brammertz mit Blick auf die veränderte Stimmungslage in Serbien weiter. Auch in Kroatien seien Dutzende Rechtshilfeersuchen des Tribunals "nach Jahren immer noch nicht beantwortet". Beide Länder täten so, als ob er sich nur um einen Bürgerkrieg innerhalb Bosniens gehandelt habe, mit dem man nichts zu tun gehabt habe. "Wir befinden uns in der absurden Situation, dass sich etwa 300 mutmaßliche Straftäter, die in Bosnien und Herzegowina massive Verbrechen begangen haben, ein paar Kilometer entfernt in Serbien und Kroatien befinden, mit null Chancen auf eine Auslieferung", kritisierte er.
Brammertz stellte sich zugleich hinter die jüngst - etwa wegen der Anklage gegen israelische Politiker - unter Druck geratene internationale Strafgerichtsbarkeit. Vor 20 Jahren sei er "optimistischer und idealistischer" gewesen, räumte er ein. "Heute bin ich immer noch idealistisch, denn es gibt keine Alternative zur internationalen Justiz; aber ich bin viel realistischer in Bezug auf das, was erreichbar und nicht erreichbar ist."