Berliner Koalition

Merkel nennt SPD-Rochaden würdelos

08.09.2008

Die Entmachtung von Kurt Beck ist für die deutsche Kanzlerin "würdelos" von statten gegangen. Die SPD geht nun mit Steinmeier ins Rennen.

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Der Vorstand der deutschen Sozialdemokraten hat am Montag in Berlin endgültig das neue Spitzen-Duo nominiert. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird Kanzlerkandidat, der frühere Parteichef Franz Müntefering soll den Parteivorsitz übernehmen. Die Entscheidungen sollen auf einem Sonderparteitag am 18. Oktober in Berlin bestätigt werden, wie Steinmeier bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Müntefering mitteilte.

Steinmeier unterstrich, die SPD stelle sich "geschlossen neu auf". Seine Kanzlerkandidatur sei einstimmig vom Vorstand begrüßt worden. "Ich weiß, was auf mich zukommt", betonte er. Er habe sich die Kandidatur gut überlegt und werde "auf Sieg spielen". Die Sozialdemokraten müssten jetzt Geschlossenheit zeigen und die Aufholjagd bis zur Bundestagswahl im September 2009 beginnen. "Alle haben sich verpflichtet, an diesem Ziel mitzuwirken", sagte Steinmeier. Er bedauerte noch einmal den Rücktritt des bisherigen Parteichefs Kurt Beck, den dieser überraschend am Sonntag erklärt hatte.

Begeisterung für Steinmeier
Müntefering sagte, es habe im Vorstand "gute, echte Begeisterung" für die Kanzlerkandidatur Steinmeiers gegeben. Er sei sicher, dass die Partei einen guten Wahlkampf führen werde. Da werde sich noch mancher wundern. Müntefering äußerte auch die Hoffnung auf eine baldige Aussprache mit Beck, der weiter in Deutschland und der SPD eine wichtige Rolle spielen werde.

Während Steinmeier einstimmig gewählt wurde, enthielten sich bei Müntefering fünf Vorstandsmitglieder. Nach Angaben aus Parteikreisen war bei der Abstimmung nur der SPD-Linke Ottmar Schreiner dezidiert gegen den neuen alten Parteichef. Müntefering bezeichnete dies als "ganz ordentlich gutes Ergebnis". Dass er den Parteivorsitz zum zweiten Mal übernehmen soll, davon wisse er seit Sonntagmittag, sagte er.

An dem Treffen der Spitzengremien unter Leitung des Interimsvorsitzenden Steinmeier nahm Beck nicht mehr teil. Die SPD in Mainz teilte mit, Beck werde aber seine Ämter in Rheinland-Pfalz behalten. Er ist Ministerpräsident und will sich am Wochenende der Wiederwahl als SPD-Landesvorsitzender stellen.

Vor der Krisensitzung betonten Spitzenpolitiker der SPD, der Personalwechsel an der Parteispitze bedeute keine Kursänderung für die Sozialdemokratie in Deutschland.

Umgang "würdelos"
Merkel sagte am Montag am Rande einer Veranstaltung in München, sie werde weiter mit dem als SPD-Kanzlerkandidaten nominierten Außenminister Frank-Walter Steinmeier zusammenarbeiten. Die Umstände seiner Benennung seien aber "der Würde einer Volkspartei eigentlich nicht entsprechend". Dies deute auf eine "tiefe Zerrissenheit" der Sozialdemokraten hin. Sie hoffe, dass diese überwunden werden könne.

Ein Regierungssprecher sagte, Merkel und Steinmeier wollten sich "bis weit in das nächste Jahr hinein" auf die Sacharbeit konzentrieren. Danach solle mit Blick auf die Bundestagswahl im September 2009 ein kurzer Wahlkampf ausgetragen werden, den beide fair gestalten wollten.

Auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla riet in Berlin "allen, "sich jetzt auf die Sacharbeit zu konzentrieren". Er forderte zugleich von Steinmeier und dem designierten Parteichef Franz Müntefering Klarheit über die Haltung der SPD zur Politik der Reform-"Agenda 2010" und dem Kurs gegenüber der Partei Die Linke.

Beck-Rücktritt am Montag
Der bisherige Parteichef Kurt Beck hatte am Sonntag überraschend seinen Rücktritt erklärt, weil er das Amt nicht mehr mit der notwendigen Autorität ausüben könne. Beck ist zugleich Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Die dortige SPD berief in Mainz kurzfristige ihre Führung ein, um die aktuelle Lage zu beraten.

Die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti sieht ihre Bemühungen, eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Duldung der Linken zu bilden, von dem Führungswechsel auf Bundesebene nicht berührt. Sie erklärte in Wiesbaden, die Entscheidung werde ein Landesparteitag am 4. Oktober treffen. Das Vorgehen werde derzeit an der Basis und in Regionalkonferenzen diskutiert.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit verlangte, die SPD müsse ein "entkrampfteres Verhältnis" zur Linkspartei entwickeln. Es nütze nichts, ständig auf den Vorstandsbeschluss zu verweisen, wonach die Landesverbände in ihrer Entscheidung freie Hand hätten, dies in der Praxis aber immer wieder infrage zu stellen.

Es gebe gute Beispiele, dass die SPD auf Landesebene gut mit der Linkspartei zusammenarbeite, sagte Wowereit, der in Berlin eine rot-rote Regierung führt. Die SPD lasse sich von der CDU/CSU viel zu sehr treiben mit deren Antikommunismus. Die SPD könne selbstbewusst in die Auseinandersetzung mit der Linkspartei gehen. Dies funktioniere aber nur gemeinsam. Die SPD sei eine linke Volkspartei, eine inhaltliche Veränderung erwarte er nicht.

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