Graz-Wahl 2026

Politikforscher: "Die Stadt ist unberechenbar"

28.12.2025

Im September nächsten Jahres wird in der zweitgrößten Stadt Österreichs ein neuer Gemeinderat gewählt.

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Graz. Mit der Grazer Gemeinderatswahl im - voraussichtlich - September 2026 steht neben der St. Pölten-Wahl der einzige größere Urnengang im kommenden Jahr an. Spannend ist die Ausgangslage unter dem Uhrturm: Mit Elke Kahr hat eine Kommunistin den Bürgermeistersessel inne, den ihr die entthronte ÖVP abjagen will. Die FPÖ hat eine Parteiabspaltung und die Finanzcausa zu verkraften. Gewiss ist in Graz kein Wahlausgang, so ein Grazer Politikforscher: "Die Stadt ist unberechenbar."

Alleine schon das Wording bezüglich der Personen in Grazer Gemeinderatswahlkämpfen sei schon interessant, sagte Heinz Wassermann, Politikforscher und assoziierter Professor an der steirischen FH Joanneum im Bereich Journalismus und Digitale Medien, zur APA. "Der frühere KPÖ-Frontmann Ernest Kaltenegger war der Ernstl, seine Nachfolgerin Kahr die 'Elke'". Der langjährige ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl sei immer "der Nagl" gewesen. Ähnliches gelte für die Grüne Vizebürgermeisterin Judith Schwentner und den ÖVP-Stadtrat und Spitzenmann Kurt Hohensinner - hier seien die Vornamen außerhalb der eigenen Partei kaum in Gebrauch.

Positionen und Aussichten der Parteien

Zu den Positionen und Aussichten der einzelnen Parteien sagte Wassermann, der KPÖ könne man zugutehalten, dass in den Budgets (verantwortet von Stadtrat Manfred Eber, Anm.) trotz der Finanzlage der Stadt nicht brachial gespart wurde. Kahr verfüge trotz leerer Kassen über Ansehen in weiten Bevölkerungsschichten. Doch trotz der Beliebtheit der Führungsfiguren einst und jetzt - die KPÖ sei eine beinharte Kaderpartei.

Interessant sei die Situation bei der ÖVP seit der Wahl gewesen. Bis etwa zwei Jahre nach der GR-Wahl Ende September im Jahr 2021 sei man beleidigt wegen der Abwahl gewesen. Dann sei man offenbar auf Kahr- und Schwentner-Kritik eingeschwenkt, wegen deren Wirtschafts- und Verkehrspolitik und angeblicher mangelnder Kommunikationsfähigkeit etwa wegen der Baustellen bei der Errichtung der neuen Straßenbahn-Neutorlinie. Ob das bei zwei Frauen funktioniere, lasse sich empirisch nicht belegen. Es könne auch ins Auge gehen. Jedenfalls erinnere es an die Auseinandersetzungen zwischen SPÖ-LHStv. Peter Schachner-Blazizek und Landeshauptfrau Waltraud Klasnic (ÖVP), sagte Wassermann. Schachners "Tante Waldi"-Anwurf kam den Wahlergebnissen zufolge wohl nicht gut an, ihr gelassener "Dann habe ich nun einen Neffen"-Konter hingegen offenbar schon.

Harte Jahre für die FPÖ

Die Freiheitlichen als klassische Jojo-Partei hätten in den Jahren seit der Wahl im Gefolge der Finanzcausa einen Absturz samt Parteiausschlüssen erlebt, mit nur einem verbliebenen blauen Mandatar. Es sei relativ egal, wer der freiheitliche Spitzenkandidat (René Apfelknab, Anm.) sei und was er sage. Der Indikator werde wohl sein, wie sehr sich der blaue Landeshauptmann Mario Kunasek im Grazer Wahlkampf engagiere. Den Ex-Blauen und rührigen jetzigen Klubobmann der Abspaltung Korruptionsfreier Gemeinderatsklub (KFG) Alexis Pascuttini könne man durchaus als den Duracell-Hasen der Stadtpolitik bezeichnen. Die Chancen der Blauen bei der GR-Wahl ließen sich nicht so recht einschätzen. "Dafür ist Graz zu unberechenbar", so der Politikforscher. Spannend werde es, wenn es zu Anklagen oder gar Urteilen bei involvierten blauen Politikern komme.

Die einst stolze Bürgermeisterpartei SPÖ habe schon bei der bisher letzten Wahl 2021 das Image des Beiwagerls gehabt. Es sei als dritte und kleinste Partei der Rathauskoalition schwierig, Pflöcke statt Pflöckchen einzuschlagen, noch dazu, da die Sozialdemokratie keine Stadtsenatsposition innehabe. Natürlich stehe bzw. stand die SPÖ für Bildung, Jobschaffung, Soziales. "Aber diese Themen sind alle vergeben bzw. von den anderen Parteien glaubwürdig besetzt", sagte der Politikforscher.

Grüne Verkehrspolitik

Was die Grünen angehe: Bei der Verkehrspolitik hätten die Grazer das bekommen, was gewählt wurde - Ausbau des Öffi-Verkehrs, Radwege, Wegfall von Parkplätzen. Allerdings sei dies eine extrem polarisierende Politik, die nur das Kernklientel begeistere und keine Leihstimmen lukriere. Dabei seien auch handwerkliche Fehler passiert, etwa in der Kommunikation oder überhaupt der Notwendigkeit von gesetzten Verkehrsmaßnahmen, Stichworte Marburger Straße oder Schönaugasse.

Den Grazer NEOS wurde von Wassermann ein bemühter Spitzenmann und Kontrollausschuss-Vorsitzender, Philipp Pointner, attestiert. Dieser habe es als Gesicht der kleinsten Gemeinderatspartei (2 im 48-köpfigen Gemeinderat, Anm.) nicht leicht, Themen außer Bildung zu setzen. Diesbezüglich ist Pointner allerdings zuletzt mit einem selbstironischen Plakat-Sujet zum Thema Bildung aufgefallen. Theoretisch müssten die NEOS in einer Stadt wie Graz eine Rolle spielen können, sagte Wassermann.

Klamme finanzielle Lage

Probleme in Graz alleine finanziell zu lösen sei schwierig. Da sei man aufgrund der allgemeinen Finanznöte "einbetoniert" und allen Parteien und Ebenen mehr oder weniger die Hände gebunden - auch dem Land, das sich in den vergangenen Jahren an Infrastrukturprojekten wie etwa dem Tram-Ausbau beteiligt habe. Grundsätzlich sei Graz aber eine ausgesprochen attraktive und lebenswerte Stadt, obgleich Industriebetriebe schwächeln würden, dies aber auch landesweit. Die KPÖ als stärkste Partei der Rathauskoalition habe keine leichte Finanzlage übernommen, sagte der Politikforscher. Den Vorwurf, dass Wirtschaft und Innovation keine große Rolle spielten, müssten sich die Kommunisten aber gefallen lassen. Denn das Geld für den sozialen Bereich müsste ja erst verdient werden.

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