Rudolf Leopold

"Werde gegenüber Kunst nie müde sein!"

06.05.2009

Der Kunstsammler über Lieblingskünstler, den Markt und absolute Schönheit

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Vor ein paar Jahren, 2004, wenn ich mich recht erinnere, war ich im Leopold Museum, um neben einer großartigen Ausstellung von Goyas Radierungen eine überraschende Schau zu Schieles Landschaften und Stadtansichten zu sehen, eine Facette seines Werks, die man bisher nicht kannte. Normalerweise denken die Leute eher an Schieles Studien zur menschlichen Figur.

Frage: Wenn Sie an die unterschiedlichen Interessen und Phasen in Schieles Schaffen denken, gibt es für Sie eine bevorzugte Periode, einen Hauptfokus? Wenn ja, welchen und warum gerade diesen?
Rudolf Leopold: Insgesamt bevorzuge ich Schieles expressionistische Periode, die von 1910 bis 1915 statt fand. Dabei erfand Schiele seinen ganz persönlichen Expressionismus. Die Figurenkompositionen dieser Zeit sind oft provozierend und exaltiert, jedoch sind ihre Bewegungen und Stellungen ein Ausdruck innerer Befindlichkeiten. Zudem kann Schiele in das Wesen der unbelebten Dinge eindringen, indem er in einem alten verfallenen Haus das Gleichnis des Menschenschicksals hinein komponiert. Ein kahler kleiner Baum lässt in der Stellung seiner Äste einen Todestanz nachempfinden.

Frage: In Ihrer Sammlung spürt man das Vergnügen an Kunstwerken, die die Masse für gewöhnlich nicht versteht. Interessieren Sie sich generell mehr für „das Andere“, das „Unbekannte“ oder ist das reiner Zufall?
Leopold: Ich liebe Kunstwerke mit starker Aussage, wo tiefe geistige Empfindung durch eine geniale Begabung ausgedrückt wird, oft verschlüsselt und als Metapher: z.B. Alfred Kubin, Henri de Toulouse-Lautrec, Francisco Goya, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz und natürlich Egon Schiele und die frühen Werke des Oskar Kokoschka.

Frage: Die wichtigsten Kunstströmungen wurden meist erst nach dem Tod des Künstlers anerkannt... Ich denke man kann also sagen, dass ein Sammler in gewisser Weise, aufgrund seines Gespürs, seiner Fähigkeit ein Kunstwerk zu verstehen und zu fühlen, was der Künstler mitteilen wollte, eine Art Künstler darstellt, der die Menschen hilft all diese Dinge zu verstehen. Stimmen Sie diesem Gedanken zu?
Leopold: Ja, da stimme ich zu.

Frage: Können Sie, völlig subjektiv, definieren, was für Sie der Begriff „Wiener Moderne“ bedeutet und welche Rolle sie für die moderne Kunst spielt?
Leopold: Nach den französischen Impressionisten, nach Van Gogh und Cézanne herrschte in Österreich noch immer eine konservative, historisierende Kunstrichtung vor. Der erste, der den Schritt in die Moderne tat, war Gustav Klimt mit seinen Fakultätsbildern und mit dem für die Beethovenausstellung entstandenen Fries in der Secession, 1902. Die Wiener Moderne basiert auf einem neuen Lebensgefühl, es kommt zu einer Erneuerung alles bisher Gefühlten und Gedachten, ein totaler Umbruch, ein Auftakt in eine neue Zeit alle geistigen Gebiete durchdringend: Kunst, Musik, Literatur, Architektur, Wohngefühl und Mode. Die Wiener Werkstätte erschuf das Gesamtkunstwerk. Leider ging durch den Ersten Weltkrieg und durch die wirtschaftlichen und politischen Geschehnisse der nachfolgenden Jahre vieles wieder verloren und ist erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts langsam neu entdeckt worden und bedeutet heute Österreichs Beitrag zur Weltkunst. Meine Kunstsammlung spiegelt dieses Phänomen und im Leopold Museum wird diese Kulturgeschichte anschaulich und erlebbar gemacht.

Frage: Welche Meinung haben Sie vom Kunstmarkt?
Leopold: Auf dem Kunstmarkt ist nicht wichtig, ob ein Kunstwerk gut oder schlecht ist, wichtig ist der große Name. Der bestimmt den Preis. Sehr viele Kunstsammler werden von Marktexperten beraten und so ist nicht die Qualität, sondern der Name des Künstlers für einen Kauf ausschlaggebend.

Frage: Wenn man das Werk eines Künstlers erforscht, findet man dessen Wurzeln für gewöhnlich in seiner Biographie bzw. in der Vergangeneit. Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach das künstlerische Erbe für einen Künstler?
Leopold: Schiele und Kokoschka setzen sehr wohl bei der Kunst des Wiener Jugendstils an, befreien sich aber in ihrer Entwicklung vollkommen von jeder Art von ästhetizierender Tendenz. „Ich bin durch Klimt gegangen, aber heute bin ich ein ganz anderer.“ (Egon Schiele, 1910).

Frage: Existiert eine absolute Schönheit oder beruht Kunst auf persönlichen ästhetischen Vorlieben?
Leopold: Es existiert eine absolute Qualität. Diese zu erkennen half mir, Schiele zu entdecken, als die Welt ihn noch nicht anerkannte.

Frage: Ist heute noch Platz für Gemälde oder hat die zeitgenössische Kunst deren Rolle verändert und sie in eine komplexere, expressive Bedeutung umgewandelt?
Leopold: Die Menschen werden Bilder und Farben immer lieben, aber es ist der zeitgenössischen Kunst unbenommen, neue Wege zu suchen und diese zu gehen.

Frage: Ist der Erwerb von Kunstwerken heute vorwiegend eine Investition oder gibt es noch immer Personen, die Kunstwerke zum Wohle der Kunst kaufen?
Leopold: Abgesehen von ihrer finanziellen Kaufkraft gibt es immer noch Menschen, die auf vieles andere verzichten um einen bewunderten Gegenstand zu besitzen.

Frage: Ein Künstler ist eng mit seiner sozialen oder öffentlichen Rolle verbunden. Weiß ein Künstler wie wichtig die damit verbundene Verantwortung ist?
Leopold: Es ist sehr gut, dass ein Künstler nicht an seine soziale oder öffentliche Rolle denkt. Er soll sich auch keiner Verantwortung bewusst sein, sondern in seinem eigenem Können, seinen eigenen Wünschen, mit seinem eigenen Talent einen Weg gehen, den er für richtig hält.

Frage: Die Augenscheinlichkeit einer visuellen Botschaft ist einmal mehr, einmal weniger offensichtlich, aber in jedem Fall erreicht sie jeden. Meinen Sie, dass die Masse „verschult“ werden soll oder ist es in Ordnung, dass die künstlerische Botschaft nicht jeden erreicht?
Leopold: Ich glaube, dass „Kunst erkennen“ das Talent voraus setzt, den Schaffensprozess des Künstler nach zu empfinden, man kann aber auch etwas weiter geben. Ein Liebhaber, der mit großem Interesse viel gesehen hat, wird bis zu einem gewissen Grad die Qualität empfinden lernen. Ein Kunstwerk lässt oft verschiedene Blickrichtungen zu, sei es vom Motiv, von der Aussage her, von der Stimmung, von den Farben. Das Rezept ist also Leidenschaft und Schauen, Schauen, Schauen, vor allem Originalwerke.

Frage: Es scheint mir, dass Gegenwartskünstler mehr an den Markt denken, wenn Sie Kunst produzieren. Stimmen Sie diesem Gedanken zu? Glauben Sie, dass es sich um ein Problem der heutigen Zeit handelt oder betrifft das alle Künstler in allen historischen Epochen?
Leopold: Je mehr ein Künstler auf den Markt schielt, desto weniger Kunst wird er produzieren; Er sollte aus sich selbst schöpfen, aus seiner Kreativität. Andererseits wird er auch von etwas leben wollen, so dass es notwendig sein wird auf dem schmalen Gratweg zwischen Kunst und Markt zu gehen. Wahrscheinlich war das immer so.

Frage: Wenn Sie ein Kunstwerk aussuchen sollten, das stellvertretend für die letzten hundert Jahre steht, dass eine Synthese dieser 100 Jahre darstellt, welches Werk würden Sie auswählen?
Leopold: Ich würde drei Werke wählen: Gustav Klimt, Tod und Leben; Egon Schiele, Die Eremiten; Oskar Kokoschka, Tre Croci – Dolomitenlandschaft.

Frage: Sie sind Direktor eines der bedeutendsten Museen der Welt. Lieben Sie ihre Aufgabe noch? Fühlen Sie eine gewisse Müdigkeit gegenüber der Kunst und Sonderausstellungen?
Leopold: Gegenüber der Kunst werde ich nie müde sein. Sonderausstellungen mache ich immer mit großer Begeisterung nur würde ich ein viel größeres Budget brauchen.

Frage: Unterstützen Sie junge Künstler?
Leopold: Wenn sie gute Bilder malen...

Frage: Welches ist rückblickend das wichtigste Kunstwerk, das Sie je gekauft haben?
Leopold: Die Eremiten von Egon Schiele.

Lust auf Kunst bekommen? Hier geht es zum Leopold-Museum

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