Er brachte 77 Menschen um

Breivik: Er lacht. Er weint. Er höhnt.

16.04.2012

Der 33-jährige Anders Behring Breivik gibt die Taten zu, plädiert aber auf unschuldig.

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Es ist ein einziger, eisiger Blick in den Abgrund: Anders Behring Breivik, 33, sitzt stoisch im Gerichtssaal 250 im Thingus von Oslo, hört regungslos zu, wie die junge Staatsanwältin Inga Bejer Engh (41) ein schauriges Detail nach dem anderen über sein Verbrechen vorträgt.

Die Frau muss immer wieder unterbrechen. Zu grauenhaft sind die Details. Im Zuschauerraum (durch Panzerglas getrennt) brechen Angehörige in Tränen aus. Verlassen den Raum. Jeder ist betroffen, auch ich: „Er widert mich nur an“, sagt Stian Petter Löken, 21, ein Überlebender des Massakers von Utoya zu mir. Dabei krampft Löken seine Hände zur Faust, er atmet laut, wie meisten der 180 Angehörigen und Journalisten im Gerichtssaal.

Wie verrückt ist Breivik? Um das zu dokumentieren, zeigt das Gericht einen Film, den der Massenmörder selbst gedreht hat. Es ist sein Manifest. Sein Hassvideo. Das Video soll zeigen, welche Gefahr Breivik in Islam und Multikulturalismus sieht.

Video So weint der Oslo-Killer vor Gericht:

Der Killer weint bei seinem eigenen Hassvideo
Ansatzlos bricht der Killer in Tränen aus. Seine schmalen Lippen zittern. Erst nach einer Minute hat er sich wieder im Griff. Es bleibt sein einziger Gefühlsausbruch. Hochgeladen hat er das Video im Internet, bevor er am 22. Juli 2011 77 Menschen tötete.

Schon beim Prozessauftakt zeigte Breivik, das nichts als Hass in ihm steckt: Als ihm Polizisten die Handschellen abnehmen, schlägt er seine rechte Faust aufs Herz. Dann streckt er die Faust den Zusehern entgegen: eine Art Hitlergruß. Er murmelt weinerlich: „Ich gestehe, die Taten begangen zu haben, aber ich bekenne mich nicht schuldig.“

Unfassbar – Breivik beruft sich auf Notwehr. Die Regierung habe „eine multikulturelle Gesellschaft zugelassen“, sagt er. Dagegen wollte er sich wehren.

Breivik wird den Prozess für seine Hasstiraden nützen. Das steht jetzt fest und genau davor fürchten sich viele Hinterbliebene.

Lisbeth Røyneland, Mutter der getöteten Synne (†18), sagt zu ÖSTERREICH: „Zuerst war ich erleichtert, dass man ihn lebend gefasst hatte. Aber jetzt fürchte ich den Prozess, jetzt wünschte ich, man hätte ihn erschossen.“

Hintergrund: So läuft der Breivik-Prozess in den nächsten Wochen ab:

Nächste Seite: Der 1. Prozess-Tag. Alle Infos im Live-Ticker unseres Reporters Karl Wendl


© APA

15:15 Uhr: Geir Lippestad, Breiviks Anwalt, kündigt an, dass Breivik am Dienstag ein ca 30-minütige Erklärung abgeben wird. Mit diesen Worten ist der erste Verhandlungstag beendet. Breivik werden die Handschellen angelegt - dann wird er aus dem Gericht geführt.

14:50 Uhr: Breiviks Verteidiger ist nun am Wort. Er legt erneut dar, das sich sein Mandant für "nicht schuldig" erklärt.

14:38 Uhr: Es geht weiter. Die Pause ist beendet, Breivik ist zurück im Gerichtssaal. Der Staatsanwalt fährt mit seinen Ausführungen fort.

14:15 Uhr: Jetzt werden Breivik wieder die Handschellen angelegt. Er wird aus dem Gericht geführt. Es folgt eine 20-minütige Pause.

14:04 Uhr: Nun wird Breiviks Anruf bei der Polizei eingespielt. Der Killer hatte sich bei den Behörden gemeldet. Er gab an, Mitglied einer "Widerstandsbewegung" zu sein. Er habe Menschen getötet und wolle sich nun ergeben. Im Gericht verfolgt Breivik höchst aufmerksam die Ausführungen des Staatsanwaltes.

13:51 Uhr: Vor dem Gerichtsgebäude haben Angehörige Rosen angebracht.:

© AP

(c) AP

13:35 Uhr: Der Staatsanwalt legt nun detailliert den Tatablauf auf der Insel Utøya dar. Die Namen der Opfer werden verlesen. Minute für Minute wird geschildert.

13:29 Uhr: Auf den Filmaufnahmen ist zu sehen, wie die Bombe in Oslo explodierte. Eine Frau irrt in dem Video orientierungslos hin und her. Breivik schaut sich den Clip hochkonzentriert an. Eine Animation zeigt nun, wo genau die acht Personen lagen, die bei der Explosion ums Leben kamen.

13:11 Uhr: Nun rückt der 22. Juli 2011 in den Mittelpunkt der Verhandlung.  Staatsanwalt Sveinn Holden will einen Film über den Tatablauf zeigen. Breivik hört aufmerksam zu, kratzt sich zwischendurch immer wieder am Kinn.

13:00 Uhr. Die Pause ist beendet. Breivik ist wieder im Gerichtssaal. Der Prozess geht weiter.

12:00 Uhr: Die Verhandlung wird nun für eine einstündige Mittagspause unterbrochen. Ein junges Mädchen ist soeben  in der Prozesspause zusammen gebrochen und wird medizinisch betreut. Alle Infos zu der Stimmung im Gerichtssaal finden Sie hier >>

11:41 Uhr: Nun werden mehrere Fotos gezeigt: Zu sehen sind Aufnahmen von Breiviks Hof sowie die Materialien, mit denen er die Bombe baute. Der Staatsanwalt beschreibt detailliert die Bauweise der Bombe, die Breivik im Osloer Regierungsviertel zündete. Auch ein Video wird gezeigt, das Breivik selbst produzierte. Breivik kommen dabei die Tränen, als er seinen Clip sieht:

11:12 Uhr: Der zweite Staatsanwalt Svein Holden schildert weiter detailiert die Lebensgeschichte von Anders Behring Breivik: Diplomatensohn, Einzelgänger, gescheiterter Internetunternehmer, eine verkrachte Existenz. Im Zuschauerraum treffe ich Marianne Tveitan, 52, eine Ärztin. Sie war die Nachbarin von Familie Breivik im Osloer Stadtteil Silkestra, eine gut bürgerliche Gegend. Sie erzählt: "Zu seinem Vater hatte Breivilk kaum Kontakt. Er ist Diplomat, arbeitet für die OECD in Paris, lebt in Frankreich.  Seine ältere Schwester ist schon vor Jahren nach Malibu ausgewandert, Kalifornien. Mit ihr telefonierte er regelmäßig. Schon als Jugenlicher wirkte er völlig verschlossen. Er trug Militär und Polizeiuniformen, vermied jeden Kontakt zu Nachbarn." Breivik sei völlig fixiert auf seine Mutter gewesen: "Eine elegante Frau, eine ehemalige Krankenschwester, doch sie trank viel, nahm schwere Medikamente, hatte dauernd wechselnde Beziehungen zu zahlreichen Männern".

11:06 Uhr: Am Wort ist Staatsanwalt Holden: Er trägt nun das Leben Breiviks vor: Als er das Wort "Knights Templar" erwähnt, grinst Breivik wieder. Er notiert sich akribisch alles.

11:05 Uhr: Es geht weiter. Die Verhandlung wird nach einer kurzen Pause fortgesetzt.

10:30 Uhr: Breivik hat die Taten zugegeben, sich aber "nicht schuldig" bekannt. Wörtlich: "Ich gebe die Taten zu, bekenne mich aber nicht strafschuldig", so der Massenmörder.

10:20 Uhr: 1. Unterbrechung
Richterin Wenche Elizabeth Arntzen unterbricht für 20 Minuten. Breivik steht auf, ein Polizist legt ihm Handschellen an. Stehend wartet er darauf, aus dem Saal gebracht zu werden. Vor dem Saal 250 die Angehörigen der Opfer. Sie wirken geschockt, manche empört. Sie werden an den Journalisten vorbei geführt, wollen nicht gestört werden.

10:19  Uhr. Die Saatsanwältin liest den Namen eines 17jährigen Mädchens vor. Sie wurde von vier Kugeln getroffen, konnte sich ins Wasser retten. Breivik verfolgte das Kind, feuerte weiter. Das Mädchen konnte sich auf einen Felsen retten. Zwei Stunden wartete dort auf Hilfe. Sie überlebte. Breivik bleibt auch bei diesem Fall völlig ungerührt. Er greift zu einer Wasserfalsche, schenkt einen Schluck ein, trinkt.
Es ist der letzte Fall, der verlesen wird.

 

(c) Reuters

10:18 Uhr: Es wird immer bedrückender, schrecklicher, es ist ein einzigartiges Protokoll des Grauens, das Staatsanwältin Inga Beyer Engh vorliest.Sie zählt die Namen jener 104 Jugendlichen auf, die von Breivik auf der Insel Utoya hingerichtet oder schwer verletzt wurden: "Slje Stanneshagen, 18: Die Kugel schlug in ihre Stirn ein, trat am Hinterkopf wieder aus. Das Opfer starb an Schussverletzungen am Kopf". Dann das nächste Opfer: "Corinna Borgund, 18: Zwei Schüsse in den Kopf, ein Bauchschuß, ein Schuß in die Hüfte". Breivik bleibt völlig ruhig, nur manchmal nagt er an seiner Unterlippe. Ganz anders im Zuseherraum: Manche Angehörgen weinen, halten sich vor Schrcken die Hände vors Gesicht.

10.08 Uhr: Jetzt ist die Staatsanwältin bei Opfer Nummer 46: Eva Katharina Lütnen,17: Kopfschuß. Von hinten. Die Kugel trat durch den Hals aus." Opfer Nummer 47: Hnrik Rasmussen, 18: "Schuß ins Gesicht, Treffen an den Händen". Offensichtlich wollte sich dr Schüler verzweifelt schützen, hat die Hände vors Gesicht gerissen, bevor Breivik feuerte.

10:06 Uhr: Immer wieder schließt Breivik die Augen. Zwischendurch schaut es fast so aus, als würde er schlafen. Doch dann reißt er plötzlich wieder die Augen auf. Selbst bei den schlimmsten Beschreibungen bleibt er aber völlig ungerührt. Die Zuseher im Saal 250 sind fassungslos. Ein junger Mann, der  das Utoya Massaker überlebt, sagt: "Das ist kein Mensch".  Der heute 20jährige wurde von sechs Kugeln getroffen, eine durchschlug seine Hüfte, seither geht der 20jährige auf Krücken: "Ich dachte nicht, dass ich das überleben werde".
 

 

09:55 Uhr: Seit fast einem Jahr ist die Staatsanwältin mit dem Fall beschäftigt, kennt die Details des Massakers. Doch beim Verlesen der Totenliste stockt ihre Stimme. Immer wieder muss sie zwischendurch schlucken.

09:43 Uhr: Hinter Glas im Saal sitzen etwa 90 Angehörige der Opfer und Überlebende des Massakers. Für sie alle ist es jetzt gerade besonders schwer zuzuhören, wie die Staatsanwältin die Todesumstände der Opfer schildert. Viele weinen, trösten sich gegenseitig.

© Reuters

09:25 Uhr: Die Staatsanwältin liest nun die Namen aller Toten und der Schwerverletzten vor. Breivik hört zu, oft hält er seinen Kopf schief. Zwischendurch schließt er immer wieder die Augen.

09:19 Uhr: Jetzt müssen die Fotografen den Saal verlassen.

09:15 Uhr: In seinem Statement erklärt Breivik, dass er das Gericht nicht anerkennt. "Ich erkenne das Gericht nicht an, weil es sein Mandat von Parteien hat, die die Idee des Multikulturismus unterstützen. Weiters sind Sie eine Freundin von Gro Harlem Brundtland (Anm: frühere Ministerpräsidentin).

09:06 Uhr: Jetzt erteilt die Richterin dem mutmaßlichen Killer das Wort. Breivik erhebt sich und spricht. Seine Stimme ist weinerlich.

 

09:01 Uhr: Die Verhandlung ist eröffnet. Die Richterin erklärt das Verfahrensprocedere. Die Anklageschrift wird verlesen. Breivik lächelt immer wieder. Sein Gesicht ist blass, sein Scheitel akkurat gezogen.

 

08:55 Uhr: Jetzt wird Breivik in den Gerichtssaal geführt. Er trägt einen schwarzen Anzug.Sicherheitskräfte nehmen ihm die Handschellen ab. Dann erhebt er die Hand zu einer Art Hitlergruß. Ein Raunen geht durch den Saal.

08:44 Uhr: Der Medien-Andrang ist gewaltig. 1.400 Journalisten, Reporter und Kameraleute belagern das Gericht in Oslo. Soeben ist der Transporter  mit Anders Behring Breivik bei Gericht eingetroffen.

08:30 Uhr: Breivik wurde um 6:30 Uhr aus dem Hochsicherheitsgefängnis in einem gepanzerten Konvoi abgeholt.

ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl ist in Oslo: Hier sein Bericht:

„Das Wichtigste ist, dass er nie mehr rauskommt“, sagt die junge Frauen zu mir und wischt ihre Tränen weg: „Er hat meine Schwester ermordet, sie war erst 16“. Zitternd steht Jette (24) vor einer stählernen Absperrung im Zentrum Oslos. Sie hat einen Strauß Rosen in der Hand. Vor ihr das Bezirksgericht am Hombross Plass 4.

Das Gericht ist abgeriegelt, Satellitenwagen aller TV-Stationen sind in einer Nebenstraße geparkt. 800 Journalisten sind angereist. Für den Prozess des Jahres haben die Norweger sogar einen eigenen Gerichtssaal gebaut. 13 Millionen Euro kostete der Aufwand bisher. „Es wäre besser gewesen“, weint Jette, „sie hätten ihn auf der Insel erschossen.“ Sie spricht damit aus, was die meisten Norweger denken.

Täter ist der Meinung, er habe in Notwehr gehandelt
Killer Breivik, ein Diplomatensohn und Einzelgänger, wird im Prozess auf „Unschuldig“ plädieren. Er kennt keine Reue, hat bis heute kein Mitleid mit den Opfern: „Es tut ihm leid, dass er nicht noch mehr Menschen umgebracht hat“, erzählt Vibeke Hein Baera (47), eine der vier Breivik-Anwälte aus der Kanzlei Lippestad. Das sei zwar absurd, sagt sie, aber sie müsse im Auftrag ihres Mandanten auf Freispruch plädieren: „Anders Breivik ist der Meinung, er habe in Notwehr gehandelt.“

Er wollte Europa von der „Islamisierung“ befreien. „Für alle, die das anhören müssen“, sagt Trond Blattmann, „wird das eine schwere Prüfung“. Blattmann ist Vorsitzender des Vereins der Opfer, er hat seinen 16-jährigen Sohn bei dem Massaker am 22. Juli 2011 auf der Insel Utoya verloren: „Papa, Papa, er schießt auf uns, was sollen wir tun?“, hat sein Sohn ins Handy gerufen.

Trotz des Hasses, den Blattmann auf den Mörder seines Sohnes empfindet, hält er einen fairen Prozess gegen den Killer für gut: „Es ist schwer für uns, aber wir wollen die Konfrontation“. 61 Überlebende des Massakers werden aussagen. Die meisten zwischen 16 und 18 Jahre jung. Niemand weiß, was das bei den Opfern auslösen wird.

Dennoch bietet Norwegen Breivik diese Plattform: Fünf Tage lang wird ihm gleich zu Beginn des Prozesses Gelegenheit gegeben, seine Hasstirade loszulassen. Nochmals darf er seinen monströsen Hass und Wahn ausbreiten. Schon jetzt warnt Anwältin Beara: „Es wird zu vielen provozierenden Aussagen kommen“, ist sie überzeugt. Warum sie dem Killer dennoch beisteht: „Weil jeder ein Recht auf ein faires Verfahren hat.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie das Opfer Alexandra Peltre (18) dem Oslo-Killer in die Augen sah

 

 

 


Opfer: "Ich sah ihm in die Augen und - peng!"

Sie hat den Schock immer noch nicht überwunden. Alexandra Peltre (18) war auf der Ferieninsel Utoya, als das Massaker geschah: „Zuerst hörte ich die Schreie, dann fielen Schüsse. Ich dachte, es hört nie auf.“ 69 Jugendliche starben im Kugelhagel des norwegischen Killers.
Ein Freund wurde direkt neben ihr erschossen
Alexandra versteckte sich mit Freunden, als sie die Schüsse hörte. Plötzlich stand Anders Breivik direkt vor ihr. Sie glaubte an ihre Rettung, denn er trug eine Polizei-Uniform. Das Mädchen kam langsam aus ihrem Versteck: „Ich sah ihm genau in die Augen und – peng! Da hatte ich ein Loch im Fuß.“ Ein Freund starb direkt neben ihr – niedergestreckt durch etliche Schüsse.
Noch immer zittert Alexandras Stimme, wenn sie über den blutigen Nachmittag am 22. Juli erzählt: „Es gibt viele Tage, an denen ich sehr, sehr traurig bin.“
Für Überlebende wie Alexandra beginnen nun harte Wochen. Auch sie muss vor Gericht auftreten – als Zeugin gegen den irren Killer.
Angst verspürt sie, wenn sie an ihre Aussage denkt. Sie wird vor Gericht dem Attentäter direkt in die Augen schauen müssen. Dem Mann, der viele ihrer Freunde kaltblütig erschossen hat. „Danach wird es hoffentlich leichter sein, mit dem zu leben, was passiert ist“, sagt sie.

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