Leben mit der Trauer

Claudia Haider: "Der Schmerz bleibt immer"

01.11.2008

Bisher hat Kärntens Landesmutter geschwiegen. In ÖSTERREICH erzählt sie erstmals, wie sie mit der Trauer lebt.

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© Reuters
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Er war auf dem Weg zu seiner Familie. Seiner Frau, seinen Töchtern, seiner verehrten Mutter, deren 90. Geburtstag sie feiern wollten – doch er kam nie an. Drei Wochen sind vergangen, seit Jörg Haider am 11. Oktober gegen 1.18 Uhr in den Tod raste. Trotzdem: Sein Ableben bewegt noch immer, wie ÖSTERREICH aus Tausenden Reaktionen von Lesern per Telefon, E-Mail, Internet-Postings weiß.

Haiders Witwe Claudia kann noch nicht loslassen. Vielleicht gelingt ihr das nie ganz. Dafür sind die gemeinsamen Erlebnisse aus 32 Ehejahren zu stark. „Sein Tod hat eine große Leere in mir hinterlassen, dass ich gar nicht weiß, wie ich meine Trauer in Worte fassen soll. Er fehlt mir so sehr. Er war so galant, so ein aufmerksamer Mensch, das kann man sich gar nicht vorstellen. Manchmal hoffe ich, dass er mich anruft und ich ihn vom Klagenfurter Flughafen abholen soll.“

ÖSTERREICH hat vor wenigen Tagen mit Claudia Haider telefoniert. Es war ein langes, intensives Gespräch, bei dem ihre Trauer immer greifbar war. Jörg Haiders Tod hat eine Wunde bei der Landesmutter Kärntens hinterlassen. Eine Wunde, die vielleicht nie heilen wird.

Als Witwe hat Claudia Haider nun ein doppelt schweres Schicksal zu meistern – sie muss ihre Trauer bewältigen. Gleichzeitig will sie stark sein, um Jörg Haiders Vermächtnis zu wahren.

Trauerritual
Viele versuchen zu vergessen, verdrängen ihren Kummer. Claudia Haider will nicht so sein. Die tiefgläubige Waldpädagogin betreibt intensive Trauerarbeit. Es ist ein Ritual, das fast täglich stattfindet und zwei oder manchmal mehrere Stunden dauern kann. Sie setzt sich mit Freunden, der Familie zusammen, jemand aus der Runde erzählt etwas über Jörg, eine Geschichte, eine Erinnerung, die zu Tränen rührt. Der gemeinsam erlebte Schmerz befreit. Zumindest ein bisschen.

Ihre beiden Töchter Cornelia (28) und Ulrike (32) helfen ihr in diesen Stunden. Beide sind auch drei Wochen nach dem Unglück bei ihr.

„Ein Teil dieser Trauerarbeit ist, dass ich jedes Kondolenzschreiben selber beantworte. Handschriftlich. Es ist anstrengend, aber ich möchte jedem Einzelnen ein paar persönliche Gedanken schreiben. Ich nehme mir auch Zeit, um meiner Trauer Raum zu geben. Das ist mir wichtig. Gemeinsam mit Ulrike und Cornelia führe ich Gespräche über unseren Schmerz. Wir beten gemeinsam, und ich versuche, mich auch philosophisch dem Gedanken zu nähern, dass ich in Zukunft allein sein werde. Wie hat Ingeborg Bachmann gesagt: Mit der Zumutung wächst die Kraft.“

Und so erhält jeder, der Claudia Haider kondolierte, eine handschriftliche Antwort. Oder sie schreibt per E-Mail. An ÖSTERREICH etwa ein Zitat von Rainer Maria Rilke mit: „Wenn uns etwas fortgenommen wird, womit wir tief und wunderbar zusammenhängen, so ist viel von uns selber genommen. Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um den unendlichen Schmerz.“

32 Jahre glücklich
Genommen wurde Claudia Haider viel. Denn Jörg war die große Liebe ihres Lebens. Ihre Ehe basierte auf Grundwerten wie Loyalität, Freundschaft und Vertrauen. Sie war unumstößlich, bis zur Todesnacht am 11. Oktober, und ist es darüber hinaus. Jörg Haider wusste, dass Claudia ihn stets liebevoll unterstützte. „Mein Mann hatte eine facettenreiche Persönlichkeit, die es schaffte, aus den misslichsten Situa­tionen immer wieder aufzustehen. Ich habe es bewundert, dass er das eine wie das andere Mal ohne Gram und Verbitterung den Weg zurück schaffte. Jeder Tiefschlag hat ihn für mich als Mann noch weicher und reifer gemacht. Seine positive Lebenseinstellung hat ihm die Kraft gegeben, immer wieder hoffnungsfroh in die Zukunft zu schauen.“ Und noch etwas liebte Claudia Haider besonders an ihrem Mann: Dass sie ihn als Menschen mit Tiefgang erleben durfte. Nicht oberflächlich, wie man es Politikern zuschreiben würde. Sein Interesse, so Claudia Haider, war stets echt: „Er konnte auf Menschen eingehen, weil er wirklich an dem Leben seines Gegenübers interessiert war. Unsere Gespräche waren immer sehr intensiv. Jörg war ein aufmerksamer Zuhörer.“

Die beiden waren auch nach 32 Jahren ein harmonisches Team. Wie das funktionierte, beschreibt Claudia Haider mit Worten des Schriftstellers Reiner Kunze: „Rudern zwei im Boot, der eine kundig der Sterne, der andere kundig der Winde, führt der eine durch die Nacht, führt der andere durch die Stürme und am Ende, ganz am Ende wird das Meer der Erinnerung blau sein.“

Tiefer Glaube
Die Erinnerungen bleiben ihr, aber rudern und den Kurs vorgeben muss Kärntens Landesmutter in Zukunft alleine. Die Kraft dazu holt sie sich aus ihrer Nähe zu Gott. „Ich war immer schon gläubig, aber seit Jörgs Tod hat sich mein Glaube noch vertieft. Seither besuche ich jeden Sonntag den Gottesdienst.“ Einer ihrer wichtigsten Gesprächspartner und Vertrauten in diesen schweren Tagen ist der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari. Claudia Haider bat ihn, bei den Trauerfeierlichkeiten im Klagenfurter Dom auch das Requiem für ihren Mann zu halten.

Der Weg zurück ist schwer. Was früher schnell von der Hand ging, kostet nun unendlich viel Kraft. „Meine Töchter und ich haben beschlossen, ein paar Tage von daheim wegzufahren, um abschalten zu können. Wir wollten in ein Hotel gehen, auf andere Gedanken kommen und positive Bilder aufbauen. Aber schon beim Kofferpacken kamen mir die Tränen, weil mir bewusst wurde, dass ich das nun immer alleine machen muss.“ Claudia Haider lacht kurz auf, dann ist sie schnell wieder ernst, entschuldigt sich fast. „Es ist eine Art Galgen­humor, die einen manchmal überkommt.“ Die Trau­er ist schnell wieder da.

Große Anteilnahme
Den Wochenendtrip hat die Witwe mit ihren Töchtern trotzdem unternommen. Was Claudia Haider dann erlebte, war eine Welle des Mitgefühls. „Die Kellner und das gesamte Personal im Hotel haben sich besonders liebevoll um uns gekümmert, ich war sehr ergriffen.“ Egal ob die Witwe im Kaffeehaus sitzt oder in die Kirche beten geht, die Anteilnahme der Österreicher ist auch drei Wochen nach dem tödlichen Unfall nach wie vor enorm. „Als ich kürzlich in einem Kaffee­haus war, haben mich zwei Mädchen angesprochen, die mir unbedingt kon­dolieren wollten. Das hat mich sehr berührt, weil die beiden noch nicht einmal 20 Jahre alt waren.“

Das letzte Gespräch. In den letzten Wochen musste Claudia Haider viele Spekulationen rund um die letzten Stunden ihres verstorbenen Mannes ertragen. Sie selbst weiß allein, wann und wie das letzte Treffen mit ihrem Jörg verlaufen ist. „Ich bin froh, dass wir ein gutes Gespräch hatten. Wir haben viel gelacht.“

Seit dem 11. Oktober um 1.18 Uhr ist die Stimme von Jörg Haider für immer verstummt. Auch für Claudia Haider.

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