Der neue Ransmayr

Angst der Ewigkeit vor der Uhr...

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Der Autor der „Letzten Welt“ legt seinen neuen, blendenden Roman „Cox“ vor.

Keine Ewigkeit ohne Perpetuum mobile: Was nicht messbar ist, muss ein irdischer Herrscher nicht fürchten. Auch nicht der Kaiser von China. Österreichs größter lebender Autor, Christoph Ransmayr, hat mit dem neuen Roman Cox oder Der Lauf der Zeit ein schillerndes Porträt der Verbotenen Stadt des 18. Jahrhunderts vorgelegt, verpackt in eine Fabel über Macht und ihre Inszenierung. Und über die Beherrschung der Zeit durch die Mechanik.

Chinas Kaiser ist der 
mächtigste Mann der Welt

Als der britische Uhrmacher und Automatenbauer Alister Cox nach China eingeladen wird, um für den gottgleichen Kaiser Quianlong einen Auftrag auszuführen, treibt ihn die Neugier und die Trauer über den Tod seiner kleinen Tochter ins ferne Reich der Mitte. Dort herrscht, behütet von einem prunkvollen Hofstaat, der mächtigste Mann der Welt unerbittlich über alles, was sich beherrschen lässt – und einiges mehr.

Die Untertanen leben in den prächtigen Anlagen der Verbotenen Stadt sowie vor ihren Mauern in ständiger Furcht vor grausamen Bestrafungen, eingepasst in strikte Rituale und indoktrinierte Glaubenssätze zur Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwärtigkeit des Erhabenen: Jedes Mitglied des Reichs ist ein Teil eines akribisch konstruierten Uhrwerks, dessen Rädchen sich in konzentrischen Kreisen um den Kaiser drehen und nach innen alles Schöne und Kostbare transportieren.

Aber ein Uhrwerk ist es auch, das dem Kaiser Unruhe bereitet: Seine edle Sammlung von Uhren zu erweitern ist nicht der Grund, weshalb er Cox und seine Gefährten in die Verbotene Stadt geholt hat. Sondern es ist die Angst der Ewigkeit vor der Uhr. Der Unendliche möchte wissen, wie weit die Ingenieurskunst bei ihrem Versuch, über die Zeit zu herrschen, gediehen ist. Kann er, Cox, eine Uhr bauen, die das Vergehen der Zeit in der Kindheit misst, das flüchtige und doch endlose, das wellenförmig angespülte Stillstehen und Weiterrasen?

Eine Uhr misst die Zeit des zum Tode Verurteilten

Cox bietet all seine Künste auf, paart den Reichtum seiner Ideen mit dem der kaiserlichen Schatzkammern und erhält schon bald den nächsten Auftrag: eine Uhr, die die Zeit des zum Tode Verurteilten misst. Zu Recherchezwecken darf er mit zwei wegen falschen Diagnosen zur langsamen öffentlichen Verstümmelung verurteilten Ärzten in ihrem Verlies Gespräche führen.

Mit blumiger Erzähllust, die schon in ihrem Gestus in längst vergangene Zeiten und an exotische Orte führt, beschreibt Ransmayr das Prachtvolle und das Erschreckende, Detail um Detail, die Kostbarkeiten, die des Kaisers Macht ebenso effektvoll in Szene setzen wie die Grausamkeiten, gesteuert von den Launen eines Mannes, der sich selbst für das Maß der Ewigkeit hält. Als er schließlich den Auftrag erteilt, eine Uhr zu bauen, die für immer und fernab jeder Wartung und jedes Antriebs den Lauf der Zukunft misst, steht Cox vor der Frage, was ihn mehr in Gefahr bringt: Dass das Unmögliche nicht gelingt oder dass das Perpetuum mobile tatsächlich glückt – und die Allzeitigkeit des Kaisers in Zweifel zieht.

Mit seinem neuen Roman betätigt sich Ransmayr einmal mehr an der Schnittstelle von differenzierter Ethnologie und historischem Sensationstourismus, die er auch schon in früheren Büchern so meisterhaft zu Fiktion zu verarbeiten und mit dem Heute zu verknüpfen wusste. Sein China leuchtet in allen Farben – vor allem aber in Blutrot. Cox ist ein sprachgewaltiger exotischer Abenteuerroman.

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