Harte Landung

Pointner: Abrechnung des Königs-Adlers

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Ex-Skisprung-Trainer Alexander Pointner rechnet mit den heimischen Adlern ab.

Alexander Pointner (43) hat alles erreicht. Und dennoch ist ihm nichts geblieben: 2014 schied er als erfolgreichster Trainer unserer ÖSV-Adler aus. Sein Blick zurück ist nun aber nicht mit Freude, sondern im Zorn. Jetzt hat er in Buchform seine Abrechnung mit dem Skisprung-Team vorgelegt. Ob die Top-Adler Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern, ob ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel oder ÖSV-Sportdirektor Hans Pum: Mit ihnen allen hatte Pointner zuletzt seine Kämpfe, wie er im Buch „Mut zum Absprung“ beschreibt. Keinen lässt er aus der Verantwortung für sein berufliches Ende. Pointner: „Der Abschied vom Skisprungzirkus tat unheimlich weh.“

Lebensdrama
Doch Pointner, der ehemalige „König der Adler“, hat den allerhärtesten Kampf nicht im Job, sondern im Privatleben auszutragen: Seine Familie ist von Depressionen geplagt, wie er ausführlich erzählt. Zuerst erkrankte sein Sohn Max, dann rutschte Pointner selbst ins emotionale Tief – bis hin zu Gedanken an den Selbstmord. Er habe sich zu wenig um seine Familie gekümmert, hadert Pointner heute mit sich selbst. Ob die minutiöse Aufarbeitung seines Lebens in Buchform seiner Familie, seiner Frau Angela, seinen drei Töchtern und seinem Sohn Max, nicht noch mehr zusetzt, bleibt dahingestellt …

(iri)

 

Pointners Abrechnung

Der Rückblick
Wenn ich tiefer in meiner Seele grabe, dann geht es um Anerkennung, um das Sichtbarmachen dessen, was ich geleistet habe. Die zehn Jahre als Cheftrainer waren kein Lotto-Sechser. Wie überall, wenn jemand erfolgreich ist, war ein bisschen Glück dabei. Doch der Rest war harte Arbeit. (…) Der Abschied vom Skisprungzirkus tat unheimlich weh.

Probleme mit Morgi
Der Einzige, der fast nicht zu coachen war, blieb Thomas Morgenstern. Er hatte starke Stimmungsschwankungen, seine Wettkampf-Performance glich einer Wundertüte. (…)
Ich hatte meine Depression mithilfe von Therapiesitzungen und Medikamenten in den Griff bekommen. Noch wagte ich es allerdings nicht, die medikamentöse Unterstützung abzusetzen, denn meine berufliche Lage war nicht leichter geworden. Thomas verhielt sich mir gegenüber extrem distanziert. Nach der WM hatte er jede Kommunikation eingestellt. Es machte mir schwer zu schaffen, dass er seine privaten Schwierigkeiten auf einer so persönlichen Ebene mit mir austrug. Einerseits verstand ich ihn, andererseits bekam ich keine Chance auf eine Aussprache. Seine Zukunft war ungewiss, sein Privatleben Thema in den Boulevardmedien. Die ÖSV-Spitze hielt ebenfalls Abstand zu mir. Ich spürte, dass intern über mich und meine Krankheit geredet wurde, dass die Frage im Raum stand, ob ich wohl noch Leistung erbringen könnte.

Pums Vorwürfe
Alle schienen nur auf jenen Moment zu warten, der dann folgte: Hans Pum überschüttete mich mit einem Schwall an Vorwürfen, dem ich zu diesem Zeitpunkt nicht gewachsen war. Ich hätte die Sonderstellungen gewisser Athleten nicht unter Kontrolle, ich würde die Arbeit an die Stützpunkttrainer abgeben, die Beziehung Morgi–Silvia wurde allein mir angelastet und, und, und. Ich fühlte mich vor all meinen Mitarbeitern und den Gruppentrainern an den Pranger gestellt.

Über Gregor Schlierenzauer
Schon beim nächsten Wettkampf wendete sich das Blatt, Schlierenzauer gewann und ließ verlauten: „Ein Wolf biss wieder zu. Heute hat der Beste gewonnen.“ Ein Dreikampf zwischen Morgenstern, Schlierenzauer und Ahonen zeichnete sich ab. Unser Sport­psychologe führte lange Gespräche mit unseren beiden „Alpha-Tieren“, die sich teilweise auf eine völlig irrationale Ebene begeben hatten. Morgenstern etwa witterte eine große Verschwörung gegen sich, der ÖSV würde wollen, dass Schlieri gewinnt. Die Mannschaft kam durch diese Statuskämpfe nie zur Ruhe. (…)

Ich kam nach meinem Familienurlaub zur Saisonanalyse, und Ernst Vettori klärte mich darüber auf, dass Schlierenzauer mich als Trainer absetzen wollte. Er hatte diesbezüglich bereits mit allen anderen Athleten, Ernst und dem ÖSV-Präsidenten gesprochen. Ich fiel aus allen Wolken, doch die anderen Sportler, alle Betreuer und der neue nordische Direktor standen in dieser schwierigen Situation hinter mir. Für mich war Gregors Vorgangsweise eine schwere Demütigung, die mir viele schlaflose Nächte bereitete. (…)

Die Vorfälle gipfelten in dem Versuch Gregor Schlierenzauers, mich nach Saisonende als Trainer abzu­setzen – vermutlich, weil er nicht Olympiasieger geworden war.

Der Sturz
Thomas krachte mit Kopf, Nacken und Rücken auf den relativ flachen Vorbau und rutschte bewusstlos in die Tiefe. Der Sturz war fürchterlich mitanzusehen, es war der schlimmste Moment in meiner Karriere. Morgi wurde lange im Versorgungszelt behandelt, vor dem Abtransport in die Klinik bekam ich noch die Chance, ihn zu sehen. Er war bei Bewusstsein und nahm mich auch wahr. Doch obwohl er äußerlich ein ähnliches Bild bot wie bei seinem ersten Sturz, wusste ich, dass dieses Mal etwas Schlimmeres passiert war. Noch am Abend informierte mich ein Arzt über seinen Zustand: Er hatte ein Schädel-Hirn-Trauma und schwere Prellungen am ganzen Körper erlitten.

Beziehung zu Schröcks­nadel
Genauso schwer tat ich mir mit dem Umstand, kein Gespräch mit dem ÖSV-Präsidenten zu bekommen. Schließlich hatte es Jahre gegeben, in denen wir ständig persönlichen Kontakt gehalten hatten.

Ich machte kurzerhand bei seiner Sekretärin einen Termin für mich aus. Es gab so vieles, das nicht ausgesprochen worden war, etwa die Art, wie ich mit meiner Depression umgegangen war. So vieles hatte sich angestaut, denn ich war ein harter und lästiger Verhandler gewesen, für mich und für die Stellung des Skisprungs innerhalb des Verbandes. Ich hatte Peter Schröcksnadel als Geschäftsmann dabei immer bewundert. Es wurde ein sehr ehrliches Gespräch.

Sinnfrage
Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich ganz brutal mit der Frage nach dem Sinn meines Tuns konfrontiert wurde. Ob das Streben nach sportlichen ­Erfolgen, das Getriebensein von beruflicher Anerkennung mich nicht von dem entfernt hatte, nach dem ich mich am meisten sehnte: ­einer intakten und glücklichen Familie.
Mein Sohn erkrankte an einer Depression. Und anstatt für ihn ein Fels in der Brandung zu sein, litt ich mit ihm. Ich hatte in all den Jahren als Skisprung-Trainer mit meinen körperlichen und psychischen Ressourcen Raubbau betrieben und rutschte selbst in ein Tief, wie ich es nie für möglich ­gehalten hätte.

Selbstmordgedanken
Ich versuchte, mit Alkohol eine ähnliche Wirkung zu erzielen, trank zwar nicht mehr, aber viel schneller. Bei einem Ausflug zu einem Baum­wipfelweg und einem Hochseilgarten ertappte ich mich dabei, in Gedanken nach einem endgültigen Ausstiegsszenario zu suchen. Ich kann nicht beurteilen, wie weit es zu diesem letzten Schritt, dem Selbstmord, noch gewesen wäre.

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