Buch der Woche

Glattauer: Sittenbild, mitten ins Gesicht

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Die spürst du nicht: Daniel Glattauers Roman ist ein heftiger Text über Moral, Gerechtigkeit und Werte. 

Katastrophe. Zwei wohlhabende Bobo-Familien machen Urlaub in der Toskana. Die Eltern schlürfen sich durch Prosecco und Vino, schmausen Antipasti, die Kinder spielen. Sophie Luise, die ältere Tochter der Strobl-Ma­rineks, hat ihre Schulfreundin Aayana mitnehmen dürfen, ein Flüchtlingskind aus Somalia. Plötzlich ereignet sich in der Ferienidylle eine Katastrophe …
Daniel Glattauer ist nicht zimperlich und hält uns mit voller Wucht den Spiegel vor. Uns, als Gesellschaft, die wir annehmen, etwas von Moral und Anstand zu verstehen. Der Autor hat sich eine Geschichte ausgedacht, die vielschichtig beleuchtet, was ein Menschen­leben wert ist. Mit un­terschiedlichen stilis­tischen Mitteln, sei es Facebook-Postings, Kurznachrichten oder Dialogen geht er dieser essenziellen Frage nach.

Geht um Menschen, die keine Stimme haben

Wert. Zum Inhalt seines Romans sagt Glattauer: „Diesmal geht es dabei ans Eingemachte, da geht es um den Wert von Menschen, auch jener Menschen, die uns fremd sind und keine Stimme haben. Um Menschen, von denen wir nichts wissen wollen, weil wir sie nicht spüren.“ Als Leserin ertappt man sich immer wieder bei der Szenen-Analyse: Wie hätte ich reagiert? Dieses brandaktuelle Buch hallt lange nach und versöhnt damit, dass Glattauer sich neun Jahre Zeit gelassen hat für einen neuen Roman.

Glattauer: Sittenbild, mitten ins Gesicht
© oe24
× Glattauer: Sittenbild, mitten ins Gesicht

TIPP: Daniel Glattauer stellt sein Buch am 21. März zusammen mit ­Manuel Rubey im Rabenhoftheater vor.

Wie ist dem Autor die Grundidee zu diesem Buch eingefallen?

Glattauer: „Es stand uns gerade ein Urlaub in einem Landhaus in der Toskana bevor. Drei befreundete Familien mit Kindern. Auch unser afghanisches Paten-Mädel war mit dabei. Wenn man sich eine lang ersehnte Reise gedanklich ausmalt, mischen sich in die Vorfreude und in die schwärmerischen Vorstellungen immer auch blitzartige Schreckensvisionen. Dinge, die um Gottes oder Allahs willen nicht passieren dürfen. So ein Ding ist mir eingeschossen, und genau so ein Ding passiert in meinem neuen Roman.“
Die Charaktere im Buch scheinen aus dem Leben gegriffen, gab es Vorbilder für sie? Glattauer: Bei meinen Romanfiguren geht es mir immer gleich: Ich lerne sie erst beim Schreiben kennen und sie erinnern mich ständig an irgendwelche Menschen aus meinem Leben. Die Politikerin ist eine dieser starken, aber hochsensiblen Frauen, die die Last von zwanzig Rucksäcken des Alltags mit sich herumtragen, auch jene ihrer Kinder und Männer. Zum Rechtsanwalt fallen mir gleich ein halbes Dutzend namhafter heimischer Advokaten ein, rhetorisch brillant, moralisch durchwachsen.“
Zur Form sagt der Autor: „Das Schreiben war für mich eine fast einjährige stilistische Abenteuerreise mit vielen Déjà-vu-Erlebnissen.“  

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