E. hat an einem geheimen Ort gegen ihren Peiniger - den eigenen Vater - ausgesagt.
Sie war bereit – bereit zu reden. E. (42), Inzestopfer, Gefangene und Sklavin ihres eigenen Vaters über mehr als 20 Jahre, hat abermals unglaubliche Stärke bewiesen. Nach Wochen der psychologischen Betreuung im Sanatorium Mauer-Öhling war sie die erste der Familie, die sich der gerichtlichen Vernehmung stellte.
Drei Tage lang dauerte die Befragung. Am Dienstag dieser Woche unterschrieb die 42-Jährige an einem geheimen Ort die Aussagen, die für den Inzest-Prozess, der noch in diesem Jahr stattfinden soll, von entscheidender Bedeutung sein werden.
Denn jetzt geht es nicht „nur“ um Inzest, nicht „nur“ um Vergewaltigung, nicht „nur“ um eine jahrzehntelange Gefangenschaft im Kellerverlies in Amstetten. Es geht um ihr siebentes Kind, dessen Vater ihr eigener Vater war. Das Baby starb, als es vier Tage alt war. Die Leiche wurde von Josef Fritzl im Heizofen verbrannt. Nun könnte sein Tod Josef Fritzl (74) eine Mordanklage einbringen. Denn E. ist sich sicher, dass rechtzeitige ärztliche Versorgung das Leben des Zwillingskindes hätte retten können. Hilfe, die der Inzest-Vater aber verwehrte. Bei Mord würde Fritzl lebenslang erwarten, sonst drohen „nur“ 15 Jahre.
Schonendes Gespräch
Ihre Geschichte, ihre Erlebnisse noch
einmal erzählen zu müssen – das hat E. in dieser Woche alles abverlangt. Die
Justiz versuchte mit dem Verbrechensopfer so schonungsvoll umzugehen wie
möglich. Nur ganz wenige Menschen durften ins Vernehmungszimmer. Haftrichter
Christian Bauer war dabei, ebenso eine Ärztin und als Vertrauensperson die
Psychologin und Opferanwältin Eva Plaz – E. hatte auf ihre Anwesenheit
besonderen Wert gelegt.
Die sensible Befragung wurde via Kamera in ein Nebenzimmer übertragen. Dort saßen: Staatsanwältin Christine Burkheiser und Fritzl-Anwalt Rudolf Mayer, die via Gegensprechanlage die Möglichkeit hatten, ebenfalls Fragen zu stellen.
Die Videoaufnahme und das Protokoll wird E. beim Prozess den Gang in den Zeugenstand ersparen – sie wird ihrem Vater nicht persönlich gegenübertreten, wird nicht in der Öffentlichkeit auftreten müssen. Das ist in Österreich seit dem 1. Jänner 2006 gesetzlich verankert und wird meist bei Sexualverbrechen angewandt.
Kinder sagen nichts
Auch E. sechs Kinder, deren Vater ihr
eigener Großvater ist, können diese „kontradiktorische Einvernahme“ in
Anspruch nehmen. Doch sie müssen nicht und derzeit sieht es auch so aus, als
wollten sie ihre Seite der schrecklichen Geschichte noch nicht zu Protokoll
bringen. Auch das wird respektiert, niemand wird die traumatisierten Kinder
zwingen, sich der Situation einer Vernehmung zu stellen – sie können sich
der Aussage gänzlich entschlagen.
Ferienlager
In den letzten Wochen sind sich die neue und die
alte Familie näher gekommen, in ihrem kleinen abgeschotteten Pavillon im
Sanatorium Mauer-Öhling wächst die Familie langsam zusammen. Und trotz
Belagerung von internationalen Paparazzi gelingt es den Kindern, dennoch ein
Stück ihrer neuen Freiheit auszuprobieren. Eines der Mädchen konnte – unter
falschem Namen – sogar ein viertägiges Ferienlager besuchen.
Der Monster-Prozess
Währenddessen wird in der Landeshauptstadt
St. Pölten der Monster-Prozess vorbereitet. Noch ist nicht klar, ob das
Landesgericht groß genug sein wird, man überlegt ein Veranstaltungszentrum,
denn das Medieninteresse wird enorm sein.
Josef Fritzl selbst sitzt weiter in der Justizanstalt St. Pölten in U-Haft. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.