Bürgermeister Ludwig: 'Damit wird die Stadtgeschichte neu geschrieben'
Wien hat offenbar nicht erst - wie bisher angenommen - seit 1221 ein Stadtrecht, sondern bereits seit rund 1.000 Jahren davor. Ein entsprechendes Dokument wurde nun entschlüsselt. Es handelt sich dabei um ein eher unscheinbares Metallstück, das laut aktuellen Untersuchungen dokumentiert, dass die Vorstadt des römischen Militärlagers Vindobona bereits über den Status als "Munizipium" verfügte.
"Geschichte neu geschrieben"
"Damit wird die Stadtgeschichte neu geschrieben", freute sich Bürgermeister Michael Ludwig bei einer Pressekonferenz am Dienstag im Römermuseum. Dabei ist das Fragment alles andere als neu: Das Stück einer Bronzetafel wurde bereits 1913 bei Grabungen Am Hof nahe der südlichen Mauer innerhalb des einstigen Legionslagers Vindobona gefunden. Allerdings konnten von insgesamt 41 Zeichen nur die Wörter "edicta" und "Galba" mit Sicherheit entziffert werden. Naheliegende Schlussfolgerung war, dass es sich dabei um ein Edikt des von 69 bis 69 regierenden Kurzzeit-Kaisers Galba handelte, über die Bedeutung war man sich nicht im Klaren. Anschließend lagerte das Fragment mit rund 150.000 anderen archäologischen Objekten im Depot des Wien Museums.
Im Zuge seiner Dissertation entdeckte der Historiker, Geschichte-und Lateinlehrer Niklas Rafetseder Parallelen zwischen dem Fundstück und 1986 in Andalusien entdeckten Tafeln des römischen Stadtgesetzes aus dem ersten Jahrhundert. So konnte er nachweisen, dass die Bronzetafel aus dem Depot des Wien Museums das Fragment einer römischen Stadtgesetztafel darstellt. Das Stadtrecht bezog sich dabei wahrscheinlich nicht auf den Legionsstandort Vindobona selbst, sondern auf die im heutigen Bezirk Landstraße gelegene Zivil- bzw. Lagervorstadt. Dort wohnten etwa die Familien der Soldaten oder Handwerker. Sie dürfte zwischen 120 bis 250 den Status eines "Munizipiums" gehabt haben.
Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und der Direktor des Wien Museums, Matti Bunzl, verwiesen auf die neuen Möglichkeiten der Forschung durch die Digitalisierung. Die Neubewertung des Funds zeige auch die Wichtigkeit der Forschungstätigkeit in Museen.
An privilegierte Gemeinden vergeben
Wien ist damit aber nicht unbedingt die älteste Stadt Österreichs. Das ältere Lager in Carnuntum habe mit Sicherheit auch ein "Munizipium" gehabt, so Rafetseder. Allerdings sei davon kein Fragment erhalten. Und auch Enns (OÖ), das im Mittelalter noch vor Wien das Stadtrecht erhalten hat (1212), besitze aus seiner Zeit als Legionsstützpunkt Lauriacum ein ähnliches Fragment aus in etwa der gleichen Zeit wie Wien.
Das römische Stadtrecht wurde vom Kaiser privilegierten Gemeinden verliehen. Geregelt wurden dadurch die institutionelle Ordnung wie Ämter und Stadtrat, die Rechtsprechung, die politische Leitung durch eine Klasse von angesehenen Bürgern und die Administration, von der Steuererhebung bis zum Brandschutz und zur Straßenreinigung. Bürgermeister gab es damals übrigens sogar zwei: Sie waren allerdings hauptsächlich für die Rechtsprechung zuständig und amtierten nur ein Jahr.
Der Fund wird ab 6. März im Römermuseum am Hohen Markt ausgestellt.