"Neue Wendung"

Kneissl fordert Freilassung von Assange

Teilen

Ex-Außenministerin: 'Andere Staaten haben sich besser als Vermittler positioniert als Österreich' 

Ex-Außenministerin Karin Kneissl hat eine Rehabilitierung von Wikileaks-Gründer Julian Assange gefordert. Mit dem Bericht des UNO-Sonderberichterstatters zu Folter, Nils Melzer, habe "der gesamte Fall eine neue Wendung" genommen, betonte Kneissl im APA-Gespräch. Es brauche nun "entsprechende politische Konsequenzen", sagte sie mit Blick auf Schweden, die USA und Großbritannien.
 
"Es geht darum, dass dieser Mann rehabilitiert wird", betonte Kneissl. Sie bezeichnete den Fall Assange als "exemplarische Warnung" dafür, "wie in etablierten demokratischen Gesellschaften ein Aufdecker mundtot gemacht wird". Man habe Assange nämlich ein Sexualstrafdelikt angelastet, "das es nie gegeben hat", kritisierte die frühere österreichische Außenministerin. "Das ist das besonders Perfide an der Sache." Assange habe sich "etwas getraut" und nun sei "sein Leben zerstört", beklagte sie.
 

Asyl in Österreich?

Wenig anfangen kann die Ex-Diplomatin auch mit dem Vorwurf, Assange habe mit seinen Veröffentlichungen die Staatssicherheit gefährdet. Diese sei nämlich stärker "über andere Kanäle" gefährdet, die der Öffentlichkeit nicht so sichtbar seien, meinte Kneissl in Anspielung auf Geheimdienstoperationen.
 
Zurückhaltend zeigte sich Kneissl jedoch zu Aufrufen, Österreich solle Assange Asyl gewähren. Ihr seien entsprechende Initiativen nicht bekannt, sagte sie. Auch wolle sie ihrem Nachfolger Alexander Schallenberg (ÖVP) "keinen Rat geben". Grundsätzlich bestehe Diplomatie aber daraus, hinter den Kulissen tätig zu werden.
 

Anerkennung Guaidos 

Kneissl bekräftigte auch ihre Haltung, was die Entscheidung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betrifft, den venezolanischen Oppositionsführer Juan Guaidó als Übergangspräsidenten des südamerikanischen Staates anzuerkennen. Es sei gängige völkerrechtliche Praxis, dass Staaten anerkannt werden, sagte sie. "Wenn wir anfangen, Regierungen anzuerkennen, würden wir sehr viel Zeit damit verbringen", so Kneissl. Sie fügte jedoch hinzu: "Das ist kein Thema, das uns belastet."
 
Die Ex-Außenministerin trat in diesem Zusammenhang auch Vermutungen entgegen, dass Österreich auf Druck Washingtons gehandelt habe. "Ich hatte einen sehr regelmäßigen Kontakt mit Botschafter Traina. Das ist weder vom Botschafter noch von Pompeo aufgebracht worden", betonte Kneissl mit Blick auf die wenige Tage vor dem Besuch des Kanzlers im Weißen Haus im Vorjahr erfolgte Anerkennung Guaidos.
 
Nach Angaben von US-Botschafter Traina und dem Bundeskanzleramt treffen Kurz und Trump Anfang März neuerlich in Washington zusammen. "Es ist immer wichtig, dass man bilaterale Kontakte pflegt", sagte Kneissl dazu. Auf die Frage, warum sie den Kanzler bei dessen erstem Besuch im Weißen Haus nicht begleitet habe, sagte Kneissl: "Es ist weltweite Praxis, dass der Außenminister das jeweilige Staatsoberhaupt begleitet." Kurz war im Februar des Vorjahres in Washington unter anderem mit Kneissls Amtskollegen Mike Pompeo zusammengetroffen, der dem Kanzler dann auch beim Delegationsgespräch im Weißen Haus gegenübersaß.

Vermittlungstätigkeit 

Zu einer möglichen Vermittlungstätigkeit Österreichs im Konflikt zwischen den USA und dem Iran äußerte sich Kneissl zurückhaltend. "Facilitator kann man leicht sein", sagte sie mit Blick auf eine reine Gastgebertätigkeit wie bei den Wiener Iran-Atomgesprächen. Wenn Österreich jedoch auch als inhaltlicher Vermittler tätig werden wolle, "dann brauchen Sie eine entsprechende Wahrnehmung der Äquidistanz von allen Beteiligten", argumentierte Kneissl. "Das ist anderen in der Vergangenheit zum Teil besser gelungen", nannte sie konkret Norwegen, Schweden oder die Schweiz.
 
Die Ex-Außenministerin berichtete, dass sich Österreich etwa auch um die Vermittlung im Jemen-Konflikt bemüht habe, dann aber Schweden zum Zuge gekommen sei. Neben Äquidistanz brauche es auch die nötige Diskretion und "die richtigen Leute, die anerkannt sind und denen man traut", sagte Kneissl. Zudem gebe es im Nahen Osten ohnehin schon eine "breite Palette an Sondervermittlern". Die Wiener Atomgespräche seien erst möglich gewesen, weil der Oman durch eine "kluge diskrete Vermittlung" Direktgespräche zwischen Washington und Teheran ermöglicht habe, erinnerte Kneissl.
 
Kritisch äußerte sich die nach ihrem Abschied aus dem Außenministerium im vergangenen Mai wieder als Buchautorin und Vortragende tätige Expertin zum Nahost-Plan von US-Präsident Trump und seinem Schwiegersohn Jared Kushner. Deren Zugang sei, den Palästinensern gewisse Dinge einfach abzukaufen. Sie glaube aber nicht, dass dieser Zugang funktioniere. "Es lässt sich halt nicht alles auf der Welt kaufen", so Kneissl. Auch seien kaum andere Akteure konsultiert worden. "Der Plan ist eine Desavouierung der Akteure im Nahen Osten. Mich erinnert das an die Kabinettspolitik des 19. Jahrhunderts", erinnerte sie an die Zeit, in der das Schicksal der Welt in den Regierungskanzleien der Kolonialmächte Großbritannien oder Frankreich entschieden wurde.
 
Die österreichische Reaktion auf den Trump-Plan will Kneissl bewusst "nicht bewerten". Allerdings wies sie darauf hin, dass die Reaktion des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell anders ausgefallen sei. Als Nahost-Expertin sage sie: "Als EU-Mitglied halten wir uns daran."
 
Nicht überbewerten will Kneissl die jüngsten überraschenden Freilassungen von Regimekritikern in der Türkei. "Ich habe keine Ahnung, ob hier bestimmte Entscheidungen getroffen werden, um guten Willen zu holen. Ich glaube es nicht", sagte Kneissl, die als Außenministerin Anfang 2018 ein Tauwetter in den Beziehungen zwischen Wien und Ankara eingeleitet hatte. Die Türkei sehe sich selbst als "Erbe der Osmanen", verwies Kneissl auf die Ende der 1990er Jahre vom späteren Außenminister und Regierungschef Ahmed Davutoglu entwickelte Strategie und erwähnte die Aktivitäten Ankaras in Ländern wie Bosnien-Herzegowina und Libyen, aber auch Syrien und dem Irak.
 
Sie selbst sei mit der Türkei "klar, aber korrekt umgegangen", sagte Kneissl. Es sei ihr wichtig gewesen, "dass man miteinander im Gespräch bleibt". Dieser Zugang gehe aber in der Diplomatie immer mehr verloren. "Die Leute hören nicht mehr zu, sondern schauen nur noch auf ihre iPads", kritisierte sie den Austausch von vorgefertigten Standpunkten bei Treffen. Dabei sei das Gespräch "das Handwerk aller diplomatischer Arbeit".
Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.