Anschlag in Halle

Nazi-Killer wollte in Synagoge 'Massaker' anrichten

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Rechtsextremist trug mehrere Kilogramm Sprengstoff bei sich. 

Karlsruhe/Halle an der Saale/Nürnberg. Der Angreifer von Halle an der Saale hat nach Erkenntnissen der Ermittler ein "Massaker" anrichten wollen. Der 27-jährige Stephan B. sei zur Synagoge gegangen, "um zahlreiche Menschen zu töten", sagte der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag in Karlsruhe. "Was wir gestern erlebt haben, war Terror", sagte er.
 
Nach seinen Angaben hatte der Rechtsextremist bei seiner Tat am Mittwoch neben Waffen in seinem Auto vier Kilogramm Sprengstoff. Der Tatverdächtige ist nach Angaben der Ermittler "tief durchdrungen von einem erschreckenden Antisemitismus" und geprägt von Fremdenhass und Rassismus. Demnach wollte B. mit seiner Tat "weltweite Wirkung erzeugen" durch das live gefilmte und im Internet übertragene Tatgeschehen und seine Pläne, die er zuvor im Internet verbreitet hatte.
 
Er habe sich dabei "in der Tradition vergleichbarer Attentäter" gesehen, etwa von jenem im neuseeländischen Christchurch, sagte Frank. Dort hatte im März ein Rechtsextremist in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen getötet und den Anschlag live im Internet übertragen.
 
Bei einer Durchsuchung von B.s Wohnung wurden Beweismittel beschlagnahmt, die nun wie die Waffen und Sprengmittel kriminaltechnisch untersucht werden. Auch die gesamte Kommunikation des Tatverdächtigen solle durchleuchtet werden, sagte Frank. Die Ermittlungen würden sich aber einige Zeit hinziehen.
 
Die deutsche Regierungschefin Angela Merkel hat sich unterdessen für den Einsatz sämtlicher rechtsstaatlicher Mittel gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus ausgesprochen. Sie sei wie Millionen Menschen "schockiert und bedrückt" von dem Verbrechen im ostdeutschen Halle, sagte die Kanzlerin am Donnerstag auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall in Nürnberg. Sie trauere mit den Familien und Freunden der beiden Ermordeten.
 
"Wir sind nur sehr knapp einem schrecklichen Angriff auf die Menschen in der Synagoge entgangen. Es hätte noch sehr viel mehr Opfer geben können", sagte sie. Merkel wiederholte ihre Aussage vom Vorabend: "Wir sind froh über jede Synagoge, über jede Gemeinde und alles jüdische Leben in unserem Lande."
 
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und das Bündnis gegen Rechts in Halle haben unterdessen für Donnerstagnachmittag (17.00 Uhr) zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Marktplatz aufgerufen. Es gelte, der Opfer des Anschlags zu gedenken. "Unsere Gedanken sind bei den Opfern. Unser Mitgefühl gilt den Familien und Freunden, unsere Solidarität all jenen Opfern von Antisemitismus und Rassismus", erklärte Sachsen-Anhalts DGB-Chefin Susanne Wiedemeyer. Am Freitag sei in Magdeburg eine Mahnwache geplant, die vom Bündnis gegen Rechts Magdeburg und dem ‎Förderverein Neue Synagoge organisiert werde.
 
 

Sein großes Vorbild ist der Christchurch-Killer

Am Ende des Videos entschuldigt sich Stephan B., der 27-jährige Amokläufer. Am Hals blutet er, nachdem ihn die Polizei angeschossen hatte. Er schwitzt, wirkt verwirrt. Sagt: „Ich bin ein Verlierer …“

Stephan B. ist laut Spiegel Deutscher, kommt aus Sachsen-Anhalt. Er ist ein Neonazi.

Mit der Tat wollte Stephan B. ähnlich „berühmt“ werden wie sein Vorbild, der Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant, der mehr als 50 Menschen in einer Moschee tötete. In seinem 35 Minuten langen Video spricht er davon, dass „der Holocaust nie passiert ist“. Auch stellt er sich selbst als „Anon“ vor. Das ist die Kurzform für „Anonymous“, ein in rechtsextremen Internetforen besonders beliebtes Pseudonym.

Halle Attentäter Anschlag Nazi
© oe24
 Mit mehreren Schüssen versuchte er die Tür zur Synagoge zu öffnen.

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© oe24
 Auch selbst gebastelte Sprengsätze verwendete er.

Vater: "Er gab immer allen anderen die Schuld"

Im Gespräch mit der "Bild" zeigt sich der Vater des Halle-Killers schockiert. Noch am Dienstag sei Stephan bei ihm gewesen, wie fast an jedem Tag.  Seinen Sohn beschreibt der Vater als Eigenbrötler: „Er war weder mit sich noch mit der Welt im Reinen, gab immer allen anderen die Schuld.“
 
Sein Sohn habe kaum Freunde gehabt und sei immer nur vor dem Computer gesessen. „Der Junge war nur online.“ In letzter Zeit gab es häufiger Krach: „Es kam immer wieder zu Streit, meine Meinung zählte nicht. Ich komme nicht mehr an ihn ran.“
 

 

Horror-Tat 35 Minuten live im Netz gestreamt

Der Live-Stream der Horror-Tat in Halle dauerte 35 schreckliche Minuten. 
In dem Video – nach Vorbild des Christchurch-Attentäters Brenton Tarrant– zeigt der ­Killer die Tatwaffen: zwei Gewehre und Rohrbomben.

Hass-Tirade. Dazu spricht Stephan B. auf Englisch von einer „Internet-SS“, mit der niemand rechne. Den Holocaust verleugnet er, während er im Auto sitzt und sich filmt. Feminismus sei „ein großes Problem, weltweit“ – und die Juden für ihn die „Wurzel von allen Problemen“. Er bedauert, dass sein Gewehr Ladehemmung hat: „Meine Luty ist shit.“ Dann sagt er: „Bevor ich sterbe, werde ich noch ein paar Dreckige töten.“ Dass er nicht in die Synagoge eindringen konnte, ärgert ihn offensichtlich: „Ich bin ein Loser. Ich bin ein kompletter Loser.“ Als die Polizei das Feuer auf Stephan B. eröffnet, bricht das Video ab.

 

Muzicant: " Wir haben das vorausgesehen"

Der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ariel Muzicant, sieht angesichts der Schüsse in Halle ein Versagen der Gesellschaft im Kampf gegen Antisemitismus.
 
Der ehemalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien gab gegenüber der "Presse" (Freitagsausgabe) jenen Mitverantwortung für die jüngste Tat, die rechtsextremes Gedankengut verbreiten: "In Deutschland die AfD, in Österreich einige Herrschaften in der FPÖ, Burschenschafter, die Identitären."
 
"Wir haben das vorausgesehen, und wir haben es vorausgesagt", betonte Muzicant. "Alle Versuche, das auf einen Einzeltäter zu reduzieren, sind falsch." Der Täter in Halle sei nicht als Antisemit auf die Welt gekommen. Er habe seine Ideologie und Gesinnung in einem Umfeld erworben.
 
"Wir beobachten die Situation seit Monaten, wenn nicht Jahren mit großer Sorge, sei das in Deutschland, sei das in Österreich, sei das in anderen Ländern", sagte Muzicant. Außer Sonntagspredigten sei relativ wenig geschehen. Es handle sich aber um kein Versagen der Behörden, "das ist ein Versagen der Gesellschaft, das geht weit über die Behörden hinaus".
 
Ist Österreich ist nach Ansicht Muzicants das Engagement der Exekutive, der Nachrichtendienste und des Innenministeriums scheinbar deutlich besser als in Deutschland. "Die Zusammenarbeit ist so, dass wir in Österreich keine Beschwerden haben. Die österreichischen Behörden tun, was sie können, inklusive Justiz und politische Verantwortliche", so der WJC-Vizepräsident.
 
Verbote würden allerdings nicht helfen und etwas bringen, unterstrich Muzicant. Man müsse ganz andere Maßnahmen einsetzen und bei der Information und der Bildung wesentlich mehr investieren. "Man muss diese Wahnsinnigen, anders kann man sie nicht bezeichnen, zurückholen, einfangen, versuchen, sie zu überzeugen, dass das der falsche Weg ist."
 
Jüdische Menschen seien weltweit gefährdet, mehr als alle anderen, so Muzicant. "Die Gefahr ist groß. Sie ist größer geworden durch den Zustrom von Menschen aus dem Nahen Osten, die stark antisemitisch denken und fühlen, und durch das massive Erstarken rechtsextremer Gruppierungen in Europa." Von der künftigen Regierung wünscht er sich, "die Zuwanderer massiv an unsere Werte heranzuführen".
 
Video zum Thema: Verdächtiger wird dem Richter vorgeführt
 
 
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