Separatisten mit paradoxer Parlamentsmehrheit.
Nach den Regionalwahlen in Katalonien zeichnet sich neues Chaos ab. Die separatistischen Parteien haben am Donnerstag mit 70 Sitzen von insgesamt 135 Sitzen die absolute Mehrheit im Parlament errungen, aber nicht die absolute Mehrheit der Wählerstimmen. Stärkste Partei wurde die unionistische Bürgerpartei Ciutadans, die aber mit ihren 37 Parlamentssitzen Koalitionspartner suchen müsste. Dafür fehlen den übrigen Unabhängigkeitsgegnern die Mandate.
Die große Überraschung war, dass das Wahlbündnis des abgesetzten und nach Belgien geflüchteten Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, Junts per Catalunya, mit 34 Mandaten auf dem zweiten Platz landete - entgegen den Wahlprognosen. Diese hatten die Republikanische Linke (ERC) des im Gefängnis sitzenden Parteichefs Oriol Junqueras in etwa gleichauf mit Ciutadans in Front gesehen. Die ERC kam aber nur auf 32 Sitze. Die dritte Unabhängigkeitspartei CUP, verlor 6 Sitze und hat nur mehr 4.
Die Separatisten verfügen zwar formal über die Parlamentsmehrheit -mit mehr als den dafür nötigen 68 Mandaten -, eine Reihe von Politikern sitzen aber in Untersuchungshaft und damit könnten einige Sitze unbesetzt bleiben. Außerdem hatten sich die Anhänger von Puigdemont und Junqueras im Wahlkampf gegenseitige Anschuldigungen an den Kopf geworfen. Junqueras warf Puigdemont vor, im Gegensatz zu ihm ins Ausland geflüchtet zu sein. Sollte Puigdemont nach Spanien zurückkehren, muss er mit seiner Festnahme rechnen.
"Ohrfeige" für Madrid
In Brüssel sagte Puigdemont vor seinen Anhängern, das Wahlergebnis bedeute eine Niederlage für den spanischen Staat und einen Sieg der legitimen Regierung Kataloniens. "Wir haben das Recht, gehört zu werden", so Puigdemont, der sich weiter als Präsident Kataloniens betrachtet und die Rückkehr in sein Amt in Barcelona beansprucht. Für die Zentralregierung in Madrid sei dieses Ergebnis, so Puigdemont, auf jeden Fall eine "Ohrfeige". Ein Sprecher der ERC erklärte, wenn Puigdemont zurückkehre, werde man ihn unterstützen.
Eine vernichtende Niederlage musste die in Madrid regierende Volkspartei (PP) in Katalonien hinnehmen, sie kam nur auf 3 Sitze, 8 weniger als zuvor. Ein PP-Sprecher erklärte, er sei sehr besorgt, Katalonien werde durch dieses Ergebnis verlieren. Die Sozialisten konnten leicht zulegen und verfügen jetzt über 17 Mandate. Die Partei von Barcelonas progressiver Bürgermeisterin Ada Colau, die sich eine Regierung aus Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit vorstellen kann, büßte 3 Mandate ein und kann mit 8 Sitzen rechnen. Erreicht wurde eine Rekord-Wahlbeteiligung von fast 82 Prozent.
Auch wenn die Spitzenkandidatin von Ciutadans, Ines Arrimadas, mit ihrer Partei rund 25,3 Prozent die relativ meisten Wählerstimmen gewinnen konnte, wird sie kaum in der Lage sein, eine Regierung zu bilden. "Wir sind die Wahlsieger", erklärte Arrimadas unverdrossen. Ihre Anhänger riefen: "Arrimadas Presidente".
Fortsetzung des Chaos
Insgesamt haben die Unabhängigkeitsgegner mehr als 52 Prozent der Stimmen bekommen, die Separatisten nur rund 47 Prozent. Bei den Wahlen 2015 hatten die Unabhängigkeitsbefürworter auch nur 48,7 Prozent der Wählerstimmen gewonnen, aufgrund des Wahlsystems aber 72 Parlamentssitze erhalten. Die katalanischen Separatisten feierten jedenfalls frenetisch ihren parlamentarischen Sieg im Meeresmuseum von Barcelona.
Mit diesem Wahlergebnis wird die Krise um Katalonien kaum zu lösen sein. Damit zeichnet sich eine Fortsetzung wenn nicht eine Verschlimmerung des gegenwärtigen Chaos ab, das nach dem von Puigdemont angesetzten einseitigen Unabhängigkeitsreferendum und der Unabhängigkeitserklärung im Oktober sowie der darauf folgenden Anwendung des Artikels 155 der Verfassung durch die Regierung in Madrid in Form der Zwangsverwaltung Kataloniens eingeleitet wurde. Möglicherweise muss im Frühjahr neuerlich gewählt werden.
In Brüssel zeigte sich die EU-Kommission unterdessen unbeeindruckt von den Ergebnissen in Katalonien. Ihre Haltung in der Katalonien-Frage werde sich "nicht ändern", sagte ein Kommissionssprecher in der Nacht auf Freitag in Brüssel in einer ersten Reaktion. Es handle sich um "eine Regionalwahl, und das haben wir nicht zu kommentieren". Die Kommission hatte wiederholt eine Einmischung in die Auseinandersetzung zwischen Madrid und Brüssel abgelehnt.