Sengl: Demokraten haben Latinos als Zielgruppe vernachlässigt - Meinungsforscher zum zweiten Mal daneben.
Der Polit-Experte Stefan Sengl geht von einem knappen Sieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden bei der US-Wahl aus. "Biden liegt eine Spur besser als Clinton vor vier Jahren und hat daher gute Chancen, noch die Mehrheit zu erreichen", so der Experte gegenüber der APA, "die Chance stehen 60:40". Gründe für das trotzdem relativ schwache Abschneiden Bidens sieht Sengl in der Vernachlässigung der Latinos als Zielgruppe und der großen Polarisierung in den USA.
Das überraschendste an der Wahl sei nicht das knappe Ergebnis, sondern dass die Prognosen zweimal hintereinander so abweichen. "Die US-Meinungsforschung hat sich nicht mit Ruhm bekleckert", sagte Sengl. Es sei zu erwarten gewesen, "dass die Meinungsforschungsinstitute die nicht-deklarierten Trump-Wähler besser einpreisen, das ist offenbar nicht gelungen", so der Experte.
Experte über US-Wahl: Kein Ergebniss am Mittwoch
Am Mittwoch werde es sicher kein Ergebnis mehr geben, sagte der Politikexperte. "Die aktuellen Zahlen sind irreführend, weil die Briefwahlstimmen noch nicht dabei sind." Bei dieser Wahl sei es wegen der vielen Briefwahlstimmen besonders schwer, Rückschlüsse von den derzeit vorliegenden Zahlen auf das Endergebnis zu ziehen, weil das Ergebnis der Briefwahlstimmen vom Ergebnis der an den Urnen abgegebenen Stimme abweiche. Hinzu komme, "dass es auf Ebene der Bundesstaaten keine Hochrechnungen gibt oder zumindest keine in der Qualität, wie wir das gewohnt sind".
Bisher sehe die Wahlkarte nahezu unverändert gegenüber jener der letzten Wahl aus. "Damals war es bereits extrem knapp, mit dem einzigen Unterschied, dass Biden in Arizona gewonnen hat, dafür fiel der Sieg Trumps in Florida klarer aus." Kleinere Ergebnis könnte man aber vorsichtig so interpretieren, dass Biden in den wichtigen Swing-States Michigan und Pennsylvania gewinnen werde.
Demokraten vernachlässigten Latinos
"Biden hat bei den Latinos underperformed", sagt Sengl. Die Demokraten könnten diese Zielgruppe tatsächlich etwas vernachlässigt haben. "Da war man sich zu sicher", so der Experte. Trump konnte dagegen in bestimmten Bevölkerungsgruppen an Zustimmung gewinnen. "Das lässt sich auf eine Mischung aus Gewohnheitseffekt und eine gewisse Protesthaltung zurückführen." Abgebaut habe Trump dagegen bei älteren Wählern und weißen Männern, hier sei die Biden-Strategie aufgegangen.
Die USA sei eine polarisierte Nation mit vielen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Herausforderungen und es gebe "eine nachhaltige Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment", so Sengl. "Biden als Alternativangebot reicht offensichtlich, wenn, dann nur knapp." Die Wahl sei kein Duell zwischen US-Präsident Donald Trump versus Joe Biden gewesen, sondern vielmehr "ein Referendum Trump ja oder nein und dieses Referendum ist knapper als erwartet ausgegangen".