Lula

Vom Schuhputzer zum "Mythos"

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Der "Überlebenskünstler" wurde für eine zweite Amtszeit gewählt.

Er nennt sich gern einen "Überlebenskünstler". Die Energie und die Beharrlichkeit, mit der Luiz Inácio Lula da Silva vom Schuhputzer und barfüßigen Straßenverkäufer zunächst zum Dreher, dann zum Gewerkschaftsführer und gefürchteten Diktaturgegner und schließlich zum Staatspräsidenten von Brasilien avancierte, legt der untersetzte 61-jährige fünffache Vater und mehrfache Großvater auch heute noch an den Tag. "Ich habe in meiner ersten Amtszeit fast täglich Medienprügel eingesteckt und doch nie aufgegeben", versichert der Mann mit dem grau-melierten Vollbart.

Genaues Geburtsdatum unbekannt
Wann Lula genau in einer Elendshütte in Garanhuns im Land Pernambuco das Licht der Welt erblickte, wird wohl nie geklärt werden. Seine Geburt wurde offiziell auf den 6. Oktober registriert, aber seine 1980 verstorbene Mutter Lindu beteuerte, der kleine Luiz sei am 27. geboren worden. Im armen Nordosten Brasiliens sind heute noch ein Stück Brot und ein Glas Wasser wichtiger als Papiere und Formalitäten. "Wenn man in unserem Nordosten das fünfte Lebensjahr erreicht, ist man schon ein Sieger", erklärt Lula stolz.

Lulas Vater war ein armer landloser Bauer, der weder schreiben noch lesen konnte, ein Alkoholiker, der Frau und Kinder verprügelte und die Familie einen Monat vor der Geburt Lulas verließ. Als Lula sechs war, fuhr "Dona" Lindu mit sieben kleinen Kindern per Anhalter zwei Wochen lang in das tausende Kilometer entfernte Sao Paulo, wo es damals noch Arbeit für fast alle gab.

Partei der Arbeiter gegründet
In den 1970er Jahren hielt Lula vor den Toren der Volkswagen-Fabrik in Sao Bernardo unweit von Sao Paulo bereits hitzige Reden, die den Vertretern der Multis und der Diktatur schlaflose Nächte bereiteten. Er musste deshalb sogar hinter Gittern. Damals noch Fan von Trotzki und Marx, gründete Lula 1980 die Partei der Arbeiter (PT), in der alle Linken, Proletarier und Unzufriedene, von den Befreiungstheologen bis hin zu den Landlosen, eine politische Heimat fanden.

1986 wurde er Abgeordneter der Verfassungsgebenden Versammlung. Nach drei Schlappen bei Präsidentenwahlen hintereinander kam er Ende 2002 schließlich mit dem Motto "Frieden und Liebe" an die Macht. Jeans, Arbeiterweste und Latschen hatte der sozialistische Berufspolitiker damals schon lange gegen Armani-Maßanzüge getauscht.

Der Wandel war aber auch innerlich. Vergessen sind schon lange die revolutionären Parolen gegen Establishment und Kapitalismus. Lula ist heute der Messias der Armen, geht aber auf pragmatischen Schmusekurs mit Unternehmern. Alte Weggefährte verließen ihn in den vergangenen vier Jahren, warfen ihm vor, sich dem Neoliberalismus unterworfen zu haben. "Ich war eigentlich nie ein Linker, nur ein Gewerkschaftler", rechtfertigte er sich in den vergangenen Jahren mehrfach.

Kein Schulabschluss
Auf die Generäle, Großgrundbesitzer, Millionäre und Intellektuellen, die in Brasilien traditionell den Staatspräsidenten stellten, folgte mit Lula erstmals ein echter Proletarier. Ein Mann, der keinen Schulabschluss, aber Sprachfehler und manchmal auch Probleme mit der portugiesischen Grammatik hat. Einer, der als Metallarbeiter den kleinen Finger der linken Hand verlor und den Spitznamen Lula, zu Deutsch Tintenfisch, vor 20 Jahren einfach seinem bürgerlichen Namen offiziell hinzufügen ließ.

Einer, der Wärme ausstrahlt und das Charisma des "kleinen Mannes" hat, der als Präsident aber auch weite Teile der Elite in seinen Bann zog. Laut Mitarbeiter regiert Lula "intuitiv", wird oft laut. Der Soziologe Anthony Giddens sagte 2003 in London, Lula könne nicht nur Brasilien, sondern die Welt entscheidend verändern. In Brasilien ist er sogar für einige Gegner heute schon ein "Mythos".

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