Interview

Jetzt spricht Waris Dirie

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Zwei Tage in der Gewalt eines Entführers: Österreichs Supermodel Waris Dirie sagt, wasin Belgien passierte. Und: Taxifahrer bei Polizei gemeldet.

Polizei: Taxifahrer hat sich gemeldet

Sie liegt verletzt in einem Wiener Krankenhaus. Gehirnerschütterung, Prellungen an der Schulter, Kratzspuren an den Schenkeln. „Es handelt sich um typische Verletzungen, wenn eine Frau festgehalten wird im Zuge von sexueller Nötigung oder versuchter sexueller Nötigung“, sagt ihr Anwalt Gerald Ganzger.

Wie Prostituierte behandelt
Erst nach und nach stellt sich heraus, welches Martyrium Waris Dirie (42, lebt seit vier Jahren in Wien) in Belgien über sich ergehen lassen musste. Im Interview mit Filmer Hannes Rossacher (dreht derzeit eine Doku über die gebürtige Somalierin) erzählt Dirie erstmals in Details, wie sie verschleppt wurde – und von der Brüsseler Polizei gedemütigt wurde. „Sie haben mich wie eine Prostituierte behandelt. Nur wegen meiner Hautfarbe.“

Mehr als drei Tage lang war Waris Dirie in Brüssel vermisst. Sie verschwand nach einem Disco-Besuch, blieb wie vom Erdboden verschluckt. Das Ex-Model gab an, das Hotel nicht mehr gefunden zu haben und auf der Suche danach auf einen Taxifahrer gestoßen zu sein, der sie zwei Tage gefangen hielt. Der Mann gab an, Dirie bei der Suche helfen zu wollen, verschleppte sie dann aber in sein Haus.

Belgische Behörden handeln nicht
Gefahndet wird nach dem Sex-Täter nicht. Denn die belgischen Behörden sehen keinen Anlass dazu. Der Brüsseler Staatsanwalt Jozef Colpin verstieg sich Mittwoch dazu, Waris Diries Vorwürfe gegen die Polizei als „Märchen“ zurückzuweisen. Die Polizei-Beamten hätten Waris im Gegenteil im Polizeiauto mitgenommen und in mehreren Hotels nachgefragt, wo für sie ein Zimmer reserviert sei, sagte Colpin. In einem solchen Moment, in dem die Polizisten aus dem Fahrzeug ausgestiegen waren, sei Dirie plötzlich verschwunden.

Ein Umstand, den Regisseur Rossacher verstehen kann: „Waris Dirie hat als ehemalige Staatenlose schlechte Erfahrung mit der Polizei gemacht. Kennt man diesen Hintergrund, ist leicht nachvollziehbar, dass sie Behörden und Polizei generell misstraut, die Situation im Polizeiauto offenbar als bedrohlich empfand und deshalb flüchtete!“

Dirie-Anwalt Ganzger will nun in Österreich Anzeige gegen den Sex-Täter erstatten. Diese werde dann an die belgischen Stellen weitergeleitet. Hoffentlich mit mehr Erfolg.

Das Interview

Frau Dirie, Sie waren mehr als drei Tage in Brüssel verschollen. Nach Ihrer Heimkehr haben Sie nun schwere Vorwürfe gegen die dortige Polizei erhoben. Was genau werfen Sie ihnen vor?
Waris Dirie: Als ich mein Hotel nicht finden konnte, ging ich als erstes zur Polizei. Sie haben zwar gefragt, wie sie mir helfen können, mir dann aber nur erklärt, dass sie mich ins Gefängnis stecken, wenn ich nicht wieder gehe.

Nach dem Verlassen der Polizeistation haben Sie nach Ihren Angaben den Taxifahrer, der Sie dann entführt hat, getroffen. Was genau ist passiert?
Dirie: Ich suchte weiter nach meinem Hotel und hatte plötzlich keine Energie mehr. Also hielt ich ein Taxi auf. Ich habe darauf vertraut, dass mir der Fahrer bei meiner Suche nach dem Hotel hilft. Dann habe ich mich plötzlich auf einer Autobahn befunden, mitten im Nichts. Wir müssen etwa eine Stunde gefahren sein. Zu diesem Zeitpunkt habe ich dann realisiert, dass da was schiefläuft. Er brachte mich dann zu seinem Haus und sagte, ich muss mich niedersetzen. Ich konnte eineinhalb Tage nicht weg, dann erst gelang mir die Flucht. Es war die Hölle.

Wie sind Sie entkommen?
Dirie: Ich habe erklärt, zur Toilette zu müssen und diesen Moment genützt. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war, ich habe einfach jemanden aufgehalten und ihn gebeten, mich in die Stadt zu fahren. Es fing an zu regnen, mir war sehr kalt und ich musste auf die Toilette. Ich setzte mich also in das erste Café auf meinem Weg, um zu überlegen, was ich jetzt unternehmen konnte.

Warum sind Sie nicht noch einmal zur Polizei gegangen?
Dirie: Dahin wollte ich nicht zurück, die hätten mich nur wieder hinausgeworfen. Dann sprach mich dieser Mann an. Er sprach Französisch. Und ist mir einfach nachgegangen. Das war der Moment, als mich die Polizei gefunden hat. Sie wollten wissen, wer der Mann ist und ich habe erklärt, dass ich es nicht weiß. Er wollte sich dann verabschieden, aber die Polizei hat gemeint, er muss mitkommen.

Haben Sie der Polizei erklärt, warum Sie sie nicht um Hilfe gebeten haben?
Dirie: Ich habe ihnen gesagt, dass sie mich wie eine Prostituierte behandelt haben. Ich ging zweimal zu ihnen, bekam aber nicht die geringste Hilfe. Sie haben nur meine Hautfarbe gesehen und mir nicht geholfen.

Wie fühlen Sie sich jetzt?
Dirie: Ich habe gelernt, nicht zu vertrauen. Besonders wenn es um Autoritäten geht. Ich fühle mich jetzt sehr traurig. Auch für jede Frau, die als Immigrantin in dieses Land kommt, weil ich weiß, wie sie behandelt wird.

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