Generalstreik lähmt Land

"Mein Chaos-Tag in Athen"

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ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl berichtet live aus Athen.

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Steine fliegen auf Polizisten, Molotow-Cocktails explodieren, Sonnenschirme gehen in Flammen auf, Tränengas überall.

Athen gestern Nachmittag. Die Innenstadt kocht.
Zehntausende Demonstranten belagern den Syntagma-Platz vor dem Athener Parlament. Manche recken Spruchbänder in die Höhe. Andere beschimpfen griechische Politiker als Diebe oder toben gegen die Profitgier der Banken. Sogar ein Galgen ist aufgebaut. „Hängt einige Banker“ hat jemand auf ein Auto gesprayt.

„Wir kämpfen für unser Recht“, schreien die Demonstranten. Sie sind professionell ausgerüstet, manche sind vermummt, alle setzen ihre Gasmasken auf. Es ist der verzweifelte Kampf der Griechen gegen das Sparpaket.

Im Parlament debattieren sie das Sparpaket ...
Während die 300 griechischen Abgeordneten im Parlament die 78-Milliarden-Sparmaßnahmen diskutieren, hat sich die Bevölkerung längst zum offenen Kampf gegen die Regierung formiert: „Wir werden das nicht hinnehmen“, schreien Vermummte. Ihre Aggressivität zeigt, wird geballt der Frust der Menschen bereits ist.

„80 Prozent der Griechen wollen das Sparpaket nicht“, schreit Satiris Stefanopulos , (49), ein Ex-Journalist. Neben ihm schleudert ein Vermummter eine Brandbombe gegen einen verbarrikadierten Kiosk. Die Polizei antwortet mit Tränengas­hagel. In Sekunden ist der ganze Platz in eine graue Wolke gehüllt. Ich atme das Gas ein, spüre den sauren Geschmack. Die Lungen brennen, die Augen tränen, die Nase rinnt. Für Minuten sehe ich nichts mehr.

Es ist, als würde mein Hals anschwellen, ich ringe nach Luft: „Nicht tief einatmen“, schreit ein Mann. Eine Frau sprüht mir aus ­einer weißen Flasche eine Flüssigkeit ins Gesicht. Es ist Melox, ein Medikament, das innerhalb weniger Minuten die Wirkung von Tränengas neutralisiert, die Lungen wieder frei macht. Es wirkt gut, doch es hinterlässt weiße Spuren im Gesicht und auf der Kleidung, man sieht aus, als wäre man mit Kreidewasser abgespritzt worden.

... vor der Tür prügeln sich Demonstranten und Polizei
Allesandro Valasamidou (26) verschanzt sich hinter einem Kiosk, er brüllt in Richtung Parlament: „Ihr habt uns um unsere Zukunft betrogen, wir lassen uns das nicht mehr gefallen.“ Ein anderer schreit: „Im Parlament beschließen sie, was Europa will, das werden wir verhindern.“

16 Prozent sind in Griechenland arbeitslos. Jeder zweite Jugendliche hat keinen Job. „Die Reichen haben ihr Geld längst ins Ausland gebracht“, toben viele. Alle Gewerkschaften haben zum Streik aufgerufen: Busse und Bahnen bleiben für 48 Stunden in den Depots, Schulen sind geschlossen, auch die meisten Geschäfte. Die Einkaufsstraßen im Stadtzentrum wirken wie ausgestorben: „Ich weiß, wir schaden dem Tourismus“, sagt Aleka, eine Studentin: „Aber wenn wir jetzt nicht auf die Straße gehen, haben wir nie mehr eine Chance.“

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22:23 Uhr: Die Proteste seien auf den Syntagma-Platz beschränkt, berichtete der Augenzeuge. Etwas abseits davon und in anderen Stadtteilen sei "alles ruhig".

22:04 Uhr: Die designierte Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hat nur wenige Minuten nach ihrer Ernennung die griechische Opposition zum Schulterschluss mit der Regierung aufgefordert. Die derzeitige französische Finanz- und Wirtschaftsministerin sagte am Dienstag, die Opposition müsse die Regierungspartei in einem Geiste der nationalen Einheit unterstützen.

Athen
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20:35 Uhr: Die Stimmung vor dem Parlament heizt sich wieder auf. Die Demonstranten drängen ins Parlament, die Polizei setzt Tränengas ein, berichtet die BILD.

20:04 Uhr: Totale Entspannung am Syntagma-Platz: Familien, alte und junge Menschen sind inzwischen in der Überzahl.

19:19 Uhr: Im Moment ist am Syntagma-Platz alles friedlich.

18:47 Uhr: Egal was heute im Parlament beschlossen wird, die Demonstranten bleiben am Syntagma-Platz. "Wir gehen hier nicht weg", ist der Tenor unter den Menschen, berichtet ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl.

18:01 Uhr: Immer noch sind tausende Menschen auf dem Syntagma-Platz. Es werden menschenketten gebildet, die bis zu einem etwas entfernt gelegenen Brunnen reichen. Die Menschen bringen so Wasserflaschen auf den Platz, die dort ausgeschüttet werden, um das Tränengas zu neutralisieren. ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl berichtet, dass man sich derzeit nicht länger als 2-3 Minuten auf dem Syntagma-Platz aufhalten kann, weil so massiv Tränengas eingesetzt wurde.

17:33 Uhr: Vor einer McDonald's-Filiale stehen einige Sonnenschirme in Flammen, berichtet die BILD.

Athen Griechenland Unruhen
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16:55 Uhr: Auch im nordgriechischen Saloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes, gingen 7000 Menschen auf die Straße, um gegen die weiteren Einsparungen in Höhe von 28 Milliarden Euro zu demonstrieren.

16:38 Uhr: Zwischen 70 und 100 gewaltbereite Demonstranten liefern sich in Athen Schlachten mit der Polizei.

16:13 Uhr: Tausende Menschen sind vor dem Parlament in Athen. Drei Polizisten wurden verletzt, bei Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen wurde eine Person durch einen Stich verletzt.

15:48 Uhr: Die Demonstranten suchen die Konfrontation mit den im Parlament tagenden Politikern: "Kommt raus, ihr Politiker!" skandieren sie in die Megaphone.

15:17 Uhr: Ersten Schätzungen zufolge sind über 20.000 aufgebrachte Griechen vor dem Parlamentsgebäude aufmarschiert. Angeheizt wird der Protest von den Gewerkschaften und den Kommunisten: Sie wollen das neue Sparpaket der Regierung stoppen.

15:15 Uhr: Mistkübel und Sonnenschirme von Cafés werden Opfer der Flammen. Aufgebrachte Jugendliche legen Feuer.

14:44 Uhr: ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl steht mitten in einer Tränengas-Wolke. Um ihn herum herrscht totales Chaos.

14:40 Uhr: Die Gewalt entlädt sich nun total: Wutentbrannte Demonstranten randalieren, zerstören Geschäfte. Mit Eisenstangen werden Auslagenfenster zerstört.

14:24 Uhr: Der Syntagma-Platz mitten in Athen wird jetzt zum Schlachtfeld. Molotow-Cocktails fliegen. Ein Kiosk geht in Flammen auf. Die Polizei hat eine Kette um das Parlament gebildet.

Griechen proben Aufstand

13:36 Uhr: Die Lage in Athen eskaliert: Vermummte Demonstranten greifen die Polizei mit Flaschen und Steinen an. Die Beamten setzen Tränengas ein.

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13:26 Uhr: Auch die Journalisten streiken: Derzeit gibt es im Radio und im Fernsehen in Griechenland keine Nachrichten

13:01 Uhr: Österreichs Banken könnten sich wie jene in Frankreich an den Hilfen für Griechenland beteiligen. Auf entsprechende Fragen erklärte Bundeskanzler Werner Faymann (S) am Dienstag nach dem Ministerrat, es gebe hier Gespräche "ohne großer öffentlicher Begleitmusik" in enger Zusammenarbeit mit der Nationalbank.

12:52 Uhr: Dass die Menge gewaltbereit ist, zeigt der Galgen, den die Demonstranten symbolisch vor dem Parlament aufgestellt haben:

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12:32 Uhr: Vor dem Parlament in Athen hat die Polizei einen Sicherheitsgürtel eingerichtet. So sollen die Demonstranten vor einem weiteren Vormarsch auf das Gebäude gestoppt werden.

11:54 Uhr: Die EU macht Druck auf Athen:  EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn hat Griechenland neuerlich dazu gedrängt, das Sparpaket von Europäischer Union und IWF anzunehmen, um die fünfte Hilfstranche von zwölf Milliarden Euro zu erhalten

11:25 Uhr: Der österreichische Flugverkehr ist nur gering von dem Streik betroffen. Alle AUA und Fly Niki-Flüge nach Griechenland finden statt. Lediglich die Flugzeiten mussten angepasst werden.

11:16 Uhr: Mehr als 10.000 Demonstranten erreichten am Vormittag in Athen das Parlament. Lautstark forderten sie die Abgeordneten auf, das Sparprogramm nicht zu billigen:

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11:00 Uhr: Die ersten Touristen bekommen die Auswirkungen des Streiks schon zu spüren: Die Fähren bleiben im Hafen. Tausende sind auf den Inseln gestrandet.

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10:41 Uhr: Griechenlands Ministerpräsident Papandreou ruft in der Parlamentsdebatte eindringlich auf, das harte Sparprogramm zu billigen. "Ihre Stimme am Mittwoch ist die einzige Chance, die unser Land hat, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können", sagte er.

10:26 Uhr: Rückblick: Von der Annahme des Spar-Pakets, mit dem 78 Milliarden Euro bis 2015 eingespart werden sollen, hängt die Auszahlung einer weiteren Kredittranche von EU und IWF in Höhe von 12 Milliarden Euro ab. Hier die Liste, wie eng die Griechen den Gürtel jetzt schnallen müssen:

  • Grundrenten werden eingefroren, zusätzliche Altersversorgung ebenfalls. Wer mehr als 1.700 Euro hat, muss 10 Prozent abgeben.
  • Mit rund 700.000 hat Griechenland die höchste Beamtendichte in der EU. Zigtausende sollen abgebaut werden.
  • Vom Gehalt wird künftig eine Solidaritätssteuer abgezogen. 1.000 Euro im Monat sind frei, darüber wird mit bis zu 5 % besteuert.
  • Die Kfz-Steuer wird um 10 % angehoben, im Restaurant und Café werden künftig 23 statt bisher 13 % Mehrwertsteuer eingehoben.
  • Rechtsanwälte, Handwerker und andere Freiberufler müssen 300 Euro jährlich Extra-Steuer bezahlen.
  • Wer ein Haus im Wert von über 200.000 Euro hat, muss künftig Extra-Abgaben leisten, Jachtbesitzer sowieso. Bei Häusern mit Pool gilt: je größer der Pool, desto höher die Steuer.
  • Um 833 Mio. Euro sollen die Sozialleistungen heuer gesenkt werden, nächstes Jahr um 1,1 Mrd. Euro. Im Gesundheitswesen werden 310 Mio. eingespart.

 

10:08 Uhr:  Ärzte behandeln in Krankenhäusern nur Notfälle.
 
10:02 Uhr:
Auch der Flugverkehr wird betroffen sein: Die Fluglotsen haben zwei vierstündige Arbeitsniederlegungen zwischen 07:00 Uhr und 11:00 Uhr MESZ angekündigt und erneut zwischen 17:00 Uhr und 21:00 Uhr MESZ.

09:55 Uhr: Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken sollen ebenfalls bestreikt werden

09:15 Uhr: Für 48 Stunden sollen Züge, die meisten Fähren und die Vorstadtbahn von dem Streik betroffen sein. Dem öffentlichen Leben droht der Zusammenbruch.

08:22 Uhr: Zu dem Streik haben die beiden größten Gewerkschaftsverbände aufgerufen. Auch die hauptsächlich über das Internet organisierte Bewegung der "Empörten Bürger" will sich beteiligen. Die "Empörten Bürger" wollen am morgigen Mittwoch parallel zur Abstimmung im Parlament alle Zufahrtsstraßen zum Gebäude sperren.

 

Seite 2: Die Hintergründe zum Griechen-Streik

 

Morgen ist der Tag der Wahrheit für Athen. Das Parlament stimmt über das härteste Sparpaket aller Zeiten ab. Schon heute hat die Gewerkschaft deswegen zum zweitägigen Generalstreik aufgerufen.

Die Proteste könnten sich zu Straßenschlachten und sogar bis zum Bürgerkrieg ausweiten, fürchtet Vizepremier Theodoros Pangalos. Die Armee soll im Notfall die Polizei verstärken, lautet sein verzweifelter Plan, um die drohende Anarchie zu vermeiden.

Der Grund für den Aufstand in Griechenland: Das milliardenschwere Sparprogramm der Regierung bringt enorme Einschnitte – nur wenn es durchgeht, zahlen EU und IWF die nächste 12-Milliarden-Tranche ihrer Kredithilfe aus. Fließt das Geld nicht, ist Griechenland Mitte Juli pleite.

Jeder Grieche wird mit rund 7.000 Euro belastet
Das Sparprogramm ist insgesamt 78 Milliarden Euro schwer, davon sind 28 Milliarden Einsparungen, 50 Milliarden sollen Privatisierungen bringen. Bei einer Bevölkerung von etwas über elf Millionen heißt das, dass jeder rund 7.000 Euro beitragen muss. Und so werden es die Griechen spüren:

Die Einkommen der Griechen sind zwar schon um über 20 % gesunken, aber jetzt sollen Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst heuer noch um 800 Mio. Euro reduziert werden, um weitere 660 Mio. 2012.

Bis zu 5 % weg vom Gehalt als Solidaritätssteuer
Statt bisher 37,5 müssen die Griechen künftig 40 Stunden pro Woche arbeiten. Für Überstunden gibt es weniger Geld, Teilzeitarbeit und unbezahlter Urlaub werden verordnet. 70 Tage Urlaub wie bisher gibt’s sowieso nicht mehr. Und das den Griechen „heilige“ 14. Monatsgehalt soll drastisch gekürzt werden.

  • Grundrenten werden eingefroren, zusätzliche Altersversorgung ebenfalls. Wer mehr als 1.700 Euro hat, muss 10 Prozent abgeben.
  • Mit rund 700.000 hat Griechenland die höchste Beamtendichte in der EU. Zigtausende sollen abgebaut werden.
  • Vom Gehalt wird künftig eine Solidaritätssteuer abgezogen. 1.000 Euro im Monat sind frei, darüber wird mit bis zu 5 % besteuert.
  • Die Kfz-Steuer wird um 10 % angehoben, im Restaurant und Café werden künftig 23 statt bisher 13 % Mehrwertsteuer eingehoben.
  • Rechtsanwälte, Handwerker und andere Freiberufler müssen 300 Euro jährlich Extra-Steuer bezahlen.
  • Wer ein Haus im Wert von über 200.000 Euro hat, muss künftig Extra-Abgaben leisten, Jachtbesitzer sowieso. Bei Häusern mit Pool gilt: je größer der Pool, desto höher die Steuer.
  • Um 833 Mio. Euro sollen die Sozialleistungen heuer gesenkt werden, nächstes Jahr um 1,1 Mrd. Euro. Im Gesundheitswesen werden 310 Mio. eingespart.

Angesichts dieser Härte verwundern die Proteste der Bevölkerung nicht, die Griechen sind am Limit. Jeder Zweite unter 30 ist arbeitslos. Die Zahl der Selbstmorde ist bereits um 30 Prozent gestiegen.
 

Was passiert bei Pleite?

Die wichtigsten Fragen rund um die Abstimmung der Griechen über ihr Sparpaket.
Athen. Voraussetzung für die Milliardenhilfen von EU und IWF ist, dass die Griechen das Sparprogramm absegnen. Nur dann kann die Rettung Griechenlands mit internationaler Unterstützung auf den Weg gebracht werden.

Was passiert, wenn das Parlament Nein sagt?
Geht das Sparpaket am Mittwoch nicht durch, bleibt die Möglichkeit, es bis Freitag doch noch abzusegnen. Die Euro-Finanzminister kommen erst am Sonntag (3. Juli) zusammen, um über die Freigabe der nächsten 12-Milliarden-Tranche zu beschließen.

Was ist, wenn das Hilfsgeld im Juli nicht fließt?
Die Griechen müssen bereits Mitte Juli Staatsanleihen über 4,4 Mrd. Euro zurückzahlen. Ohne die EU-Milliarden können sie das nicht. Außerdem geht Athen Mitte Juli das Geld für Löhne und Pensionen aus. Das Land müsste dann den Staatsbankrott erklären.

Was passiert bei einer Pleite Griechenlands?
Die Pleite eines Eurolandes ist in den Statuten der Währungsunion eigentlich nicht vorgesehen – und würde die gesamte Eurozone in schlimme Turbulenzen stürzen. Griechenlands Gläubiger müssten dann auf den Großteil ihrer Forderungen von insgesamt 360 Mrd. Euro verzichten. Die meisten Schulden hat Athen bei Banken. Eine Pleitewelle von Geldinstituten würde drohen. Die Folge: eine neue Finanzkrise noch ärgeren Ausmaßes als jene von 2008.

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