Experte Weiss kritisiert die "eindimensionalen Strategie" des Krisenstabs das und Festhalten an der Sieben-Tage-Inzidenz von 50.
Der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin, Günter Weiss, drängt auf Lockerungen des Lockdowns mit 8. Februar. Es gelte, die "erschöpfte und perspektivlose Bevölkerung wieder ins Boot zu holen", sagte Weiss im Gespräch mit der Tageszeitung "Die Presse". Zudem kritisierte er die "eindimensionale Strategie" des Krisenstabes und forderte einen Strategiewechsel weg vom ausschließlichen Schielen auf die Sieben-Tage-Inzidenz.
Kritik an Festhalten an 7-Tages-Inzidenz von 50
Am Lockdown festzuhalten, bis eine Sieben-Tage-Inzidenz von höchstens 50 erreicht wird, hielt Weiss, der dem Beraterstab der Corona-Taskforce im Gesundheitsministerium angehört, nicht für zielführend. Zu viele Menschen seien nicht mehr bereit, diese Strategie mit einem schwer erreichbaren Ziel mitzutragen. Anstatt ausschließlich auf die Sieben-Tage-Inzidenz zu schielen und zu versuchen, sie unter 50 zu drücken, sollte "ein Mittelweg angestrebt werden" - in Form von ersten Lockerungen ab 8. Februar, zum Beispiel mit der Öffnung von Schulen und Kindergärten, des Handels sowie der körpernahen Dienstleistungen wie Friseure.
Weiss: "Stimmung könnte kippen"
"Die Stimmung könnte tatsächlich kippen, wie man an den Protesten in den Niederlanden gesehen hat", fürchtete Weiss und fügte hinzu: "Zudem bahnt sich so etwas wie ein Generationenkonflikt an. Junge Leute fragen sich, wie lang sie noch auf ihre Jugend verzichten sollen, um ältere und vulnerable Personengruppen zu schützen". Die Pannen und Verzögerungen bei den Impfungen, die wiederholte Verlängerung des Lockdowns sowie die anhaltende Perspektivlosigkeit hätten dazu geführt, dass sich "immer mehr Menschen von den Maßnahmen zur Kontaktreduktion verabschiedet haben", argumentierte der renommierte Mediziner. Überhaupt nichts hielt Weiss zudem von der sogenannten "Zero-Covid-Strategie", also das Drücken der Neuinfektionen in Richtung null, wie sie von manchen Epidemiologen gefordert wird. Dies sei ein "realitätsfernes Wunschdenken", das nur von "Theoretikern" stammen könne.
Wunsch nach Normalität
Dass sich die Zahlen seit Mitte Dezember nicht mehr nennenswert ändern, sei ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr bereit sei, soziale Kontakte weitgehend zu meiden. Das müsse nicht immer mit Vorsatz geschehen, aber der Wunsch nach Normalität und dem Ende des ständigen Verzichts sei einfach zu groß. Weiss gilt auch als enger Berater von Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), der bereits diese Woche die Stimmung in der Bevölkerung "kippen" sah.
NEOS für Öffnungen
Für Öffnungsschritte sprach sich am Freitag indes auch der Tiroler NEOS-Landessprecher und Klubobmann Dominik Oberhofer aus. "Wir müssen sanfte Öffnungsschritte mit Hirn setzen, bevor die Gesundheitskrise immer mehr zu psychosozialen Krise wird", meinte er. Bei allem Verständnis dafür, dass es weiterhin unkalkulierbare Risiken gebe, "fehlt mir nach fast einem Jahr der Pandemie die Verhältnismäßigkeit. Wir alle brauchen endlich eine Perspektive", so Oberhofer.