Gegenüber USA & Co.

Europa hat einen Digital-Rückstand

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Mangelnde Risikobereitschaft und zu viel Regulierung als Ursachen.

Europa droht nach Ansicht von Politikern und Unternehmern, den Anschluss bei der Digitalisierung zu verpassen. Es werde etwa in Deutschland zu wenig Geld in neue Geschäftsideen investiert und zu lange über Regulierung debattiert. Derzeit passiere "zu wenig, zu spät, zu langsam", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im deutschen Finanzministerium, Jens Spahn (CDU), am Sonntag zum Start der Internetkonferenz DLD in München. Während in den USA viele Milliarden in junge Unternehmen gesteckt würden, hielten sich die Investoren hierzulande zurück.

Dabei gebe genug freies Geld in Europa und angesichts der niedrigen Zinsen seien derzeit lohnende Anlagen knapp. "Aber es fließt einfach nicht in Venture Capital. Warum nicht?", sagte Spahn. Auch der Chef der Startup-Fabrik Rocket Internet, Oliver Samwer, beklagte eine niedrige Risikobereitschaft in Europa und Deutschland. In den USA gebe es eine starke Startup-Kultur. In Deutschland fehle so etwas.

Nachteil durch Regulierung
Nach Ansicht von Spahn erschwert zudem die Regulierung das Geschäft. "In den USA sammelt man erst einen Berg von Daten und denkt dann darüber nach, welche Geschäftsmodelle man auf dieser Basis entwickeln kann." In Deutschland hingegen dürften Daten nur zu einem vorher festgelegten Zweck gesammelt werden und würden danach gelöscht. "Mit diesen zwei verschiedenen Ansätzen kann kein deutsches Unternehmen jemals mit einem amerikanischen konkurrieren", betonte Spahn.

Vieles laufe einfach zu langsam, kritisierte er. Längst gehe es um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, etwa der Autobauer. "Wir müssen besser werden", sagte Spahn. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager mahnte zuvor einen fairen Ausgleich zwischen Datenschutz und den Vorteilen des weltweiten Datenaustausches an und forderte einen vorsichtigen Umgang mit Nutzerdaten.

Privatsphäre wichtig
"Wenn wir nicht privat sein können, wer sind wir dann?", fragte Vestager. Privatsphäre sei enorm wichtig, Nutzer müssten entscheiden können, mit wem sie ihre Daten teilen und was mit den Daten passiert. Viele Kunden etwa von Online-Händlern misstrauten den Unternehmen und fürchten um die Sicherheit ihrer Daten: "Das ist ein Problem."

Internet-Nutzer müssten zudem die Chance haben, ihre Spuren im Netz zu verwischen oder ihre Daten von einem Anbieter zu anderen mitnehmen zu können. Dafür brauche es auch hier eine Wettbewerbskontrolle, die für faire Bedingungen sorge. Wettbewerb sei die Voraussetzung für offene Märkte. "In dieser Beziehung unterscheiden sich die digitalen Märkte nicht von klassischen Märkten", sagte Vestager.

Balance wichtig
Der Unterschied sei das Tempo des digitalen Wandels. Nötig sei eine Balance zwischen Risiken und Chancen, die die Digitalisierung birgt, eine Balance zwischen Rechten der Verbraucher und Möglichkeiten der Unternehmen. Daten seien längst eine Währung in diesen Märkten - und Kunden, die mit Daten bezahlen, sollten so behandelt werden, als hätten sie mit Bargeld bezahlt, sagte Vestager. "Wenn wir ein offenes Internet wollen, müssen wir die Sorgen der Menschen ernstnehmen, sonst ziehen sie sich zurück", mahnte sie.

Die Kommissarin ist unter anderem für das EU-Wettbewerbsverfahren gegen Google zuständig, bei dem derzeit die Shopping-Suche im Visier steht. Sie nimmt aber auch andere Aspekte das Suchmaschine und das Smartphone-System Android unter die Lupe. Ihre Behörde gehe nicht gegen Unternehmen vor, sondern gegen falsches Verhalten, betonte sie.

Der Chef des US-Empfehlungsdienstes Yelp, Jeremy Stoppelman, warf Google vor, als oft voreingestellte Suchmaschine seinen Service zu benachteiligen. Yelp geht in Brüssel gegen Google vor.

Der amerikanische Journalist Jeff Jarvis kritisierte via Twitter, in Europa werde zu viel über Risiken und zu wenig über die Möglichkeiten gesprochen. "Entschuldigung, aber es ist so europäisch, die Diskussion über Technologie mit Sorgen statt mit Möglichkeiten zu beginnen", schrieb er zum Auftritt Vestagers.

Zweischneidig
Auch DLD-Mitgründerin Steffi Czerny sagte, die Digitalisierung habe wie die meisten Dinge eine dunkle Seite. Innovationen könnten genutzt werden, um Neues zu erschaffen, genauso aber zerstören. Um die Herausforderungen zu meistern, seien neue Ansätze nötig: "Wir müssen unsere ausgetretenen Pfade verlassen." Dazu solle die DLD-Konferenz ihren Beitrag leisten. Bis Dienstag diskutieren mehr als 150 Redner mit rund 1.500 Gästen. Die Konferenz, 2005 vom Verleger Hubert Burda begründet, gehört zu den wichtigsten Veranstaltungen dieser Art.

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