Statt Horror ein Schuss Hardboiled vom Gruselmeister.
Vielschreiber Stephen King hat wieder einen Schmöker für seine Fans abgeliefert: Über rund 700 Seiten erstreckt sich das Abenteuer von "Billy Summers", dem Namensgeber des jüngsten Romans des Meister des wohligen Gruselns. Doch diesmal unternimmt der US-Autor einen seiner gelegentlichen Ausflüge in ein anderes Genre: Die Story vom letzten Auftrag eines Profikillers gehört in die Rubrik Thriller - statt Horror gibt es einen Schuss Hardboiled, ohne dass King Risiken eingeht.
Töten für Geld
Billy Summers tötet für Geld, allerdings nur "böse Menschen". Zum ersten Mal drückt er als Kind ab, als der aggressive Freund der Mutter Billys Schwester umbringt. Der gesamte Background ist pures Klischee: Aufgewachsen nach dem traumatischen Vorfall bei einer Pflegefamilie in einer Art Heim, sucht Billy sein Glück in der Armee. Bei Einsatz im Irak erweist er sich als zielsicherer Scharfschütze. Was liegt da näher, als nach der Rückkehr aus dem Dienst Kinderschänder, Mörder und ähnlich "böse Menschen" lukrativ aus dem Weg zu räumen? Was eine Auftraggeber nicht wissen: Billy ist hochintelligent und belesen.
Tarnung
Und weiter spielt King ausgelassen und ungeniert mit Klischees, was einerseits einen Reiz des Romans ausmacht, andererseits ausgereizt wird. Der Killer soll einen letzten Auftrag für sehr viel Geld ausführen. Letzte Aufträge pflegen in solchen Genregeschichten meist schief zu gehen, so auch für Billy Summers. Dieser nimmt die Leser daher mit auf einem rasanten Rachefeldzug, nachdem zuvor die Handlung einzuschlafen drohte. King legt noch einen drauf: Der edle Killer rettet ein missbrauchtes Mädchen, in Billy erwacht der Beschützer, der er für seine geliebte Schwester nicht mehr sein kann. Wird es blutig? Selbstverständlich! Doch schlussendlich bleibt King dem Mainstream verhaftet, leider, möchte man sagen.
Es fühlt sich an, als hätte der Starautor viele unterschiedliche Ideen aus der Schublade gezogen und zu einem Buch zusammengebaut. Auch wiederkehrende Motive fehlen nicht: So ist der Held ein Schriftsteller - zunächst zur Tarnung, dann tatsächlich, als Billy Summers seine Lebensgeschichte niederschreibt. Die Rückblenden erfolgen als Buch im Buch, die Kriegserlebnisse erlauben dem Autor, einen kritischen Blick auf den Militäreinsatz zu werfen. Donald Trump, der Coronalockdown und eine Hommage an eine der erfolgreichsten Arbeiten des Schriftstellers schaffen es auch noch in den Roman, der dank des erzählerischen Könnens Kings trotz der Fülle an Zutaten schlüssig und, abgesehen von ein paar Längen, unterhaltsam bleibt - ein Blockbuster, der aber mit den zuletzt erschienen King-Werken in puncto Spannung nicht mithalten kann.