Am Freitag präsentiert Bondy bei den Wiener Festwochen "Seconde Surprise", seine Inszenierung von "La Seconde Surprise de l'Amour".
Jeder sucht die große Liebe, möchte man meinen. Auch am Theater wird diese Suche, das Finden und schließlich wieder der Verlust der Liebe seit Jahrhunderten durchexerziert. Wie beklemmend es sein kann, wenn dieses so beliebte Modell umgedreht wird, zeigt Luc Bondy mit seiner in Paris bejubelten Inszenierung von Marviaux' "La Seconde Surprise de l'Amour", die am Freitag, nun im Rahmen der Wiener Festwochen verunsicherte, in ihren Bann zog, immer wieder losließ und am Ende doch begeisterte.
280 Jahre vor "Speed-Dating"
Der Mut zur
Entschleunigung, die den Theaterbesucher paradoxerweise alles andere als
entspannt, ist eine jener Eigenschaften, die den Festwochen-Intendanten Luc
Bondy auszeichnet. 1727 wurde die dreiaktige Komödie "Die zweite
Überraschung der Liebe" in Paris erstmals aufgeführt. 280 Jahre vor
"Speed-Dating", Partnerbörsen und Selbstverwirklichung war die Entsagung
durchaus en vogue. Frauen, die ins Kloster gehen und ihren Liebsten in
Verzweiflung stürzen, junge Witwen, die unter ihrem schwarzen Schleier dem
Wahnsinn verfallen und keinem Mann jemals mehr in die Augen sehen wollen,
sind passe.
Schwarze Schleier gibt es auch bei Luc Bondy, auch Zofen und Diener, die Marquise, den Chevalier und den Comte. Doch sie sind keine romantischen Liebeskranken, sondern hoffnungslose Narzisse, die sich vor der Unbedingtheit der Gefühle, vor der eigenen Schwäche fürchten und die gar nicht mehr wissen, was sie wirklich fühlen. Richtige Singles eben. Dennoch leiden und lieben Bondys Figuren in einem luftleeren Raum ohne zeitliche Verortung, über allem schwebt eine Ernsthaftigkeit und Tristesse, deren Realisierung einem Kunststück gleicht. Die Angst, sich vor der Umwelt einerseits durch das Zugeständnis an die Liebe, andererseits durch die Schmach mangelnder Aufmerksamkeit durch Eifersucht zu blamieren, bestimmt das Geschehen.
Ein Bühnenbild
Alle drei Akte spielen vor dem selben
Bühnenbild, zwei schwarzen Baracken auf einem langen Podest, in die sich die
Marquise und der Chevalier zurückziehen, einem großen, mit weißen Kügelchen
bestreuten, weiten Vorplatz unter einem fragilen Neonbogen, der die Handlung
einrahmt. Die unglückliche, gebrochene Marquise hat sich zurückgezogen, um
zu trauern, nicht einmal ihre treue Zofe kann sie überreden, sich nicht so
gehen zu lassen. Erst als der ebenfalls verlassene Marquis die Bildfläche
betritt, entscheiden sich die beiden, ihren Schmerz durch die zarten Bande
einer jungen, aber bedingungslosen Freundschaft zu teilen und zu lindern.
Während sich Zofe und Diener vorbehaltlos ineinander verlieben, ist die
Beziehung der beiden Verlassenen von Spannungen und Missverständnissen
geprägt. Zuzugeben, dass da mehr ist als Freundschaft, scheint unmöglich.
Die Intrigen ihrer Zeitgenossen tun den Rest, und so steht am Ende wieder
die schiere Verzweiflung.
Schauspieler, statt Effekte
Bondy setzt in keiner Sekunde auf
Effekte, sondern auf seine Schauspieler, die die beachtliche Textflut
leichtfüßig bewältigen, auf kleine Gesten und die Macht der
Missverständnisse. Mit Micha Lescot hat Bondy einen schlaksigen, aber
eleganten, feinsinnigen und überaus hübschen Chevalier gefunden, der stets
zwischen Verzweiflung, zarter Liebe und heimtückischer Intrige schwankt. Er
ist gleichzeitig Opfer und Herr über Clotilde Hesme, die sich elegant,
bisweilen naiv, aber nie mitleiderregend ihren wahren Gefühlen entzieht und
ab und zu eifersüchtig auf ihre für eine Zofe viel zu sexy und selbstbewusst
anmutende Audrey Bonnet schielt, die dem schelmischen Diener Roch Leibovici,
der auf einem Herrenrad über die Bühne gondelt, verfällt.
Pascal Bongard als skurriler Gelehrter und Roger Jendly als stocksteifer Comte, der bis zum Schluss auf eine Hochzeit mit der Marquise hofft, bilden einen wunderbaren Rahmen für die verletzlichen Liebenden, die in der Erfüllung ihrer Gefühle schließlich verzweifeln. Langer, aber nicht euphorischer Applaus für die Schauspieler und Regisseur Bondy beschloss den zweistündigen Abend, der ob seiner sehr reduzierten deutschen Übertitel wohl so manchem den vollen Genuss von Marivaux' Sprachgewalt und Subtilität verwehrte.