„La Bohème“. ÖSTERREICH war bei den Dreharbeiten in den Wiener Rosenhügel-Studios und sprach mit den beiden Superstars Anna Netrebko und Rolando Villazón.
Die Location ist betörend! Regisseur Robert Dornhelm und sein Ausstatter Florian Reichmann haben ein Stück Paris des 19. Jahrhunderts in die Hallen der Wiener Rosenhügel-Studios gezaubert: In einer Halle ist eine Winterlandschaft nachgebaut, in einer anderen die Mansarde des berühmten Bohème-Liebespaars Rodolfo und Mimi, in einer dritten führen verwinkelte Kopfsteinpflaster-Gassen mit liebevoll ausgestatteten Läden (Bücher, Kunsthandwerk, Mode, Torten) zum hell erleuchteten Pariser „Café Momus“.
Hier dreht Dornhelm – beim Set-Besuch von ÖSTERREICH – gerade die Szene, in der die verführerische Musetta und ihr rüstiger Galan Alcindoro mit großer Geste bei der Tür hereinkommen. Die bildhübsche Nicole Cabell – eine Kalifornierin mit afroamerikanischen, europäischen und koreanischen Wurzeln – spielt die Musetta; und kein Geringerer als der Wiener Staatsoperndirektor Ioan Holender – im Gehrock und mit gezwirbeltem Schnauzbart – mimt ihren eleganten Begleiter.
An einem der Kaffeehaustische wartet bereits „Mimi“ Anna Netrebko, deren
Schwangerschaft vor zwei Wochen weltweites Aufsehen erregte: wunderschön und
ganz „Lady in Red“. Und hinter den Kulissen harrt „Rodolfo“ Rolando
Villazón, quirlig und tausendprozentig wie eh und je, auf seinen Auftritt.
Eine
Hundertschaft an Komparsen bevölkert die weihnachtliche Szenerie, aus den
Lautsprechern ertönt hinreißendster Puccini …
Noch bis Monatsende laufen die Bohème-Dreharbeiten (Kostenpunkt: 5 Millionen Euro). Ende Mai ist auch die Post-Production fertig. „Schauen wir einmal“, sagt Regisseur Dornhelm, „ob sich’s bis zu den Filmfestspielen von Cannes ausgeht. Aber es gibt ja auch noch die berühmte Piazza von Locarno oder Venedig, wo wir unsere Bohème präsentieren könnten.“
Nach einem langen Drehtag treffen wir noch Ioan Holender – übrigens ein Cousin ersten Grades von Dornhelm – abseits der Scheinwerfer. Wir fragen ihn nach seinen Erfahrungen der letzten Tage: „Was mir als Operndirektor auffällt“, lächelt er, „ist die unglaubliche Opulenz, die beim Film möglich ist. Die Äpfel und Zwetschken, Fische und Enten sind alle echt! Was das kosten muss! Ich weiß schon, warum ich an meinen Haus keinen Filmregisseur inszenieren lasse.“ Wie Villazón an den echten Fischen und Enten leiden musste, lesen Sie im folgenden Round-Table-Interview.
ÖSTERREICH: Sie haben unlängst „Roméo et Juliette“ an der New Yorker Metropolitan Opera gesungen, und die Vorstellung wurde von zehn Kameras live in die ganze Welt übertragen ...
Anna Netrebko: (lacht) Es waren zwölf!
Robert Dornhelm: Eine war sogar im Dressing Room!
ÖSTERREICH: … war das für Sie so einen Art „Warming-up“ für die aktuellen „Bohème“-Dreharbeiten?
Netrebko: Nein, das kann man so nicht vergleichen. Denn diese Übertragung in die ganze Welt war in Wahrheit ein Riesenstress! Wenn du weißt, dass Hundertausende Fans „live“ an deinen Lippen hängen, dann ist das schon sehr, sehr stressig. Vollkommen anders als …
ÖSTERREICH: … bei den „Bohème“-Dreharbeiten?
Netrebko: Ja, die sind, wenn man gute Nerven hat und eine ordentliche Gesangstechnik, dank unseres wunderbaren Regisseurs ausgesprochen angenehm.
ÖSTERREICH: Waren die zwölf Fernsehkameras in New York keine schauspielerische Herausforderung?
Netrebko: Schon, schon ... Wir mussten klarerweise anders agieren als bei einer „normalen“ Vorstellung. Denn die Kameras waren sehr „close“, und ich lernte zu spielen, ohne dass ich meine üblichen Gesichter schnitt (lacht)! Aber was das Schwierigste war: Als Julia muss man am Ende der Oper zwanzig Minuten lang – gerade wenn der Tenor am allerschönsten singt – auf dem Boden liegen und darf sich nicht bewegen!
ÖSTERREICH: Als Mimi in der „Bohème“ müssen Sie aber auch lange sterben.
Netrebko: Was ebenfalls nicht ganz leicht ist, weil Robert gerne die kompletten Szenen dreht – ohne „Cuts“.
Dornhelm: Das stimmt, ich schneide nicht gern.
ÖSTERREICH: Haben Sie seit der Mimi Lust auf mehr Film bekommen?
Netrebko: Um ehrlich zu sein: Nein. Ich sehe mich nicht als Schauspielerin.
Dornhelm: Aber du spielst doch hier!
Netrebko: Ja, aber es ist Oper! Ich mag das sehr, was ich hier mache. Aber die Welt des Films ist doch eine ganz andere. Nein, ich sehe meine Zukunft nicht beim Film.
Dornhelm: (streichelt Netrebko liebevoll über den Arm) Obwohl du so perfekt und wunderschön bist …
Netrebko: Wissen Sie, wir Opernsänger haben alle das gleiche Problem beim Film: Wir gestikulieren gerne, weil wir das von der Bühne her so gewöhnt sind. Wir machen großartige Bewegungen mit dem Kopf, mit dem ganzen Körper, ja sogar mit unseren Augenbrauen …
Rolando Villazón: (wackelt mit den Augenbrauen wie im Stummfilm) … meine Augenbrauen übertreiben immer – „overacting eyebrows“ (lacht schallend)!
Netrebko: „Overacting“ war für uns alle am Anfang ein Problem. Bis uns Robert die „Takes“ auf dem Monitor gezeigt hat und wir einsahen: „Oh mein Gott, so geht das nicht! Da müssen wir schauspielerisch doch mehr an uns halten!
Dornhelm: Aber da kann ich euch beide beruhigen, das geht doch allen Opernsängern so. Weil sie ja normalerweise über den Orchestergraben kommen müssen. Und da muss man natürlich auch seine Augenbrauen entsprechend großzügig einsetzen.
ÖSTERREICH: Ioan Holender sagte uns gerade auf dem Set, ihn würde irritieren, dass man beim Film eine einzelne Szene nicht wie bei Bühnenproben zwei- oder dreimal absolviert, sondern gleich 17-oder dreißig- oder vierzigmal! Erschien Ihnen das auch so ungewohnt?
Netrebko: Da muss ich sagen, das haben wir schon gewusst. Es war nur schlimm für Rolando, weil er im ersten Akt von Bohème für eine Einstellung 18-mal Fisch essen musste. Und im 2. Akt musste zehn gegrillte Enten verdrücken ...
ÖSTERREICH: Tatsache?
Villazón: (gestikuliert) ... und ich musste auf die Toilette rennen, weil mir so sterbensschlecht war! 18 Fische und zehn Enten, wer soll denn das vertragen!?