Die Wiener Band "Sofa Surfers" instrumentieren das Bühnengeschehen live.
"Es wird im Leben / mehr genommen als gegeben." Wenn Johannes Pinneberg, die Hauptfigur in Hans Falladas Arbeitslosenroman "Kleiner Mann - was nun?", in der Bühnenfassung am Wiener Volkstheater diese Zeile singt, haben er und seine Emma, von allen nur Lämmchen genannt, den brutalen sozialen Abstieg bereits hinter sich. Die Weltwirtschaftskrise lässt die Arbeitslosenzahlen explodieren, Pinneberg ist einer von Millionen - vom Glück vergessen, wie es bei Fallada heißt, und von den Glücklicheren getreten. Der Desillusion geben Regisseur Georg Schmiedleitner und Bühnenbildner Stefan Brandtmayr einen bedrückend aktuellen Rahmen. Viel Applaus und Bravo-Rufe für die erste Premiere der Saison.
Natürliche Zeitlosigkeit
Schmiedleitner, der gemeinsam mit Dramaturgin Susanne Abbrederis auch für die Textfassung verantwortlich zeichnet, hat den Stoff nicht zwanghaft modernisiert, sondern ihm vielmehr eine natürliche Zeitlosigkeit gegeben. In der grau gehaltenen Bühne, die auch als Projektionsfläche für Szenen aus Walther Ruttmanns Berlin-Film "Die Sinfonie der Großstadt" dient, dreht sich - wie eine Trennwand zwischen den sozialen Schichten - ein langer Gang mit vielen Türen. Wann immer für das junge Paar Türen aufzugehen scheinen, gehen andere schnell wieder zu. "Manchmal möchte man einfach platzen, so wie es eingerichtet ist in der Welt", sagt Pinneberg einmal. Man möchte ihm gerne zustimmen.
Besetzung
Denn wie heute profitieren auch in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren vor allem die Reichen und Großunternehmer von der Wirtschaftskrise, während die verschärfte Situation am Arbeitsmarkt "Raubtiere hochzieht", wie Lämmchen kopfschüttelnd kommentiert. Pinneberg darauf resignierend: "Die meisten sind eh schon Nazis." Wie Patrick O. Beck diesen jungen ambitionierten Mann darstellt, der von den Umständen langsam in den Wahnsinn getrieben wird, ringt einem ebenso Mitleid wie Respekt ab. Und wie Hanna Binder die unermüdlich optimistische Emma spielt und immer wieder zu rechnen beginnt, wie sich das Leben doch ausgehen könnte, ist erbarmungslos herzerweichend und ganz große Klasse.
Sofa Surfers
Die beiden kämpfen um Arbeit und Lohn, um Wohnung und Essen, und sie verteidigen mühsam und verbissen - trotz stets unsicherer Arbeitslage - ihre private Liebe gegen den ökonomischen und gesellschaftlichen Druck. Eine äußerst zwielichtige Rolle spielt in der Geschichte Pinnebergs Mutter Mia (Susa Meyer), die es sich mit ihrem reichen Gespielen Holger Jachmann (Günter Franzmeier) gerichtet hat. Meyer und Franzmeier geben dem Stück ebenso ihre sanfte Prägung wie Annette Isabella Holzmann und Thomas Kamper, die beide in gleich fünf bzw. vier kleine Rollen gleichzeitig schlüpfen dürfen. Und Eindruck hinterlassen auch die Sofa Surfers, die das Bühnengeschehen live instrumentieren.
Schmiedleitner hat mit den Sofa Surfers schon für den "Lumpazivagabundus" im Theater in der Josefstadt gearbeitet und weiß ganz genau um die Qualitäten der Wiener Band. Zu den langen Schatten an den Wänden, die die vielen Arbeitslosen - "grau in der Kleidung, fahl in den Gesichtern" - erahnen lassen, gesellt sich eine musikalische Melancholie, die langsam in die Knochen fährt. Einzig das dialogische Stilmittel, das eigene Spiel in Richtung Publikum mitzusprechen ("Ja, sagt er und versucht zu lächeln."), ist gewöhnungsbedürftig und sorgt vor allem vor der Pause des Zweieinhalb-Stunden-Stücks für gefühlte Längen. Aber für diese Fälle hat Schmiedleitner die inhaltlichen Nadelstiche zielsicher platziert.
Nächste Termine
18., 20., 23., 24., 26. September, Infos unter www.volkstheater.at