Bernhard-Stück

"Vor dem Ruhestand" in der Josefstadt

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Ein Kammerspiel schwer neurotischer Menschen feierte Premiere in Wien.

Monster oder Mensch? Was ist von einem ehemaligen stellvertretenden Lagerkommandanten zu halten, der nach Jahren im Untergrund in der wiedererrichteten Demokratie eine steile Richterkarriere hingelegt hat und als Gerichtspräsident die heimliche Tradition pflegt, im trauten Familienkreis und in SS-Offiziersuniform den Geburtstag des Reichsführers-SS Heinrich Himmler zu feiern?

Vor dem Ruhestand im Theater in der Josefstadt

Der Schauspieler Michael Mendl hat sich bei seinem Theater-Comeback nach fast zwei Jahrzehnten Film- und Fernseharbeit für einen Mittelweg entschlossen: Er zeigt in Thomas Bernhards Theaterstück "Vor dem Ruhestand" den unverbesserlichen Nazi Rudolf Höller als alten Mann, dessen Monstrosität in seiner Banalität liegt - jene "Banalität des Bösen" also, die schon Hannah Arendt in Adolf Eichmann entdeckte.

Die Inszenierung von Elmar Goerden, die gestern, Donnerstag, im Theater in der Josefstadt Premiere feierte, setzt auf ein dumpfes, biederes, bürgerliches Ambiente, für das Ulf Stengl und Silvia Merlo einen muffigen Spießerhaushalt (samt hässlicher Tapete, schwerem Esstisch, Pianino und schwarzer Madonna) auf die Bühne gestellt haben. Ein Kammerspiel schwer neurotischer Menschen, die uns in Details alle sehr bekannt vorkommen. Von der schneidenden Schärfe der insistierenden Bernhard'schen Tiraden, deren Irrwitz die Sprecher demaskiert und in ihrer Erbärmlichkeit bloßstellt, ist wenig zu merken. Bis auf wenige Momente regiert jener Grundton, der in vielen Familien üblich ist, abgestuft in den Färbungen üblicher Rollenverteilung: Vater grantelt, Mutter vermittelt, Kind leidet. Der Unterschied in "Vor dem Ruhestand": Alle Protagonisten in diesem spannungsreichen Beziehungsdreieck sind Geschwister.

Michael Mendl gibt dem Rudolf Höller wenig Charisma. Im Amt wohl selbstherrlich und überheblich, ist zu Hause die Luft draußen. Dort ist er ein gebrochener und gebrechlicher Mann, der sich von der Schwester die Füße massieren lässt. Die Autorität, die er im geschwisterlichen Haushalt genießt und immer wieder aufs Neue betont, schöpft er aus der Vergangenheit. Deutlich wird das durch das ausgezeichnete Spiel von Nicole Heesters als Höllers Schwester Vera. Ein alt gewordenes deutsches Mädl, wohl ehemalige BdM-Führerin, die sich einst in ihren prächtigen Bruder und dessen noch prächtigere Uniform verliebt hat, und ihm nun in inzestuöser Liebe verbunden ist.

Sona MacDonald ist als Clara die Dritte im Bunde, aufgrund eines "Terrorangriffs" der Amerikaner in den letzten Kriegstagen an den Rollstuhl gefesselt, eine politisch Andersdenkende, die aufgrund ihrer persönlichen Abhängigkeit gezwungen wird, die perversen Familienrituale mitanzusehen. MacDonald zeigt verschiedenste Spielarten des passiven Widerstands und der Verzweiflung, Oberwasser kann sie nie bekommen.

Die Inszenierung bekommt ihre Lacher, die meist aus dem grotesken Stillstand der Zeit herrühren, der in diesem Haushalt gepflogen wird: Eingebunkert in die eigenen vier Wände, fühlen sich die Höllers in die 40er Jahre zurückversetzt, jene Zeit, daran wird kein Zweifel gelassen, die für Rudolf und Vera die schönste ihres Lebens war. Die Inszenierung hat aber auch ihre deutlichen Längen und Durchhänger, ist zu wenig auf Tempo gearbeitet und mit oft unmotiviert wirkenden Musikeinsätzen unterlegt. Nach zweidreiviertel Stunden (eine Pause) gab es kräftigen, anerkennenden Beifall.

Karten & Infos
www.josefstadt.org

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