Ballett-Kritik

Zum Schmachten und Sterben schön: "Kameliendame" in der Staatsoper

Teilen

John Neumeiers Klassiker hat im Wiener Staatsballett eine mehr als würdige Partnerin gefunden 

Rasende Standing Ovations hat es in der Wiener Staatsoper bei der Ballett-Premiere am Sonntagabend für Ketevan Papava und Timoor Afshar als formschönes Liebespaar in "Die Kameliendame" gegeben. Beim Auftritt von Star-Choreograf John Neumeier brach das Haus am Ring dann in Jubel aus. Nur einige ausgewählte Compagnien können seine hochemotionale "Kameliendame" zu ihrem Repertoire zählen. Nun gehört auch das Wiener Staatsballett dazu. Schön so!

Was für ein wunderbares Hin und Her bietet sich einem hier zwischen zwei abwechselnd weichen und harten Körpern auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Die Frau schwebt über dem Kopf ihres Geliebten, der nicht selten unter ihrem Rock aus Rüschen verschwindet. Er wirft sich ihr zu Füßen. Dann ist sie diejenige auf dem Boden. Hinter den Tänzern schimmert ein riesiger Gobelintüll von Jürgen Rose (ein Meister des deutschen Designs) in Grün, Blau und Violett, bemalt mit Wäldern. Das lyrische Largo aus Frédéric Chopins h-Moll Klaviersonate ist die große Pulsader dieser Geschichte. Wir hören es immer und immer wieder, mal fragmentarisch, mal in ganzer Länge.

"Die Kameliendame" braucht Tänzer und Tänzerinnen, die in Momenten der Stille ebenso viel zum Ausdruck bringen können wie im anspruchsvollen Pas de deux. Es erfordert eine erfahrene Tänzerin und einen jungenhaften Tänzer und bekommt sie in Ketevan Papava und Timoor Afshar. Die Primaballerina wird oft hoch in die Luft gehoben und drückt gleichzeitig ihre vielen Zustände aus. Wenn sie hustet, dann wölbt sich der Oberkörper der Tänzerin. Wenn sie glücklich ist, dann fliegt sie auf den Schultern ihres Geliebten.

Zum Schmachten und Sterben schön:
© APA/WIENER STAATSBALLETT/ASHLEY TAYLOR
× Zum Schmachten und Sterben schön:

Es mag melodramatisch wirken, wie der Liebestolle sich im blauen Pas de deux über die Bühne zu den Füßen seiner Angebeteten wirft, aber er ist ein Tänzer voller ausdrucksstarker Blicke und großartiger Körpersprache. Sein wütendes Solo, nachdem sie ihn verlässt (um seine Ehre zu wahren), ist berauschend und zutiefst berührend. Aber zuerst besiegelt der leidenschaftliche, weiße Pas de deux im 2. Akt ihre Liebe. Und der technisch raffinierte, schwarze Pas de deux läutet im 3. Akt ihr tragisches Ende ein.

Zum Schmachten und Sterben schön:
© APA/WIENER STAATSBALLETT/ASHLEY TAYLOR
× Zum Schmachten und Sterben schön:

John Neumeiers dreistündige "Kameliendame", die der Amerikaner ursprünglich im Jahr 1978 für das Stuttgarter Ballett inszenierte, ist hiermit endlich auch in Wien angekommen. Es ist das, was den meisten Menschen in den Sinn kommt, wenn sie an Ballett denken: Bezaubernde Damen in schillernden Biedermeier-Seidenkostümen (auch von Jürgen Rose), die über die Bühne schweben. Grazile Hebefiguren. Prinzen in Fracks, die sich vor die Ballerinen schmeißen. Aber dieses Ballett ist auch ein erotischer Miederreißer, also darf auch sinnlich simulierter Geschlechtsverkehr nicht fehlen.

Zum Schmachten und Sterben schön:
© APA/WIENER STAATSBALLETT/ASHLEY TAYLOR
× Zum Schmachten und Sterben schön:

Der 85-jährige Star-Choreograf, der nach über 50 Jahren im kommenden Sommer seine Direktion am Hamburg Ballett beendet, kann eine Geschichte allein mit wortlosen Körpern erzählen. Die französische Tragödie der todkranken Pariser Kurtisane Marguerite und ihrer verbotenen Liebe zum jungen Verehrer Armand - nach dem 1848er Roman von Alexandre Dumas dem Jüngeren - wird bei ihm zu einer Collage aus Chopin-Stücken für Soloklavier oder Klavier (Michał Białk und Igor Zapravdin) und Orchester (unter der musikalischen Leitung von Markus Lehtinen). Erzählt wird es in Rückblenden, nachdem Marguerite gestorben ist und ihre Besitztümer auf einer Auktion im Jahr 1847 verkauft werden.

Neumeier unterstreicht das traurige Schicksal seines Paares, indem er auch eine andere zum Scheitern verurteilte Liaison widerspiegelt: die zwischen Manon Lescaut und dem Chevalier Des Grieux, hier nicht weniger formvollendet getanzt von Hyo-Jung Kang und Marcos Menha. Das gesamte Staatsballett schwebte souverän über die Bühne. Die Virtuosen Géraud Wielick und Masayu Kimoto erwiesen sich als ergreifende Clowns und Verehrer von Marguerite. Wenn sie in der Schlussszene allein stirbt, während die letzten, melancholischen Töne aus dem Orchestergraben verklingen, ist das leise verheerend. 

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.
OE24 Logo
Es gibt neue Nachrichten