Zwei WhatsApp-Gruppen waren prozessgegenständlich. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Ein islamischer Religionslehrer und vier seiner früheren Schülerinnen und Schüler sind am Dienstag am Wiener Landesgericht vom Vorwurf der nationalsozialistischen Wiederbetätigung freigesprochen worden. Nach mehrheitlicher Ansicht der Geschworenen war ihnen nicht nachweisbar, den Nationalsozialismus verherrlicht und damit gegen das Verbotsgesetz verstoßen zu haben. Die Freisprüche sind vorerst nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft hat eine Rechtsmittelmöglichkeit.
In der Verhandlung war es um zwei WhatsApp-Gruppen gegangen, die während des coronabedingten Lockdowns eingerichtet worden waren und die dazu dienen hätten sollen, dass der Religionslehrer im Rahmen des Home Schooling seine Lehrinhalte verbreitete. Allerdings tauchten zwischen April und November 2020 auf den sechs bzw. 14 Mitglieder umfassenden Gruppen Beiträge mit antisemitischen und nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den Nationalsozialismus verherrlichenden Inhalten auf. Konterfeis von Adolf Hitler wurden geteilt und mit Bemerkungen wie "Verführerisch" oder "Kuck Kuck" versehen. Dem Lehrer wurde angelastet, diese Beiträge nicht gelöscht, sondern in den Chats belassen zu haben, wodurch er sich nach dem Verbotsgesetz mitschuldig gemacht habe.
Der 58-Jährige wies das entschieden zurück und beteuerte seine Schuldlosigkeit. Er sei auch gar nicht der Betreiber der zwei WhatsApp-Gruppen gewesen. "Warum scheinen Sie dann als Eigentümer auf?", wollte der vorsitzende Richter Daniel Rechenmacher wissen. "Weil der Staatsanwalt das wollte", erwiderte der Mann süffisant. Er sei fast 60 Jahre alt, mit den Messenger-Diensten nicht sattelfest, aber man habe damals darauf bestanden, dass der Unterricht online stattfand und dafür WhatsApp installiert wurden. Er habe sich die Chat-Gruppen daher einrichten lassen: "Aber ich habe gesagt, man darf dort nichts posten außerhalb der Religion."
"Nicht am Handy gewesen"
Manche seiner Schülerinnen und Schüler hätten diese Regeln gebrochen. Das habe er aber "nicht wahrgenommen", behauptete der Pädagoge. Ein bedenklicher Beitrag sei etwa um 23.32 Uhr online gegangen. Da sei er "nicht am Handy gewesen". Ein anderes Mal tauchte ein Hitler-Bild gegen 20.30 Uhr auf. Da sei er gerade in einer Lehrerkonferenz gewesen. Auf die Frage, warum er als Administrator die Beiträge nach Inbetriebnahme seines Handys denn nicht gelöscht hätte, behauptete der Islamlehrer, der derzeit von Dienst freigestellt ist: "Wenn ich das Handy öffne, schaue ich da nicht nach, was war."
"Hätte ich das wahrgenommen, hätte ich sofort pädagogisch gehandelt und Maßnahmen durchgeführt. Ich hätte sofort die Schule benachrichtigt", beteuerte der Religionslehrer. Er habe weder mit Hitler noch dem Nationalsozialismus etwas zu tun und sei auch kein Antisemit, versicherte der 58-Jährige. Hitler bezeichnete er in seiner Beschuldigteneinvernahme als "Verbrecher". Der interreligiöse Dialog und "das Zusammenleben" sei ihm stets "sehr wichtig" gewesen: "Ich bin da offiziell beauftragt vom Bundesministerium." In seinem Unterricht erörtere er Politik und "etwas, was problematisch ist" bewusst nicht.
Hitzig wurde es, als der Staatsanwalt Unterlagen vorlegte, aus denen hervorgehen soll, dass der Religionslehrer auf seinem Handy eine Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" abgespeichert hatte und Mitglied der Muslimbruderschaft sein soll. Als der Ankläger dezidiert fragte, ob er denn Mitglied sei, verweigerte der 58-Jährige die Antwort. Sein Verteidiger Andreas Schweitzer reagierte empört auf das Vorgehen des Staatsanwalts. Die Muslimbruderschaft habe nichts mit dem gegenständlichen Verbotsgesetz-Verfahren zu tun.
Vier Schüler ebenfalls freigesprochen
Auch die mitangeklagten Ex-Schülerinnen und Schüler - drei junge Männer und eine Frau - hatten sich "nicht schuldig" bekannt. Sie behaupteten, sie hätten die Hitler-Bilder ironisch in den Chat gestellt, um sich über Hitler lustig zu machen, bzw. "eine Blödheit, eine Dummheit" begangen, wie einer von ihnen darlegte. Außerdem habe er nicht geahnt, dass das Verschicken eines Bildes, das Hitler mit ausgestrecktem rechtem Arm zeige, strafrechtlich bedenklich sei. Er habe nicht gewusst, was das bedeute, stellte der 22-Jährige fest.
Diese Verantwortung brachte den beisitzenden Richter Christoph Bauer auf die Palme: "Sie sind in Österreich geboren. Haben die HAK-Matura. Da wollen'S mir erzählen, dass Sie nicht wissen, was der Hitler-Gruß ist?" "Mit Geschichte hab' ich mich nicht auseinander gesetzt. Das ist nicht mein Interesse", insistierte der beruflich im Buchhaltungs- und Steuerwesen tätige 22-Jährige.