Interview, 5. Teil

Natascha über den Tag der Entführung

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Natascha erzählt, wie sie nach einem Streit mit ihrer Mutter die Wohnung verließ. Und auf dem Weg zur Schule die Straßenseite wechseln wollte, als sie Wolfgang Priklopil sah, es aber doch nicht tat.

Frage: Frau Kampusch, wollen sie uns erzählen, was an diesem Morgen, dem 2. März 1998, passiert ist?

Natascha: Ja. Möchte ich. Also ich bin in der Früh aufgestanden. Hab natürlich noch nicht geahnt, was passiert. Ich war sehr traurig. Es gab am Abend eine Auseinandersetzung mit meiner Mutter. Weil mein Vater mich zu spät nach Hause brachte. Und das schon öfters vorkam, dass ...

Frage: Ja.
Natascha: Meine Mutter war vordringlich auf meinen Vater böse. Aber irgendwie auch auf mich. Und ich hab, ich war sehr traurig darüber, weil es war nicht der erste diesbezügliche Streit. Und so. Übrigens: das, was mit dieser Auseinandersetzung da geschildert wurde in den Medien, dass meine Mutter mir eine Watschen gegeben haben soll, das stimmt nicht. Oder jedenfalls nicht in der DER Form, wie das in den Medien geschildert wurde. Ich war einfach nur so geknickt. Bevor ich aus der Wohnungstür gegangen bin, habe ich mir noch gedacht ... meine Mutter hat nämlich diesen Merksatz, dass sie meinte, ... ah ... Man soll nie böse auseinander gehen. Man soll sich immer vertragen. Denn es könnte ja ihr oder mir etwas passieren. Und wir sehen uns nie wieder. Was ja fast passiert wäre. Und ja, ich dachte mir an der Tür noch: Mir ist eh bis jetzt nichts passiert. Also vertrag ich mich zum Trotz jetzt extra nicht mit meiner Mutter. Und also ich ... ich bin dann den Schulweg gegangen bis zu dieser ... Wie heißt die Gasse? Mollardgasse?

Dr. Friedrich: Melangasse.

Natascha: Melangasse. Genau. Melangasse. Also bis zur Melangasse. Und ... aus ... einigen Metern Entfernung habe ich ihn schon bei seinem Auto stehen gesehen. Ich dachte mir noch, ich wechsle die Straßenseite. Ich weiß auch nicht. Aus irgendeinem Bauchgefühl heraus vermutete ich, ... ich weiß nicht. Es war mir einfach unangenehm. Was man über diese „Kinderverzahrer“ gehört hat in der Schule. Ich weiß auch nicht warum. Und dann hab ich aber dieses Bauchgefühl meiner emotionalen aufgeladenen Stimmung zugeschrieben. Und bin einfach ... Ich dachte: Der wird dich schon nicht beißen. Und bin einfach weitergegangen. Und...er packte mich. Ich versuchte zu schreien. Aber es ist nicht ... es kam kein Laut raus. Ja

Frage: Wie war?Hat er da auch etwas zu Ihnen gesagt? Hat er da schon mit Ihnen gesprochen?
Natascha: Also bei dem Reinzerren und ... Also bevor er, also während des Startens hat er schon gesagt, dass es ... dass mir nichts passiert oder so, wenn ich das mache, was er sagt. Und dass ich ruhig sein soll. Und mich nicht rühren soll. Und dann, später, also ein paar Minuten später hat er dann gesagt, dass es angeblich eine Entführung ist. Und wenn meine Eltern was zahlen, dann könnte ich noch am selben Tag oder am nächsten Tag wieder zu Hause sein.

Frage: Haben Sie den Weg dann real mitbekommen? Ich meine, da müssen sie ja unglaubliche Ängste ausgestanden haben.
Natascha: Ich hatte vom ersten Moment an eigentlich überhaupt ... außer den schlimmsten Befürchtungen, was er mit mir anstellen könne, keinerlei Angst. Im Gegenteil. Ich dachte mir: Der bringt dich sowieso um. Also kannst du deine letzten paar Stunden, Minuten oder was immer noch gezielt nützen, um wenigstens zu versuchen, irgendetwas daraus zu machen. Zu fliehen oder auf ihn einzureden oder so irgendwie.

Frage: Haben Sie auf ihn eingeredet?
Natascha: Na ja. Ich hab ihm gesagt, dass das nichts wird und dass Unrecht Gut nie gedeihen wird. Und dass die Polizei ihn schon schnappen wird und so.

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