Ex-Judoka kann und will laut Gerichtsdokumenten Ukraine einstweilen nicht verlassen.
Auch ein Jahr nach seiner Festnahme in Kiew und der folgenden Ablehnung eines österreichischen Auslieferungsbegehrens bleibt unklar, wann Ex-Judoka Peter Seisenbacher im Zusammenhang mit Sexualdelikten gegen Minderjährige in Wien vor Gericht gestellt werden könnte. Zwei in Kiew laufende Verfahren legen nahe, dass Seisenbacher alle Möglichkeiten ausschöpfen möchte, um in der Ukraine zu bleiben.
Mehr als sieben Monate, nachdem er sich einem Prozess am Landesgericht Wien durch Flucht entzogen hatte, war Peter Seisenbacher am 1. August 2017 auf Grundlage eines internationalen Haftbefehls von ukrainischen Polizisten in Kiew festgenommen worden. Aus der von der österreichischen Justiz erhofften baldigen Auslieferung des Judo-Doppelolympiasiegers wurde jedoch nichts: Nachdem die Behörden in Kiew zur Überzeugung gelangt waren, dass der Seisenbacher in Österreich vorgeworfene schwere sexuelle Missbrauch von Unmündigen unter Ausnutzung eines Autoritätsverhältnisses zwischen 1997 und 2004 nach ukrainischem Recht verjährt war, entließen sie ihn aus der Haft und lehnten das österreichische Auslieferungsbegehren formal ab.
Ausreise Seisenbachers praktisch unmöglich
Als offensichtlich freundliche Geste ermöglichte das ukrainische Justizministerium gleichzeitig jedoch Vertretern der österreichischen Botschaft in Kiew, zwei Pässe des Ex-Sportlers für ungültig zu erklären. Ohne Hilfe österreichischer Behörden, die neue Reisedokumente ausstellen müssten, ist eine Ausreise Seisenbachers aus der Ukraine somit praktisch unmöglich. Ergänzend beschied die ukrainische Migrationsbehörde am 6. Oktober 2017, dass der Österreicher aufgrund von Verstößen gegen das Fremdenrecht bis zum 12. Oktober 2017 das Land verlassen müsse.
Seisenbacher, für den die Unschuldsvermutung gilt, möchte offenbar in der Ukraine bleiben: Laut dem ukrainischen Gerichtsregister laufen derzeit zwei Verfahren, die eine denkbare Abschiebung oder Ausreise nach Österreich verhindern sollen. Bereits im Herbst 2017 hatte Seisenbachers ukrainischer Anwalt Serhij Koschelnyk Rechtsmittel gegen die Ausreiseverpflichtung vom 6. Oktober eingelegt. Teils bemühte Koschelnyk dabei falsche Gerichte und machte formale Fehler, die eine Behandlung verzögerten. Nachdem es monatelang keine Bewegung in dieser Causa gegeben hatte, beschäftigte sich das erstinstanzliche Gericht des Kiewer Petschersk-Bezirk jedoch am 17. Juli mit Ausreiseverpflichtung. Bekannt ist bisher nur, dass Vertreter der Migrationsbehörde im April die Durchführung einer diesbezüglichen Gerichtsverhandlung beantragt hatten. Eine etwaige Entscheidung wurde vorläufig nicht veröffentlicht.
Antrag auf politisches Asyl abgelehnt
Im Februar hat der Anwalt auch gegen eine mit 18. Jänner 2018 datierte Anordnung der ukrainische Migrationsbehörde Rechtsmittel eingelegt. Die Indizien sprechen dafür, dass die Migrationsbehörde im Jänner einen Antrag des Österreichers auf politisches Asyl abgelehnt hat. "Anordnungen" sind laut Paragraf 8 des ukrainischen Asylrechts jene rechtliche Form, mit der ein Asylstatus gewährt oder abgelehnt wird. Nach einigen vorbereitenden Verhandlungen wird sich das erstinstanzliche Kiewer Verwaltungsgericht erneut am 11. September mit diesem Rechtsmittel beschäftigen.
Sollte der Ex-Judoka alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und auch weitere gerichtliche Instanzen bemühen, würde es selbst bei einem Negativszenario für Seisenbacher bis einer rechtskräftigen Asylablehnung sowie einer rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung noch einige Zeit dauern. An chronisch überlasteten Gerichten in der Ukraine werden derartige Fälle nicht prioritär behandelt. Anwalt Koschelnyk wollte sich zu den Perspektiven für seinen österreichischen Mandanten nicht äußern: "Einstweilen gibt es dazu kein Kommentar", erklärte er gegenüber der APA.
Auch "Plan B" gescheitert
Gescheitert ist bisher auch ein "Plan B", mit dem Österreichs Justiz gehofft hatte, Seisenbachers trotz ukrainischer Verjährung der inkriminierten Delikte relativ bald habhaft zu werden. Christian Pilnacek, Strafrechts-Sektionschef im Justizministerium, hatte vergangenen September erklärt, dass die Ukraine knapp vor der Ratifizierung des Vierten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen stünde, bei dem die innerstaatliche Verjährung keine Rolle mehr spielte, wenn ein ausländischer Staat auf Basis eines Europäischen bzw. Internationalen Haftbefehls um Auslieferung eines seiner Bürger ersuchte.
Obwohl das betreffende Protokoll bereits im Juli 2017 vom Parlament in Kiew beschlossen wurde, kann es jedoch erst nach einer Novelle zur ukrainischen Strafprozessordnung in Kraft treten. Doch dazu ist es noch nicht gekommen: Nach einem Beschluss in erster Lesung vor mehr als einem Jahr konnten sich die Parlamentarier jedoch nicht aufraffen, dieses von Präsident Petro Poroschenko initiierte Gesetz auch in finaler Lesung zu beschließen. Zuletzt war im März eine Behandlung der Strafprozessordnungsnovelle bis auf weiteres verschoben worden.