Dem 17-Jährigen konnte vorerst kein direkter Tatbestand zum Anschlag nachgewiesen werden. Vor Gericht hüllte er sich in Schweigen.
Ein mittlerweile 17-jähriger Bekannter des Attentäters von Wien, der am 2. November 2020 in der Innenstadt vier Menschen erschossen und 23 weitere zum Teil schwer verletzt hat, ist am Mittwoch am Landesgericht als Mitglied einer terroristischen Vereinigung und einer kriminellen Organisation verurteilt worden. Bei einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren verhängte ein Schöffensenat zwölf Monate Haft, davon zwei Monate unbedingt.
Unbescholten und geständig
Den Rest bekam der bisher unbescholtene und umfassend geständige Bursch unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen. Außerdem wurde Bewährungshilfe angeordnet. Per Weisung wurde der 17-Jährige verpflichtet, sein Deradikalisierungsprogramm bei der NGO Derad fortzusetzen sowie die weiteren Termine bei einer Beratungsstelle für Extremismus einzuhalten. Er war mit allem einverstanden. Nach Rücksprache mit seinem Verteidiger Philipp Wolm nahm er das Urteil an. Die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig.
Wolm hatte den damals 16-Jährigen Mitte Mai 2021 aus der U-Haft geboxt. Dieser war wenige Stunden nach dem Terror-Anschlag - wie zahlreiche weitere Personen aus dem Umfeld des Attentäters - festgenommen worden. Man hielt eine Beitragstäterschaft für möglich, gegen mehrere Bekannte des von der Polizei erschossenen Attentäters stand bzw. steht der Verdacht im Raum, sie könnten diesen im Vorfeld des Anschlags unterstützt haben.
Kontakt mit Attentäter über Social Media
Im Fall des 17-Jährigen war das - zumindest bisher - nicht nachweisbar. In der Anklage fand sich kein Hinweis auf einen unmittelbaren oder indirekten Tatbeitrag. Die Staatsanwältin verwies allerdings darauf, dass der Bursch Mitte Juli 2020 an einem Dschihadisten-Treffen in Wien teilgenommen hatte, zu dem mehrere Radikal-Islamisten aus dem benachbarten Ausland angereist waren. Auch der spätere Attentäter war an diesem mehrtägigen, mutmaßlich konspirativen Treffen beteiligt. Bis zum Oktober stand der Attentäter über Instagram und Telegram in Kontakt mit dem 17-Jährigen. Sie besuchten auch dieselbe Moschee im achten Wiener Gemeindebezirk.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Bursch längst der radikal-islamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) angeschlossen. Bis zu seiner Festnahme stand er in Verbindung mit Gleichgesinnten in anderen Ländern und teilte mit diesen IS-Propaganda in Form von Videos, Bildmaterial und Nasheeds (religiöse Kampfgesänge, Anm.), was er nun vor Gericht auch zugab. Ausschlaggebend dafür sei sein älterer Bruder gewesen, gegen den bereits seit 2019 wegen terroristischer Vereinigung ermittelt werde, berichtete der Verteidiger. Dieser sei eine enge Bezugsperson gewesen und habe dem Jüngeren als Vorbild gedient. Wolm bekräftigte, dass es in dem Verfahren nicht um den Terroranschlag gehe: "Wir sind nicht wegen dem Anschlag hier. Ob man mit dem Anschlag etwas zu tun hat oder als 16-Jähriger Videos verschickt, macht einen Unterschied."
Angeklagter verweigerter Aussage
Der Angeklagte selbst machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Nachdem er sich schuldig bekannt hatte, hüllte er sich in Schweigen und beantwortete keine Fragen. Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) hatte im vergangenen Frühjahr seiner Haftbeschwerde Folge gegeben, so dass der damals 16-jährige Schüler nach mehr als fünfmonatiger U-Haft wieder auf freien Fuß kam. Alle Stellen, die seither mit ihm befasst waren - Derad, der Verein Neustart und eine Beratungsstelle für Extremismus - waren jetzt in der Verhandlung voll des Lobes für den Jugendlichen.
Er habe alle Termine eingehalten, eine Lehrstelle als IT-Techniker gefunden und sich dabei gegen zahlreiche Konkurrenten durchgesetzt. Die Betreuung verlaufe "bilderbuchmäßig", sagte der Bewährungshelfer. Der Prozess der Deradikalisierung verlaufe vielversprechend, hieß es seitens Derad. Dessen Vertreter bescheinigte dem Angeklagten eine "äußerst positive Entwicklung".
Handy kurz nach Attentat versteckt
Fest steht, dass der Bursch am 2. November 2020 um 20.51 Uhr - nicht einmal eine Stunde, nachdem der Attentäter von der Polizei getötet worden war - sein Handy auf die Werkeinstellungen zurücksetzte und im Keller seines Wohnhauses versteckte. Als es bei einer Hausdurchsuchung dort sichergestellt wurde, weigerte er sich beharrlich, den Zugangscode bekannt zu geben, so dass es nicht entsperrt werden konnte. Laut Staatsanwältin konnten die Daten nicht wiederhergestellt werden. Das Beweismaterial, auf dem ihre Anklage fußte, fand sich auf anderen Datenträgern.
Es gibt auch Hinweise, dass sich der Bursch noch am Tag des Anschlags über einen Messenger-Dienst mit dem Attentäter unterhalten haben dürfte. Zu sämtlichen Verdachtsmomenten hat sich der Jugendliche nie geäußert, obwohl er in den Wochen und Monaten nach dem Attentat oft mehrmals wöchentlich von Ermittlern und Verfassungsschützern aufgesucht und zu einer Beschuldigteneinvernahme vorgeführt wurde.
Bereits zweiter Ex-IS-Mann diese Woche verurteilt
Es war dies nicht die einzige Verhandlung gegen einen - inzwischen offenbar geläuterten - IS-Terroristen, die in dieser Woche am Wiener Landesgericht für Strafsachen über die Bühne ging. Am Montag hatte ein 25-Jähriger für den Versuch, Mitglieder für den IS anzuwerben und Spenden für IS-Kämpfer und deren Angehörige zu sammeln, 21 Monate teilbedingte Haft ausgefasst. Er war im vergangenen September nach Länder übergreifenden Ermittlungen der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und des Wiener LVT festgenommen worden.
"Das entschlossene Vorgehen gegen jede Form von Extremismus gehört aktuell zu den größten sicherheitspolitischen Herausforderungen", betonte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Mittwoch in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Die DSN führe in dieser Hinsicht "in enger Abstimmung mit den Landesämtern die notwendigen Strukturermittlungen effizient und akribisch".