Rammerstorfer lobt Verfassungsschützer, kritisiert aber ''politische Vermarktung'' der Causa - Behörden sollen Vertrauensverhältnis zu Community aufbauen.
Wien (APA) - Die österreichischen Sicherheitsbehörden ermitteln nach Einschätzung des Extremismusexperten Thomas Rammerstorfer "gegen mehrere Dutzend" Personen wegen Spionage für die Türkei. Rammerstorfer lobte am Mittwoch im APA-Interview die Arbeit der Verfassungsschützer, übte aber zugleich Kritik an der "politischen Vermarktung" der Causa vor der Wien-Wahl, was er "sehr zweifelhaft" finde.
"Wir haben in Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich ganz genau die gleichen Problemstellungen wie in Wien", kritisierte der oberösterreichische Publizist und Grün-Politiker "Versuche, diese ganze Thematik nach Wien zu delegieren". Tatsächlich hätten sich bei diesem Thema weder die SPÖ noch die ÖVP oder FPÖ, aber "auch nicht die Grünen, meine Partei" mit Ruhm bekleckert. "Alle sollten sich an der Nase nehmen", sagte Rammerstorfer.
Der Welser Lokalpolitiker bestätigte, dass es auch in Oberösterreich "konkrete Verdachtsfälle" wegen Spionagetätigkeit gebe. Zu Mutmaßungen, wonach auch die von den Behörden enttarnte Spionin aus Oberösterreich stamme, wollte sich Rammerstorfer nicht äußern. "Ich weiß, dass in Oberösterreich ermittelt wird", sagte er lediglich. Er nehme aber an, dass es auch in anderen Bundesländern Ermittlungen geben werde.
Die türkische Spionagetätigkeit in der Community in Österreich sei "seit vielen Jahren ein offenes Geheimnis", sagte Rammerstofer, der unter anderem intensiv über die rechtsextremistischen Grauen Wölfe geforscht hat. "Was ein bisschen neu ist, ist die Methode, dass man gezielt Leute anwerben wollte, die inhaftiert waren."
Rammerstorfer wies darauf hin, dass Grenzen zwischen Spionen und Informanten verschwimmen. So gebe es Leute, die für die AKP und die Grauen Wölfe lobbyieren und in Kontakt mit Diplomaten seien. Dann gebe es aber auch "Aktivbürger", die etwa per App regierungskritische Postings in sozialen Medien melden würden.
Die in Österreich gesammelten Informationen würden dann auch zu Festnahmen in der Türkei führen. "Von den Menschen, die in den letzten drei, vier Jahren inhaftiert wurden, sind viele, denen bei den Verhören gesagt wurde: 'Wir haben Informationen aus Wels, Linz und so weiter'", berichtete Rammerstorfer.
Viele oppositionelle Türken würden daher "nur noch in Notfällen in die Türkei fahren", sagte der Extremismusforscher. Diese "Angst" sei auch ein Grund, warum das Regierungslager bei Wahlen unter den Auslandstürken in Österreich so viele Stimmen bekomme. Die Wahllokale befänden sich nämlich in den türkischen Konsulaten, und diese seien "Feindesgebiet" für regimekritische Türken.
Lobend äußerte sich Rammerstorfer über die Arbeit der Polizeibehörden. Der Verfassungsschutz habe in den vergangenen Jahren "viel dazugelernt" und arbeite "professionell", "behutsam" und "deeskalierend".
Luft nach oben sieht der Experte aber noch, was den Umgang mit Österreichern betrifft, die in die Fänge der türkischen Justiz geraten sind. Konkret verwies er etwa auf die konsularische Betreuung, aber auch die "automatischen Anzeigen" in Österreich nach türkischen Terrorverfahren wie etwa im Fall des Steirers Max Zirngast. "Das ist nicht etwas, was das Vertrauen in die Behörden stärkt", sagte Rammerstorfer unter Verweis darauf, dass viele Türken und Türkischstämmige auch die hiesigen Behörden "nur als Verfolgungsbehörden sehen".
Dabei sollten die Behörden auch "präventiv versuchen, ein Vertrauensverhältnis mit den demokratischen Menschen in der Türkei herzustellen", meinte er mit Blick auf die Information, wonach die mutmaßliche Spionin in türkischer Haft einen Deal mit den Behörden eingegangen sei.
Nehammer zu Türkei-Kritik: "Völlig falsche Interpretation"
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Verärgert reagiert das von Karl Nehammer (ÖVP) geführte Innenministerium auf Kritik des türkischen Außenministeriums in Bezug auf den vermeintlichen Spionagefall in Österreich. Es sieht eine "völlig falsche Interpretation der Umstände".
Die Regierung schütze und gewährleiste die Ausübung der Grund-und Freiheitsrechte aller Menschen, die in Österreich lebten - ohne Unterscheidung ihrer Herkunft oder Religion. Wer sich mit unseren demokratischen Grundwerten identifiziere, sei Teil der Gesellschaft und genieße den Schutz der österreichischen Behörden.
Der türkische Außenamtssprecher Hami Aksoy hatte zuvor in der Causa um den vermeintlichen Spionagefall von "unbegründeten Behauptungen" gesprochen und gemeint, Wien sei nicht in der Lage, "der populistischen Rhetorik und seiner Anti-Türkei-Besessenheit zu entkommen".
Nehammer hatte am Dienstag bekannt gegeben, dass eine Person gestanden hat, im Sinne des türkischen Geheimdienstes in Österreich gespitzelt zu haben. Eine Anklage steht bevor. Zudem wurde am Dienstag ein Spitzenvertreter der türkischen Botschaft ins Außenministerium gebeten, wo ihm die Besorgnis und der Unmut Österreichs bezüglich der türkischen Geheimdienstaktivitäten im Land übermittelt wurde.
Video zum Thema:
Erdogan-Spionin in Wien ausgeforscht