Nach Kritik

Wiener Polizei: Darum wurde Hass-Demo erst so spät aufgelöst

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Die Leiterin der Einsatzabteilung (EA) der Landespolizeidirektion (LPD) Wien, Xenia Zauner, hat die zurückhaltende Taktik der Exekutive bei der verbotenen Pro-Palästina-Demo am Stephansplatz vor genau zwei Wochen verteidigt.  

Zwar sei die faktische Auflösung verspätet erfolgt, "es geht aber nicht immer alles gleich sofort", sagte Zauner im APA-Gespräch. Das zaghafte Einschreiten bei der Demo hatte zuletzt für Kritik gesorgt. "Die Polizei wird es aber nie allen recht machen."

Zauner räumte ein, dass die Auflösung mit "zeitlicher Verzögerung" stattgefunden habe. Jedoch hielt sie fest, dass sich ein Untersagungsbescheid stets gegen den Anmelder einer Demonstration richte. "Das heißt im Umkehrschluss aber, dass sich dort immer noch Menschen spontan versammeln können oder nicht wissen, dass die Versammlung untersagt wurde, was natürlich kommuniziert werden muss." Dann müsse eine erneute Beurteilung stattfinden: "Ist das die untersagte oder ist das eine neu formierte, spontane Versammlung?" Die tatsächliche Umsetzung einer Auflösung hänge stets von den Gegebenheiten und der tatsächlichen Versammlung ab.

Pro-Hamas-Demo
© Viyana Manset Haber
× Pro-Hamas-Demo

Eine rasche faktische Auflösung hätte darüber hinaus eine Zerstreuung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bedeutet. "Dann hätten die Protestierenden sich beispielsweise am Hohen Markt treffen und in einer neuen Gruppe versammeln und einen spontanen Marsch durchführen können", sagte Zauner. "In dem Fall sind sie stationär gehalten worden. Nach Verfügbarkeit von ausreichend Kräften wurde die Auflösung durchgesetzt und es wurden 307 Identitätsfeststellungen gemacht." Ihr sei sehr wohl klar, dass mancherorts der Wunsch nach einer sofortigen Räumung bestanden habe. "Es geht aber nicht immer alles gleich und man muss sich schon überlegen: Wie geht es weiter, was kann ich leisten und was ist jetzt vernünftig?", führte sie aus. Es seien zudem 292 Personen nach dem Versammlungsgesetz, elf wegen weiterer verwaltungsrechtlicher Delikte und eine Person nach dem Strafgesetzbuch angezeigt worden. Zu Festnahmen im Zuge des Demo-Einsatzes kam es am 11. Oktober jedoch nicht.

In einer eilig einberufenen Pressekonferenz wenige Stunden vor Beginn der "Mahnwache in Solidarität mit Palästina" hatte Polizeipräsident Gerhard Pürstl die durch "BDS Austria" angemeldete Versammlung aufgrund nachrichtendienstlicher Erkenntnisse über Gewaltaufrufe in Richtung Israel untersagt. Man werde "alles tun", um die Demo zu verhindern, hatte Pürstl dort noch bekräftigt.

Hitzige Szenen

Am Abend konnten sich dennoch mehrere Hundert Pro-Palästina-Unterstützer in der Innenstadt versammeln. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot im Einsatz stand, kesselte die Protestierenden ein und sprach mehrere Aufforderungen aus, die Versammlung zu verlassen. Die Demonstrantinnen und Demonstranten widersetzten sich dieser jedoch mehrmals. Es kam zu hitzigen Szenen. Die Polizei rückte dennoch nicht von ihrer Taktik ab und wartete, bis allmählich der Abstrom gegen 22.00 Uhr begann. Erst in den späten Abendstunden löste sich die Versammlung zur Gänze auf.

Fast zeitgleich mit der Pro-Palästina-Demo hatte am nur mehrere Hundert Meter entfernten Ballhausplatz ein von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) organisiertes Gedenken für die Opfer der Angriffe unter stark verschärften Sicherheitsvorkehrungen stattgefunden. Auf die Frage, ob durch die erhöhten Schutzvorkehrungen für die IKG-Veranstaltung zu viele Kräfte am Ballhausplatz gebunden gewesen seien, antwortete Zauner: "Das hängt indirekt ein bisschen zusammen." Es habe sich dabei um eine "sehr spezielle Konstellation" gehandelt.

Die Planung des Einsatzes habe sich nicht von anderen unterschieden. Grundsätzlich stellten sich vor jeder Demonstration dieselben Fragen. "Wo ist überhaupt die Lage? Wer ist das überhaupt? Was möchten die? Wie hoch ist das Mobilisierungspotenzial? Könnte die Versammlung gestört werden?", erklärte Zauner.

Im Zuge der Diskussion um den Polizei-Einsatz zur Pro-Palästina-Demo wurde auch die Frage nach der Verhängung eines Platzverbotes rund um den Stephansplatz laut. "Die Versammlungsbehörde habe sich jedoch am 11.10.2023 entschieden, die Versammlung am Stephansplatz nach den einschlägig relevanten versammlungsrechtlichen Bestimmungen zu untersagen", betonte die LPD-Pressestelle in diesem Zusammenhang. "Ein Platzverbot wiederum ist eine sicherheitspolizeiliche Maßnahme und keine versammlungsrechtliche", wurde mitgeteilt.

Die Einsatzabteilung der Wiener Polizei ist aktuell nicht nur aufgrund von Pro-Palästina-Demos gefordert. "Es sind derzeit mehrere Versammlungsanzeigen zu verschiedensten Themen täglich, die wir bekommen", sagte Zauner. In Summe arbeite die Behörde pro Jahr rund 10.000 Versammlungsanmeldungen ab. Die Palette reiche hier derzeit von unscheinbaren "Kleinstkundgebungen, die man gar nicht bemerkt" bis hin zu Großdemos wie dem durch "Fridays For Future" (FFF) initiierten Klimastreik im September. Beim Großteil handelt es sich laut Polizei um kleine Versammlungen, die friedlich verlaufen.

Auch der Polizeieinsatz im Zuge der Klimademo am 15. September warf damals Fragen nach der Verhältnismäßigkeit auf. Acht Klimaaktivistinnen und -aktivisten der "Letzten Generation" hatten plötzlich mit einer nicht angemeldeten, jedoch friedlichen Sitzblockade auf Höhe des Parlaments den Demozug unterbrochen, die restlichen Protestierenden dann ebenfalls zur Teilnahme an der Aktion aufgerufen und so das Fortkommen des Protestmarsches in Richtung Heldenplatz verzögert. Ein Großaufgebot von Beamtinnen und Beamten hatte sie daraufhin eingekreist.

Zauner widersprach der Kritik von Beobachtern, wonach es sich hierbei bereits um eine Einkesselung gehandelt habe. "Das ist, um die Sitzenden abzusichern und andererseits zu verhindern, dass sich noch mehr hinsetzen", sagte die Einsatzplanerin. "Das wäre sonst ein bisschen widersprüchlich, wenn wir dort stehen und schauen, wie sich noch mehr hinsetzen, während wir eh schon auflösen, das bringt ja nichts." Von einem Kessel spreche man erst "wenn jemand angehalten oder verhalten wird", erklärte sie. "Der Einsatz verlief genauso verhältnismäßig und sanft wie immer, wenn wir es mit diesen Aktivisten zu tun haben." Im Zuge der nicht angemeldeten Protestaktion wurden damals 36 Personen auf verwaltungsrechtlicher Basis festgenommen, eine weitere aufgrund eines strafrechtlichen Delikts.

Man versuche bei den aktuellen Klimaprotesten stets mit Augenmaß vorzugehen, so die erfahrene Beamtin. Das sei jedoch auch herausfordernd. "Die einen hätten am liebsten, wir lassen sie sitzen, die anderen, wir würden die brutal wegräumen", sagte sie mit Verweis auf die Blockaden der "Letzten Generation". Heuer seien bisher rund 34.882 Planstunden sowie 6.262 Überstunden durch Klima-Proteste entstanden, berichtete Zauner. Bei einem Pauschalstundensatz von 32,6 Euro komme man damit auf Personalkosten von mehr als 1,3 Millionen Euro.

Im Zuge des Gesprächs kam Zauner auch auf den Konflikt zwischen Versammlungsfreiheit und Strafrecht zu sprechen. "Das ist ein ganz schmaler Grat." Das Versammlungsrecht erlaube einen gewissen Spielraum. "Die Versammlungsfreiheit ist uns allen sehr wichtig und in einem demokratischen Rechtsstaat verankert. Das heißt, dass natürlich gewisse Versammlungsmittel durchaus zulässig sein dürfen." Eine Entscheidung müsse jedoch immer im Einzelfall gefällt werden, wie etwa auch bei der Demo im Vorfeld des Prozesses gegen den früheren Burg-Schauspieler Florian Teichtmeister am 5. September in Wien.

Angebliche Kinderschützer aus der rechtsextremen Szene hatten damals einen Galgen zu der Demonstration vor dem Landesgericht mitgebracht und damit für Aufsehen gesorgt. Die Landespolizeidirektion Wien erklärte damals auf X (vormals Twitter), dass es sich hierbei um ein "Demonstrationsmittel" handle, das aktuell "in den Rahmen der Versammlungsfreiheit fällt". Zwei Anwälte brachten zur Klärung daraufhin eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft ein.

Für Unverständnis in Zusammenhang mit Demos sorgt aktuell auch die Linie der Landespolizeidirektion in Bezug auf die Nennung von Teilnehmerzahlen. Denn die Polizei kommuniziert diese aktuell bewusst nicht. "Die Polizei führt keine Zählungen durch, sondern Schätzungen. Die Polizei muss als Teil der sicherheitspolizeilichen Gefahreneinschätzung ungefähr wissen, wie viele Personen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einer Versammlung oder Veranstaltung an einem bestimmten Ort befinden", hieß es aus der Landespolizeidirektion dazu. "Wir schätzen Teilnehmerzahlen, um unsere Einsatzplanung und unseren Einsatzablauf abzustimmen und zu bewerten und Risiken, Gefahren und Schadenslagen, dementsprechend auch von der mutmaßlichen Teilnehmerzahl her einzuschätzen zu können." Wieso diese Zahlen jedoch nur für interne Zwecke gedacht sind, wollte die Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien auf ausdrückliche APA-Nachfrage nicht erklären. Auch ob die Maßnahme etwa politischen Gründen diene, konnte nicht beantwortet werden. Man kommuniziere jedoch die Teilnehmerzahlen, die in der Versammlungsanzeige angegeben werden, hieß es aus der Pressestelle.

Die Schätzung funktioniert bei Demonstrationen laut Zauner unter anderem durch Luftbilder, Außenverkehrskameras sowie das Augenmaß von erfahrenen Beamten. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Einsatzplanung von Demos oder zur Zählung sei aktuell noch nicht geplant, hieß es von Zauner. "In der Regel sind unsere Schätzungen jedoch sehr genau", sagte sie.

Xenia Zauner leitet im Brigadiersrang nach Stationen in der Polizeiinspektion am Karlsplatz und im Landeskriminalamt sowie Führungsrollen in der Landespolizeidirektion seit November 2020 die Einsatzabteilung der Wiener Polizei. Zu der rund 340 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählenden Abteilung gehören unter anderem die Landesleitzentrale, der Bereich für Objektschutz, der Szenekundige Dienst, die Dienststelle der Sprengstoffsachkundigen Organe (SKO), der Bereich für Drohnen sowie die rund 200 Beamtinnen und Beamten zählende Bereitschaftseinheit.

(Das Gespräch führte Nikolaus Pichler/APA)

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