Durch 'unzureichend kontrollierte Gesamtbelastung der jungen Tänzer und Tänzerinnen'.
Wien. Mangelnde Strukturen in Bezug auf die Verantwortlichkeiten, unzureichende medizinisch-therapeutische Versorgung der Ballettschüler und fehlendes Problembewusstsein in Bezug auf Kinderschutz und Kindeswohl: Zu diesem verheerenden Schluss kommt die Sonderkommission zur Klärung der Vorwürfe an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper, die am heutigen Dienstag ihren Abschlussbericht vorgelegt hat.
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Ballettakademie: Kommission ortet "Gefährdung" von Kindern
"Eine Gefährdung des Kinderwohls" sieht die Kommission in ihrem schriftlichen Bericht etwa durch "die unzureichend kontrollierte Gesamtbelastung der jungen Tänzer und Tänzerinnen, die sich aus Training, Proben, Auftritten, Wettbewerben und dem Schulbesuch ergeben. Erschwerend kommt das Fehlen einer weisungsfreien Kinderschutzbeauftragten hinzu". Zu bereits getroffenen Maßnahmen seitens der Ballettakademie heißt es im Abschlussbericht, der an der Universität für Musik und darstellende Kunst präsentiert wurde: Die gesetzten Schritte erweckten den "Eindruck, dass zwar an verschiedenen Punkten gearbeitet wird, es aber noch an einem nachvollziehbaren Gesamtkonzept fehlt". Die grundsätzliche Empfehlung der Kommission richte sich daher "darauf, eine Strategie für eine zeitgemäße (klassische) Ballettausbildung auf höchstem Niveau unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der potenziellen SchülerInnen und der (schul)rechtlichen österreichischen Rahmenbedingungen zu entwickeln".
Kommission im April eingesetzt worden
Die Kommission war im April vom damaligen Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) eingesetzt worden, nachdem zuvor schwere Vorwürfe gegen die Ballettakademie laut geworden waren. Vornehmlich durch eine mittlerweile entlassene Ballettlehrerin seien die Schüler dort teils gedemütigt worden, Gewalt und Drill sowie einem ungesunden Körperbild ausgesetzt gewesen. Auch der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs durch einen Lehrer stand im Raum.
Insgesamt hat die Kommission, die zunächst von der nunmehrigen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein geleitet und dann von Susanne Reindl-Krauskopf, Vorständin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien, abgelöst wurde, 16 Mal getagt und mit 24 Auskunftspersonen gesprochen. Bei der eingerichteten Clearing-Stelle hätten sich 43 Personen gemeldet, wobei 20 Personen an beratende Stellen weitervermittelt wurden. Nach dem bereits im Juli veröffentlichten Zwischenbericht liegt nun eine abschließende Einschätzung vor. Zwar seien seit Beginn der Tätigkeit der Sonderkommission im April seitens der Ballettakademie zahlreiche Änderungen vorgenommen worden, "doch erwecken sowohl die Vorgehensweise wie auch die Inhalte der getroffenen Maßnahmen bei der Kommission den Eindruck, dass die Motivation dieser Änderungen nicht primär dem Wohl der Kinder und Jugendlichen gilt", heißt es zusammenfassend.
Schallenberg sieht "dringenden Handlungsbedarf"
Kunst- und Kulturminister Alexander Schallenberg sieht nach der Veröffentlichung des Endberichts der Sonderkommission zur Ballettakademie "dringenden Handlungsbedarf", wie es in einem der APA übermittelten Statement heißt. "Die Aufarbeitung der erschütternden Zustände die Ballettakademie betreffend durch eine unabhängige Expertenkommission hat sich als richtig und unerlässlich erwiesen."
Die nun präsentierten Erkenntnisse und Empfehlungen der Sonderkommission würden "klare Handlungsfelder" aufzeigen, "die es ehestmöglich und ohne Kompromisse aufzuarbeiten gilt", so der Minister. Die verantwortliche Leitungsebene der Staatsoper müsse sich "der Ernsthaftigkeit und Tragweite der Thematik voll bewusst werden". Darum werde der Minister noch vor Weihnachten Gespräche mit den handelnden Personen führen.
Bisher umgesetzte Maßnahmen
Wie aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Kulturminister Alexander Schallenberg hervorgeht, hat die Ballettakademie seit Beginn der Untersuchungen der Kommission bereits einige Maßnahmen umgesetzt beziehungsweise in die Wege geleitet. Dazu zählt etwa die Beiziehung der Kinderschutzorganisation "die Möwe" und die Einrichtung einer Koordinationsstelle innerhalb der Staatsoper.
Neben der Begleitung des Aufarbeitungsprozesses durch "die Möwe", die Psychologen bereitgestellt hat, analysierte die neue "Koordinationsstelle Ballettakademie" innerhalb der Staatsoper "die Ist-Situation" und "begleitet die Umsetzung und Ausarbeitung von Maßnahmen, koordiniert die Zusammenarbeit mit den externen Institutionen und hat im Auftrag der Geschäftsführung der Wiener Staatsoper eine allgemeine Kontrollfunktion übernommen". Darüber hinaus wurde mit dem Schuljahr 2019/20 ein Verhaltenskodex nah dem Vorbild von "100% Sport" eingeführt, in dem "die Grundsätze hinsichtlich des richtigen Umganges mit den Schülerinnen und Schülern der Ballettakademie festgelegt" wurden. Dieser werde allen Mitarbeitern der Ballettakademie zur Kenntnis gebracht und von allen unterzeichnet.
Seit Ende Oktober sind nun auch zwei Psychologinnen "mit Spezialausbildungen und Erfahrung im Bereich Kinder- und Jugendpsychologie sowie Hochleistungssport fix in die Ballettakademie eingebunden". Geplant ist - ebenfalls in Zusammenarbeit mit "die Möwe" - die Erstellung eines umfassenden Kinderschutzkonzeptes. Weiters wurde ein Kinderschutzteam, bestehend aus einer Mitarbeiterin der Ballettakademie und den zwei in der Ballettakademie tätigen Psychologinnen installiert. Ebenso habe es "Basisschulungen" aller Mitarbeiter gegeben, in weiterer Folge sind in einem Stufenplan weitere Schritte zur Implementierung des Kinderschutzkonzeptes geplant.
Gesundheitliche Kritikpunkte
Was die gesundheitlichen Kritikpunkte betrifft, wurde unter Mitwirkung der Organisation "Leistungssport Austria" und der in der Ballettakademie tätigen Psychologinnen das neue Unterrichtsfach "Gesundheitsprogramm" eingeführt, das insbesondere die Bereiche Ernährungslehre, Athletik/Verletzungsprophylaxe/Leistung/Training, Sportpsychologie und Body Awareness abdecke. Darüber hinaus werden den Schülern auf Leistungssportler abgestimmte physiotherapeutische Behandlung und Massagen in den Räumlichkeiten der Ballettakademie angeboten. Für das Schuljahr 2019/2020 wurde ein Pilotprojekt entwickelt, "das eine umfassende medizinische Untersuchung aller Schülerinnen und Schüler vorsieht, inklusive Physiocheck, Anthropometrie, Ernährung und psychologische Testung".
Das Ziel sei, "den Ist-Zustand zu erfassen und daraus Erkenntnisse für die Schülerinnen und Schüler (und deren Eltern), die Pädagoginnen und Pädagogen sowie die Ballettakademie zu erwerben, damit das Training und der Unterricht sowie die medizinische Betreuung besser auf die Erfordernisse der Schülerinnen und Schüler abgestimmt und allfällige Schwächen und Probleme einzelner Schülerinnen und Schüler rechtzeitig erkannt werden können." Zudem werde an der Erstellung eines sportmedizinischen Aufnahmetests für zukünftige Schüler gearbeitet.
Zu den weiteren Maßnahmen zählen die "Intensivierung und Verbesserung der Kommunikation mit den Eltern und externen Institutionen", Änderungen in der Administration der Ballettakademie inklusive Entwicklung eines Qualitätsmanagements, die Entwicklung eines "modernen Schülerinnen- und Schülerverwaltungsprogrammes" sowie die "Forcierung von Fortbildungsangeboten für Lehrerinnen und Lehrer".
Die Prüfungskommission hatte in ihrem Abschlussbericht zwar auf die Maßnahmen verwiesen, hielt aber fest, dass die "Vorgehensweise wie auch die Inhalte der getroffenen Maßnahmen bei der Kommission den Eindruck [hinterlassen], dass die Motivation dieser Änderungen nicht primär dem Wohl der Kinder und Jugendlichen gilt".