Volles Programm lautet die Devise bei Beate Meinl-Reisinger. Eine Devise, die auch ihren Tribut fordert. INSIDER hat die NEOS-Chefin zum Interview getroffen.
Wien. Der Kapellenhof der Wiener Hofburg: eine verwinkelte Angelegenheit. Fährt man mit dem Lift in den 5. Stock, wird es aber geräumig und hell. Hier liegt der Parlamentsklub der Neos. Es summt wie in einem Bienenstock. Auch wenn die Mitarbeiter coronabedingt am großen Konferenztisch weit auseinandersitzen.
Gerade ging die Pressekonferenz „Echter Neustart statt Comeback-Plan“ über die Bühne. Die Neos-Chefin entsprach dem Bild, das ihr nachgesagt wird. Forsch und fordernd. Ihre Ansagen sind deutlich, die Kritik ebenso.
Dreifache Mutter. Beate Meinl-Reisinger ist Mutter dreier Töchter. Die Jüngste ist gerade zwei Jahre alt geworden. Wenn sie von ihnen spricht, ist die Stimme eine andere. Liebevoll und sanft. Das Nesthäkchen will getragen werden. Egal, ob der Polit-Job rund um die Uhr geht. Die Bandscheibe meldet sich gerne und höchst schmerzhaft, wenn ein Punkt erreicht ist, der oft lautet: Es ist zu viel. „Ich merke, dass ich keine 30 mehr bin“, sagt Meinl-Reisinger und will es „nicht überdramatisieren“. Sie kam ins Spital, dann wurde von zu Hause aus weitergearbeitet. Über Rudi Anschober, der die Reißleine gezogen hat, sagt sie: „Da habe ich Respekt, wie er das gemacht hat.“ Sagt es und geht wieder zum Konferenztisch. Das Summen ist mehr geworden. Und ihr Ton wieder forscher.
Beate Meinl-Reisinger im Interview
Insider: Die Regierung hat einen wirtschaftlichen Comeback-Plan vorgelegt. Sie üben Kritik.
Beate Meinl-Reisinger: Es ist Ankündigungspolitik. Es gibt immer wieder Pressekonferenzen und Ankündigungen, aber es passiert nichts. Kurz und Kogler haben am 29. April des Vorjahres bereits von einem Comeback für die Wirtschaft gesprochen, und es ist nichts passiert. Es wäre an der Zeit, die Ärmel hochzukrempeln. Es braucht kein Comeback, das Sand in die Augen streut. Sondern einen Neustart, wo man den Mut aufbringt, Reformen anzugehen und Innovationen zu ermöglichen. Weil von irgendwo müssen der Wohlstand und das Wachstum für die Zukunft auch herkommen.
Insider: Rot-Pink legte in Wien bei Umfragewerten zu, die Neos liegen gleichauf mit den Grünen, auch auf Bundesebene geht es nach oben.
Meinl-Reisinger: Das sind Momentaufnahmen. Aber ich bin da sehr demütig. Man darf nicht vergessen, woher wir kommen. Ich habe kürzlich mit jemandem gesprochen, der hat gesagt: Na ja, ihr müsst halt wachsen. Und das stimmt. Wir haben eine große Sehnsucht, dass wir noch stärker werden und eine noch bedeutendere Rolle spielen. Uns gibt es seit neun Jahren. Als ich übernommen habe, standen wir bei sechs Prozent. Und jetzt sind es in Umfragen teilweise über zehn Prozent. Es ist ja kein Selbstzweck. Sondern die Gründungsidee ist schon, liberale Reformen durchzusetzen, und ebenso die Absage an den großkoalitionären Stillstand.
Insider: Sie regieren auch.
Meinl-Reisinger: Wir regieren in Salzburg mit der ÖVP, in Wien mit der SPÖ. Wir können also mit rechts und auch mit links. Und das ist meines Erachtens eine der wichtigsten Funktionen, die wir Österreich bieten können und sollten.
Insider: Hält die Koalition durch?
Meinl-Reisinger: Ich weiß es nicht. Und ich finde die Diskussion eigentlich ermüdend. Wir stecken in der größten Krise der Zweiten Republik. Auch bei den Schulden, die wir eingegangen sind. Und wir bräuchten nichts dringender als eine voll handlungsfähige Regierung. Wenn nicht sogar die beste Regierung. Eine, die auch zusammenarbeitet.
Insider: Die auch zusammenarbeitet …?
Meinl-Reisinger: Die Abschiedsrede von Rudi Anschober hat mich bewegt. Auffallend war, dass er die ÖVP mit keinem Wort erwähnt hat. Also die sollen sich bitte zusammenreißen. Ich könnte Neuwahlen jetzt sehr gelassen entgegensehen. Es gibt sicher Momente, wo ich sage: So geht es nicht weiter und Österreich braucht eine andere Regierung. Aber in so einer Krise ist ein Wahlkampf auch nicht das Beste für Österreich.
Insider: Es wird zu langsam geimpft?
Meinl-Reisinger: Ja, definitiv. Da kann man nichts beschönigen. Ich stehe der Impfstoffbeschaffung auf europäischer Ebene kritisch gegenüber. Aber noch kritischer sehe ich die Situation in Österreich. Dass wir nicht allen Impfstoff gekauft haben. Dass es so lange gedauert hat, bis es endlich angelaufen ist. Dass mittendrin Strategien umgestellt werden, wie beispielsweise in NÖ. Dass man an einem Impfplan vorbeigeimpft hat. Das ist alles für mich nicht nachvollziehbar. Man hatte Monate Zeit gehabt, alles vorzubereiten. Es ist eigentlich beschämend.
Insider: Thema Chatverkehr.
Meinl-Reisinger: Diese Chats sind natürlich ein Blick ins Innenleben der ÖVP. Ich verstehe es, wenn manche sagen: Postenschacher ist nicht neu. Wir haben gesagt: Das muss anders funktionieren. Was allerdings schon neu ist, ist, dass diese Chats so offen sind. Das ist nur peinlich.
Insider: Die Neos haben Kanzler Kurz angezeigt.
Meinl-Reisinger: Es ist undenkbar, dass ein Sektionschef nachdenkt, wer den Finanzminister berät, wenn er vor der Staatsanwaltschaft aussagen soll. Ich erwarte mir Respekt gegenüber der Demokratie, dem Parlament und den Institutionen. Dazu zählt auch der Respekt gegenüber dem Untersuchungsausschuss, wo man unter Wahrheitspflicht aussagt. Jetzt hat es sich ergeben, dass gefragt wurde, ob Sebastian Kurz eingebunden war in die Bestellung von ÖBAG-Chef Thomas Schmid. Und ob er vorher mit ihm darüber gesprochen hat. Und Kurz hat Nein gesagt. Er hat dann versucht, das im Protokoll zu korrigieren, was besonders aufschlussreich ist. Da haben wir eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht, weil natürlich eine Falschaussage strafbar ist.
Insider: Es gibt einen Masken-Streit im Parlament.
Meinl-Reisinger: Es gibt so viel Wichtiges zu tun, und ich sehe hier eine FPÖ, die wie ein trotziges Kleinkind dasitzt und sagt: Nein, ich setze keine Maske auf. Ich halte das überhaupt nicht aus.
Insider: Sie selbst sind kurzfristig wegen eines Bandscheibenvorfalls ausgefallen. Minister Anschober hat für sich die Reißleine gezogen. Gehen Politiker physisch und psychisch über ihr Limit hinaus?
Meinl-Reisinger: Ich bin ja auch schon länger in der Politik. Entweder als Mitarbeiterin oder jetzt eben selbst sehr aktiv. Und es wird immer schneller, immer gehetzter, immer polarisierter, und es gibt keine Pause mehr. Kaum bist du ein paar Tage auf Urlaub, kommen in der Karwoche die Chat-Protokolle daher. Es spürt irgendwie jeder. Für mich war der Bandscheibenvorfall jetzt auch ein Warnschuss. Wobei auch meine Tochter eine Rolle spielt, die gerade zwei geworden ist und getragen werden will. Aber man darf nicht vergessen: Diese Überbelastung im Job haben nicht nur Politiker. Da gibt es die Menschen im Pflegebereich und ja, auch viele Jugendliche. Da sollte man transparenter und ehrlicher damit umgehen.
Interview: Harald Brodnig