Große Kritik in der Begutachtung, doch die Regierung zieht Kürzung bei Sozialhilfe durch.
Wien. Heute im Ministerrat beschließen ÖVP und FPÖ die Neuregelung der Mindestsicherung, die ab 1. Jänner 2020 in allen Ländern gelten soll.
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Höhe. Grundsätzlich beträgt die Mindestsicherung 863 Euro (Wert von 2018).
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Paare. Für Paare gibt es höchstens 1.208 Euro.
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Kinder. Das erste Kind bekommt 25 %, also 216 Euro, das zweite Kind 15 %, also 130 Euro, das dritte Kind nur noch 5 %.
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Zuwanderer. Wer nicht ausreichend Deutsch kann, bekommt 563 Euro, erst ab Niveau B1 gibt es den vollen Betrag. Und soll es ein neues System geben: Der Integrationsfonds (ÖIF) übernimmt künftig die Zuteilung der Sprachkurse und beaufsichtigt die Tests.
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Behinderte: Aufgrund der Kritik in der Begutachtungsphase wurde die Kann-Bestimmung beim Zuschlag für Behinderte (18 %) nun zu einer Muss-Bestimmung gemacht. Bei Alleinerziehenden obliegt es nach wie vor den Ländern, einen Zuschlag zu zahlen.
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Vermögenszugriff. Die Länder können auf ein Vermögen bis zu 5.200 Euro zugreifen.
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Trotz großer Kritik: Neue Mindestsicherung beschlossen
Regierung segnete Neuregelung ab
Die Bundesregierung hat am Mittwoch dem Umbau der bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Sozialhilfe seinen Segen gegeben und eine Regierungsvorlage Richtung Parlament geschickt. Nach dem Beschluss des Grundsatzgesetzes, dem die Länder mit ihren Ausführungsgesetzen folgen müssen, gilt bis 1. Juni 2021 eine Übergangsfrist, hieß es am Mittwoch nach dem Ministerrat.
Die Spitzen von ÖVP und FPÖ zeigten sich nach der Regierungssitzung hocherfreut. "Ich glaube, wir haben ein System geschaffen, das deutlich besser und gerechter ist", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Pressefoyer. Die bisherige Mindestsicherung sei "viel zu attraktiv für Migranten, für Zuwanderer ins Sozialsystem".
Das habe man geändert, gleichzeitig aber auch dafür gesorgt, arbeiten zu gehen wieder attraktiv zu machen. "Christlich-sozial ist das, was stark macht, nicht das, was in Abhängigkeit hält und schwach macht", sagte Kurz. Zusätzlich habe man Alleinerzieher, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung bessergestellt.
Regierung zufrieden
Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ortete "insgesamt eine Lösung, die Integration und Arbeitsbereitschaft fördert". Angesichts dessen, dass 62 Prozent der Mindestsicherungsbezieher, die beim AMS gemeldet seien, Migrationshintergrund hätten, habe man im Sinne der sozialen Fairness Maßnahmen ergreifen müssen. Nur erreiche man das Ziel, die Zuwanderung in das Sozialsystem zu stoppen.
Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sprach von einer "harmonisierten, fairen und effizienten Lösung". Menschen würden damit nicht in Abhängigkeit gehalten, sondern bekämen "Anreize, damit sie selbst wieder ohne staatliche Hilfe sein können".
Dass man den Weg eines Grundsatzgesetzes statt einer Bund-Länder-Vereinbarung gegangen sei, liege einerseits an der höheren Verbindlichkeit für die Länder, andererseits aber auch in den größeren Spielräumen für diese. So hoffe nun auf "zügige Unterstützung" der (teils deutlich ablehnenden, Anm.) Bundesländer.
Kritik
Vor allem aus der rot-grün regierten Bundeshauptstadt war viel Kritik gekommen. ÖVP-Klubobmann August Wöginger hoffte dennoch auf deren Beteiligung. "Die Bundeshauptstadt Wien müsste dieser Bundesregierung eigentlich dankbar sein für dieses Sozialhilfegrundsatzgesetz", meinte er. Sollte dies anders kommen, "wäre das nicht zu tolerieren", ergänzte Kurz: "Wir leben in einem Rechtsstaat, die Verfassung ist da sehr klar. Ich gehe nicht davon aus, dass ein Bundesland vorhat, gegen die Verfassung zu verstoßen."
Dass man den Dialog mit den Bundesländern verweigert habe, ließ Hartinger-Klein nicht gelten. Es habe viele Gespräche und auch den Begutachtungsprozess gegeben, auch für Anfang April seien die Soziallandesräte eingeladen. "Aber man soll die Dinge nicht zerreden und zerdiskutieren."
Dass das Ziel der Armutsbekämpfung im neuen Gesetz nicht mehr festgeschrieben ist, hat laut der Sozialministerin übrigens verfassungsrechtliche Grüne. Den Ländern sei es möglich, dies in den Ausführungsgesetzen trotzdem zu definieren.
Ministerrats-Beschluss mit kleinen Änderungen
Die Regierung beschließt am Mittwoch im Ministerrat ihr Modell der Sozialhilfe. Trotz heftiger Kritik in der Begutachtung gibt es nur kleine Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf. Wichtigste Neuerung ist, dass der Bonus für Behinderte von einer Kann- in eine Muss-Bestimmung umgewandelt wird. Die Höhe der Geldleistungen bleibt ebenso unverändert wie die Staffelung für Kinder und die Einschnitte für Zuwanderer mit schlechten Deutschkenntnissen.
Die monatliche Sozialhilfe wird damit wie ursprünglich angekündigt in der Höhe des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes gewährt, das sind 863 für das vergangene Jahr 2018 bzw. 885,47 Euro für 2019. Für Paare sind es zwei Mal 70 Prozent des Richtsatzes, das sind 1.208 Euro für 2018 bzw. 1.239,66 für 2019.
Für Familien mit mehreren Kindern bringt die Neuregelung Einschnitte durch eine Staffelung pro Kind: Für das erste Kind ist eine Sozialhilfe-Satz von 25 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vorgesehen (2018 waren dies 216 Euro), für das zweite Kind 15 Prozent (2018: 130 Euro) und ab dem dritten Kind gibt es 5 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes (2018: 43 Euro).
Bonus für Menschen mit Behinderung
Für Menschen mit Behinderung ist ein Bonus von 18 Prozent (2018: 155 Euro, 2019: 159,39 Euro) vorgesehen. Neu im Vergleich zu den bisherigen Plänen ist dabei, dass dies für die Länder nun keine Kann- sondern eine Muss-Bestimmung ist. Für Alleinerzieherinnen bleibt es hingegen bei der Kann-Bestimmung. Ihnen können die Länder nach eigenem Ermessen Zuschläge von 12 Prozent von Ausgleichszulagenrichtsatz (2018: 103,5 Euro) bei einem Kind ausschütten, bei zwei Kindern 21 Prozent (181 Euro), bei drei Kindern 27 Prozent (233 Euro) und für jedes weitere Kind plus drei Prozent.
Im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen hat die Regierung noch einige "Präzisierungen" vorgenommen. Leben mehrere Sozialhilfebezieher in einer Wohngemeinschaft, so ist eine Deckelung von 175 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatze (2018: 1.510,25 Euro, 2019: 1.549,57) vorgesehen. Klargestellt wurde nun, dass nicht nur Kinder sondern auch Menschen mit Behinderung von dieser Deckelung ausgenommen sind.
Klargestellt wurde auch, dass dauerhaft erwerbsunfähige Bezieher von der Bestimmung ausgenommen sind und dass nach maximal 12 Monaten ein neuer Antrag für die Sozialhilfe gestellt werden muss. Präzisiert wurde weiters, das bestehende bessere Regelungen der Länder für Sonderbedarfe (Pflege, Behinderung) nicht berührt werden. Die Länder können - wie auch schon bisher bekannt - einen Wohnzuschuss von 30 Prozent gewähren, um die unterschiedlich hohen Mietkosten in den Bundesländern zu berücksichtigen. Festgestellt wurde nun auch, dass die Mindestsicherungs-Statistik von der Statistik Austria abgewickelt wird.
Klargestellt wurde außerdem, dass Straftäter während des Aufenthalts in der Haftanstalt keine Mindestsicherung bekommen, unmittelbar nach ihrer Entlassung (auch nach einer bedingten) aber Anspruch darauf haben. Keine Rede ist mehr davon, dass für die gleiche Dauer, die jemand in Haft verbracht hat, er auch danach keine Sozialhilfe bekommen sollte.
Kürzungen für Zuwanderer
Unverändert im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen bleiben die Kürzungen für Zuwanderer mit schlechten Deutschkenntnissen. Sie bekommen nur 65 Prozent der regulären Leistung, bisher 563 Euro, seit 2019 rund 575 Euro. Die rund 300 Euro Differenz auf die volle Geldleistung erklärt die Regierung als Sachleistung zum "Arbeitsqualifizierungsbonus für Vermittelbarkeit". Damit sollen Sprachkurse finanziert werden. Den vollen Betrag gibt es erst ab Deutsch-Niveau B1 oder Englisch-Niveau C1. Präzisiert wird hier allerdings noch im Integrationsgesetz, dass der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) die Kursanbieter zertifiziert und auch die Prüfungen abnimmt. Für Drittstaatsangehörige sowie EU- und EWR-Bürger ist eine fünfjährige Wartefrist vorgesehen, bevor sie die Sozialhilfe beziehen können.
Bestehen bleibt die Möglichkeit der Länder, auf das Vermögen der Betroffenen zuzugreifen. Es gibt aber Ausnahmen, so soll etwa ein Auto, das zur Fahrt in die Arbeit benötigt wird, vom Zugriff ausgenommen sein. Zudem wird ein "Schonvermögen" von 600 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes (rund 5.300 Euro) definiert, auf das kein Zugriff möglich ist. Zugleich wird die "Schonfrist" für den Zugriff auf das Eigenheim bzw. die pfandrechtliche Eintragung im Grundbuch von sechs Monaten auf drei Jahre erhöht.
Nach einem geplanten öffentlichen Hearing im Parlament soll der Entwurf nach den Plänen der Regierung Ende Mai im Nationalrat beschlossen werden. Die Länder haben dann bis Ende des Jahres Zeit für ihre Ausführungsgesetze, mit 1. Jänner 2020 sollen dann das Grundsatzgesetz des Bundes, in dem konsequent von "Sozialhilfe" und nicht mehr von "Mindestsicherung" gesprochen wird, und die neun Ausführungsgesetze der Länder in Kraft treten. Die genauen Ausführungsbestimmungen sowie konkrete Sanktionen bei Missbrauch oder Arbeitsunwilligkeit müssen die Länder selbst festlegen. Das von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) für 8. April geplante Gespräch mit den Sozialreferenten der Länder soll trotz des Ministerratsbeschlusses stattfinden.
Nichts ändert sich übrigens an den schon im Begutachtungsentwurf geschätzten Kosten für die Länder. Nach der im Entwurf enthaltenen "Folgekostenabschätzung" sollen laut der Schätzung den Ländern Mehrkosten von 6,7 Millionen Euro im Jahr 2020, 11,8 Mio. im Jahr 2021 und 14,6 Mio. Euro im Jahr 2022 entstehen.