Vor Wahl im Herbst

Regierungsprogramm: Was Türkis-Grün bisher erreicht hat - und was nicht

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Bei ihrem Amtsantritt im Jahr 2020 hat sich die Bundesregierung 232 Seiten an Zielen gesteckt.  

In der von Corona-und Teuerungskrise sowie einem Kanzlerwechsel geprägten Legislaturperiode hat sie - von Informationsfreiheit bis Abschaffung der Kalten Progression - bereits zahlreiche Projekte aus dem Regierungsprogramm realisiert. Andere - allen voran das Klimaschutzgesetz - harren weiter der Umsetzung. Bis Herbst hat man dafür noch Zeit, spätestens dann stehen Neuwahlen an.

Bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden, geht aus dem Abkommen hervor. Ein Klimaschutzgesetz sollte verbindliche Reduktionspfade bis 2040 und ebenso verbindliche Zwischenziele bis 2030 vorgeben. Seit Ende 2020, als die alten Vorgaben ausliefen, heißt es allerdings warten. Grüne Ministerinnen und Minister zeigen sich zwar weiter zuversichtlich, das Gesetz noch auf den Weg zu bringen. Dass eine Einigung der Koalitionsparteien in Sachen Klima nicht immer einfach ist, zeigt sich aber auch andernorts: Weil Österreich keinen Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) - ebenfalls Teil des Regierungsprogramms - nach Brüssel geschickt hat, hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Das grüne Klimaministerium hatte zwar einen Vorentwurf übermittelt, ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler diesen aber wieder zurückgezogen.

Bodenschutzstrategie und Altersarmut 

Noch auf der Agenda steht auch eine Bodenschutzstrategie, die u.a. eine Reduktion des Flächenverbrauchs und der Bodenversiegelung zum Ziel haben soll. Im Juni hat die von Bund, Ländern, Städten und Gemeinden getragene Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) deren Beschluss vertagt. Ebenfalls im Regierungsprogramm findet sich eine "Behaltefrist für die Kapitalertragsteuerbefreiung für Kursgewinne bei Wertpapieren und Fondsprodukten" - ein Thema, das Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) kürzlich wieder angestoßen hat. Er will 2024 ein Vorsorgedepot mit einer Behaltefrist von zehn Jahren, nach der man das Geld für die Vorsorge KESt-befreit herausnehmen kann, umsetzen.

Am Widerstand der Grünen, die ein größeres Paket zur Bekämpfung der Altersarmut von Frauen fordern, scheiterte bis dato das von der ÖVP propagierte automatische Pensionssplitting. Auch die Bildungspflicht, wodurch Jugendliche das Schulsystem erst nach Erreichen bestimmter Bildungsziele verlassen dürfen, und die "Mittlere Reife" vor Ende der 9. Schulstufe gibt es bisher nicht. Gegenüber der APA zeigte sich Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) zuletzt skeptisch, ob sich die Pläne noch in dieser Legislaturperiode verwirklichen lassen, es gebe aber intensive Gespräche.

Nicht im Regierungsprogramm, aber schon länger auf der Wunschliste beider Koalitionsparteien findet sich eine Änderung der Weisungskette der Staatsanwälte, an deren Spitze derzeit die Justizministerin steht. Geht es nach den Grünen, soll ein Dreier-Senat an der Spitze einer Generalstaatsanwaltschaft entscheiden, die ÖVP will einen dem Parlament verantwortlichen Bundesstaatsanwalt.

Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahre vom Tisch

Gänzlich vom Tisch ist indes das im Regierungsprogramm anvisierte Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahre. Im Dezember 2020 hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Kopftuchverbot an den Volksschulen aufgehoben, die Grünen schlossen danach sowohl einen neuerlichen Anlauf als auch die Ausweitung bis 14 Jahre aus. Nicht umgesetzt wurde auch die von der ÖVP gewünschte Sicherungshaft für Gefährder "zum Schutz der Allgemeinheit", wie es im Programm heißt. Die Grünen argumentierten damit, dass das im Rahmen der Verfassung nicht möglich sei. Die Lösung müsse per Regierungsprogramm aber verfassungskonform sein.

Nicht mehr als ein frommer Wunsch blieb die Absicht, die Schuldenquote Österreichs in Richtung des Maastricht-Ziels von 60 Prozent zu senken sowie ein Nulldefizit einzuhalten. Krisen von Corona bis Teuerung machten der Regierung einen Strich durch die Rechnung. 2024 sieht das Budget ein Defizit von 2,7 Prozent und eine Schuldenquote von 76,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor.

Verfassungswidrig: VfGH sorgte für Hausaufgaben 

Doch nicht nur das Regierungsprogramm muss abgearbeitet werden, hat doch auch der VfGH für Hausaufgaben gesorgt. Nur ein Beispiel ist das neue ORF-Gesetz, mit dem u.a. die GIS ab diesem Jahr durch eine Haushaltsabgabe ersetzt wurde. Die Neuregelung war notwendig geworden, nachdem das Höchstgericht die Gratisnutzung des ORF im Internet für verfassungswidrig erklärt hat. Und auch die ORF-Gremien müssen nach einem Entscheid des VfGH reformiert werden, hat die Regierung doch zu viel Einfluss bei der Besetzung von Publikums- und Stiftungsrat. Ob Türkis-Grün diese Reform vor der Wahl noch angehen wird, bleibt fraglich. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hatte kürzlich betont, sich dafür Zeit nehmen zu wollen.

Für verfassungswidrig befand das Gericht auch die Rechtsberatung für Asylwerber durch die zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes stehende Bundesbetreuungsagentur (BBU) - die Unabhängigkeit sei nicht gesichert. Bis Juli 2025 ist für eine Neuregelung Zeit, auch hier ist also nicht mehr zwangsläufig Türkis-Grün am Zug.

Anders ist das wohl bei der Sicherstellung von Handys, die ebenfalls vom VfGH gekippt wurde. Gibt es keine richterliche Genehmigung, so ist die Sicherstellung laut einem Erkenntnis vom Dezember 2023 verfassungswidrig. Bis Ende 2024 muss eine Reparatur erfolgen. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) will diese Reform mit einer Überwachungsmöglichkeit von Messenger-Diensten verknüpfen, auf die er schon länger drängt. Auch im Regierungsabkommen ist davon die Rede, dass die Schaffung einer Regelung zur Überwachung von verschlüsselten Nachrichten im Internet geprüft werden soll. Derzeit hinke man hier ausländischen Diensten hinterher, so Karner, der den Koalitionspartner bis dato aber nicht von der Idee überzeugt hat. Die Grünen wiesen darauf hin, dass der VfGH die Überwachung von Computersystemen mittels "Bundestrojaner" bereits 2019 gekippt hat.

Personal-Entscheidungen: Grüne und ÖVP uneinig 

Nicht zuletzt stehen Personalia-Entscheidungen an. Schwierigkeiten macht offenbar die Besetzung der Leitung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG), können sich ÖVP und Grüne doch seit mehr als einem Jahr nicht auf eine Person verständigen. Auch muss Österreich ein Mitglied für die EU-Kommission entsenden, gute Karten haben wohl Europaministerin Edtstadler und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP).

Viele Projekte sind allerdings bereits umgesetzt, betonen Regierungsmitglieder doch immer wieder, ihr Regierungsprogramm abzuarbeiten. So einigte sich die Koalition vor weniger als einem Monat mit der SPÖ auf ein Informationsfreiheitsgesetz und somit auf die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Geschafft ist auch die Neuaufstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das nach einer Razzia im Februar 2018 mit Vertrauensverlusten auf internationaler Ebene zu kämpfen hatte. Die neue Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) gibt es seit Ende 2021.

Kalte Progression wurde abgeschafft 

Geschichte ist die Kalte Progression. Die Steuerstufen werden nun an die Teuerung angepasst, damit Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit den jährlichen Lohnerhöhungen nicht mehr in höhere Steuerstufen rutschen. Das Thema Klima, das sich durch das gesamte Regierungsprogramm zieht, stand im Mittelpunkt der ökosozialen Steuerreform, die u.a. die CO2-Bepreisung und den Klimabonus brachte.

Ebenso hat sich die Regierung einen neuen Finanzausgleich und damit ein neues Übereinkommen über die Verteilung der Steuergelder zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vorgenommen. Im Zentrum des von heuer bis 2028 geltenden Pakts steht ein Zukunftsfonds, der jährlich mit gut einer Milliarde Euro dotiert ist und über den - ohne Sanktionsmöglichkeit - Vorgaben in den Bereichen Elementarpädagogik, Wohnen und Klimaschutz erreicht werden sollen.

Aus dem Fonds, aber auch aus anderen Quellen sollen auch die Mittel für den im Regierungsprogramm festgeschriebenen Ausbau der Kinderbetreuung stammen - insgesamt werden bis 2030 4,5 Milliarden Euro investiert. Auch mit der Gesundheitsreform - ebenfalls mit dem Finanzausgleich paktiert - sind Vorhaben umgesetzt worden. So werden etwa die Gründung von Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten vereinfacht, die Gesundheitsberatung 1450 ausgebaut und Wahlärzte ab 2026 zur Teilnahme am E-Card-System verpflichtet. Die Pflegereform bringt etwa die Einführung einer Pflegelehre und Vereinfachungen bei der Nostrifikation.
 

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