Österreich hat in mehr als 30 Jahren keinen einzigen Nazi-Verbrecher zur Rechenschaft gezogen.
Das Simon Wiesenthal Zentrum Jerusalem hat in seinem zum heutigen Holocaust-Gedenktag erschienen Jahresbericht 2017/18 Österreich wegen mangelnder Anstrengungen NS-Verbrecher zu bestrafen kritisiert. Den Einsatz der deutschen Justiz gegen NS-Verbrecher in den vergangenen Jahren würdigte das Zentrum demgegenüber.
In Österreich sei 2011 die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz gebildet worden. Diese Arbeitsgruppe sollte mutmaßliche NS-Verbrecher ermitteln und die 526 öffentlichen Gerichtsakten mit Bezug zu NS-Verbrechen umfassend durchforsten. Erneut seien positive Ergebnisse ausgeblieben. Ein Zwischenbericht der Forschungsstelle, der für Mitte 2011 angekündigt gewesen sei, sei nach wie vor nicht erschienen, geschweige denn ein für 2012 avisierter Abschlussbericht.
Nazi-Verbrecher
"Derartige umfassende Untersuchungsbemühungen wären ganz besonders wünschenswert, bedenkt man, dass Österreich in den vergangenen drei Jahrzehnten keine Holocaust-Täter mehr zur Verantwortung gezogen hat. Trotz einer großen Zahl an Verdächtigen hat Österreich in mehr als 30 Jahren keinen einzigen Nazi-Verbrecher für Verbrechen an Juden während des Holocaust bestraft", kritisiert das Wiesenthal Zentrum, das seit seiner Gründung 1977 für die weltweite Suche nach untergetauchten Nazi-Verbrechern und Kollaborateuren bekannt ist.
Schlechte Noten bekamen neben Österreich auch Länder wie Norwegen, Schweden, Litauen und die Ukraine. In Deutschland habe es demgegenüber im Berichts-Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 31. März 2018 "erhebliche Fortschritte" gegeben". Schon seit knapp einem Jahrzehnt gebe es in Deutschland eine "dramatische Veränderung" in der Strafverfolgung von NS-Verbrechern, heißt es in dem Bericht. Seit dem Urteil gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk 2011 bestehe die deutsche Justiz nicht mehr auf dem oft unmöglichen Nachweis individueller Schuld. Es reicht der Beweis, dass eine Person in einem Nazi-Todeslager oder in den Einsatzgruppen gedient hat.
Viele Verbrecher noch immer am Leben
Durch die längere Lebenserwartung und die gute medizinische Versorgung sei es möglich, auch ältere NS-Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen, betonte das Wiesenthal Zentrum. Dies gelte vor allem für Länder wie Deutschland und Österreich. Dort lebten die meisten Personen, die während des Zweiten Weltkriegs Verbrechen begangen hätten.
Im Berichts-Zeitraum habe Kanada einem ehemaligen Mitglied der Einsatzgruppe D die Staatsangehörigkeit entzogen. Helmut Oberlander, der am Massenmord an Juden in der südlichen Ukraine beteiligt gewesen sein soll, hat die Entscheidung inzwischen angefochten. In Deutschland seien in dem Zeitraum drei Klagen eingereicht worden und in Polen ein Auslieferungsgesuch. Seit Anfang 2001 habe es damit insgesamt 105 Verurteilungen von NS-Verbrechern gegeben, die meisten davon in Italien (46) und in den USA (39). In dem Zeitraum sei in 105 Fällen Anklage erhoben worden.