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Unsere Tiere

Tragödie auf Sylt: Was der Tod des Zwergwals uns lehrt

Am Morgen des 5. Juni 2025 entdeckten Spaziergänger am Strand von Rantum (Sylt) ein verendetes Zwergwal-Weibchen.  

Um Schaulustige fernzuhalten und das Risiko einer durch Faulgase ausgelösten Explosion zu vermeiden, wurde der vier bis fünf Tonnen schwere Kadaver zunächst in die Dünen verbracht, dann per Kran auf einen Lkw geladen und in die Tierkörperbeseitigungsanlage Jagel gebracht. Dort entnimmt ein Team der Medizinischen Hochschule Hannover Gewebeproben, um das Tier auf Umweltgifte, Infektionen und innere Verletzungen zu untersuchen.

Bereits am Fundort stach ein dickes Polypropylenseil ins Auge, das sich mitsamt einer Krebsreuse fest um den Kopf des Wals geschlungen hatte. Fachleute der Schutzstation Wattenmeer gehen davon aus, dass sich das Tier in der Leine verhedderte, nicht mehr richtig auftauchen konnte und schließlich ertrank – ein klassischer Entanglement-Fall.

Der Vorfall ist kein Einzelfall: Im Februar lag vor Hörnum ein Pottwal, im Mai strandete ein Buckelwal in St. Peter-Ording, ein weiterer Zwergwal wurde auf Minsener Oog gefunden. Die Häufung zeigt, dass die Nordsee für Großwale längst kein risikofreies Durchzugsgebiet mehr ist.

Warum sterben Wale in der Nordsee?

Verhedderung in Fischereigerät

Schottische Studien schätzen, dass sich allein vor Großbritannien jährlich bis zu 30 Zwergwale tödlich in Hummer- und Krabbenleinen verfangen. Die Nordsee nutzt ähnliche Fangmethoden; die Fangleine um den Sylter Fund bestätigt das Risiko eindrücklich.

Kollisionen mit Schiffen

Die Nordsee gehört zu den weltweit am dichtesten befahrenen Seegebieten. Eine globale Analyse zeigt, dass nur etwa sieben Prozent der Hochrisiko-Zonen über Schutzmaßnahmen wie Tempolimits verfügen. Propellerverletzungen, Knochenbrüche und innere Blutungen sind typische Befunde bei Obduktionen gestrandeter Wale.

Unterwasserlärm und militärisches Sonar

Seit dem berühmten Bahamas-Massenstranding 2000 ist belegt, dass mittelfrequentes Sonar Panikfluchten und teilweise Hirnblutungen auslösen kann. Ein nautik-medizinisches Team kam damals zum Schluss, dass Navy-Sonar der „plausibelste Auslöser“ gewesen sei. In der flachen Nordsee können Schallwellen besonders leicht zwischen Boden und Oberfläche gefangen werden und Tiere desorientieren.

Nahrungsmangel durch Klimawandel

Steigende Wassertemperaturen verschieben Schwarmfische wie Heringe und Sandaale nach Norden. Forschende sprechen bereits von einer „Habitat-Squeeze“ für Krill und Zooplankton, die wiederum die ganze Nahrungskette betrifft. Auf der Suche nach Beute dringen Zwerg- und Buckelwale immer häufiger in küstennahe, aber risikoreiche Gewässer vor.

Krankheiten, Parasiten und Umweltgifte

Polychlorierte Biphenyle (PCB) und verwandte Schadstoffe liegen in vielen Nordsee-Cetaceen weiter über toxischen Grenzwerten. Die Gifte schwächen Immunsystem und Stoffwechsel; selbst moderate Stressoren wie leichte Verletzungen oder kurze Fastenperioden können dann tödlich enden. Hinzu kommen episodische Virus- oder Parasitenausbrüche, die Orientierung und Tauchreflex beeinträchtigen.

Was geschieht mit dem Kadaver?

Nach Abschluss der Sektion wird der Körper ordnungsgemäß entsorgt; einzelne Barten und Knochen sollen als Lehrmaterial dienen. Für die Wissenschaft ist jeder Kadaver eine Datenquelle: Nur wenn Todesursachen systematisch dokumentiert werden, lassen sich Trends erkennen und politische Gegenmaßnahmen ableiten – von seillosen Fangsystemen bis zu Geschwindigkeitsbegrenzungen in sensiblen Seegebieten.

Unsere Tiere – Das große oe24.TV-Tierschutzmagazin von Sonntag, 15.05.2025, hier in voller Länge sehen. Nächste Ausgabe Unsere Tiere: 22.06.2025, 18:30 Uhr     

Zwerg-, Buckel- und mittlerweile sogar Pottwale kehren vermehrt in die Nordsee zurück – ein Erfolg jahrzehntelanger Schutzbemühungen. Doch ihr Comeback macht die Schwächen eines Menschenmeeres deutlich, in dem Schifffahrt, Fischerei und Rohstoffgewinnung um Platz konkurrieren. Der tragische Fund von Sylt erinnert daran, dass technische Lösungen längst existieren: sinkende Reusenleinen, seillose Fallen, verpflichtende Tempolimits und lärm¬ärmere Schiffsmotoren. Jeder umgesetzte Baustein senkt das Risiko, dass Nordseestrände zur Endstation wandernder Meeressäuger werden.

Wale sind weit mehr als imposante Giganten der Meere – sie sind Schlüsselarten, die ganze Ökosysteme stabilisieren. Mit jedem tiefen Tauchgang pumpen sie nährstoffreiches Wasser an die Oberfläche und düngen so gewaltige Phytoplankton-Teppiche, die wiederum rund die Hälfte unseres globalen Sauerstoffs produzieren. Ihre Kadaver – sogenannte „Whale Falls“ – werden am Meeresboden zu Oasen des Lebens, an denen über Jahrzehnte hinweg unzählige Organismen gedeihen. Selbst im Tod binden Wale beträchtliche Mengen Kohlenstoff im Ozean und verlangsamen so den Klimawandel. Indem wir sie schützen, schützen wir daher auch die unsichtbaren Lebensadern des Planeten.

Möge jeder gestrandete Wal uns daran erinnern, dass unsere Verantwortung dort beginnt, wo seine geheimnisvolle Welt die unsere berührt.

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