Wahl-Analyse

Wahlkampf: Blanker Hass

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Polit-Berater Wolfgang Rosam analysiert den aktuellen Wahlkampf.

Es geht nur um Emotionen. Ja, es ist der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten. Und der „Gegner“, den man angreift, wird nicht danach ausgesucht, bei wem noch die meisten Stimmen zu lukrieren sind, sondern es geht nur um Emotionen. So schonen die Roten die Grünen und vice versa, obwohl dort der größte Wähleraustausch stattfinden wird.

Alle gegen Kurz. Die Neos – als moderne Schwarze – gehen wiederum nicht gegen die Roten vor, sondern gegen Türkis, als wäre deren Programm das schlimmste. Alle gegen Kurz ist längst klar, aber die Intensität und Skrupellosigkeit dieser Schlacht überrascht dennoch sehr. Wir alle vermissen die großen Themen, dafür serviert man uns eine Verbalattacke nach der anderen und es regiert in den Funktionärsreihen der blanke Hass.

Frust und alte Rechnungen

Hass der 2. und 3. Reihe. Am stärksten sind diese Hassgefühle in den zweiten und dritten Reihen von SPÖ auf der einen Seite und Türkis auf der anderen Seite ausgeprägt. Während erfahrene Genossinnen zwar auch aus ihrer Enttäuschung und ihrem Frust gegenüber Sebastian Kurz keinen Hehl machen, darf man in dieser Gruppe zumindest davon ausgehen, dass in der Stunde der Entscheidung – nach der Wahl – Koalitionsvernunft und Gestaltungswille obsiegen könnten. Nicht jedoch in den Chargen darunter. In der roten Funktionärsebene geht es nicht mehr um Animosität gegen Sebastian Kurz, sondern um tiefste Aversion und Ablehnung.

Kurz als Antichrist schlechthin. Der Alt-Kanzler ist für viele rote Wahlkämpfer und Sympathisanten der Antichrist schlechthin. Umgekehrt, bei den Türkisen, sieht es nicht viel anders aus. Dort herrscht die Parole: „Regieren mit wem auch immer, nur nicht mit den Roten!“ Das ist übrigens nicht nur Bierzelt-Stimmung, sondern auch vorherrschende Meinung bei vielen Unternehmern und Managern. Sie fürchten eine rote Regierungsbeteiligung wie der Teufel das Weihwasser, vor allem, weil sie den SPÖ-Granden misstrauen und ihnen jeglichen Reformwillen absprechen.

Türkis-grüne Träume

Die Wunschkoalition. Für viele ÖVPler in den Funktionärsreihen kristallisiert sich immer mehr eine Wunschkoalition heraus, die – sollte es sich ausgehen – aus einem türkis-grünen Traum besteht. Selbst eine Dreier-­Koalition, gemeinsam mit Grün und Neos, ist für etliche Schwarze das immer noch geringere Übel, als sich erneut mit den Roten ins Bett zu legen.

Westgrüne ticken anders. Dabei wird gerne übersehen, dass die Westgrünen, etwa in Tirol und Salzburg, ziemlich anders ticken als die Wiener Grünen – oder die Frage: Hat Werner Kogler seine Parteibasis im Griff? Aber auch zwischen Türkis und Neos herrscht längst keine große Sympathie mehr. Meinl-Reisingers Verbalattacken, die Bestellung von Helmut Brandstätter und die Verleugnung von Gemeinsamkeiten lassen bei der türkisen Führung keine freundlichen Gefühle mehr zu.

Vernunftheirat

»Das Netz« überschlägt sich. Trotz des permanent schwelenden Hasses in den unteren Rängen und vor allem in den sozialen Medien – „das Netz“ überschlägt sich diesbezüglich ja geradezu –, gibt es auch nicht unwesentliche mahnende Stimmen, die auf den gewaltigen Reformbedarf der Republik in den ganz großen Themen wie Pflege, Pensionen, Bildung, verweisen und eine „große Koalition“, d. h. Türkis und Rot, als die beste Variante erachten. Sie führen ins Treffen, dass sich die beiden Streitparteien gegenseitig durchaus Gutes tun könnten: So würde die SPÖ neue Wege aus ihrem Migrationsdilemma finden und die Kurz-Partei mithilfe der SPÖ ihr soziales Manko aufmöbeln können.

Wer wird an roter Spitze stehen? Entscheidend wird wohl sein, wer vonseiten der SPÖ Ansprechpartner für Sebastian Kurz nach dem 29. September sein wird. Ist es Rendi-Wagner, stehen die Chancen für eine Neuauflage von Schwarz-Rot durchaus gut, wenngleich es dann eine Vernunftheirat, aber niemals eine Liebesheirat wäre.

Erkenntnis gegen Blau

Stenzel und Mischkultur. Was sich in den letzten ­Tagen bei den türkisen Machern – nicht zuletzt durch Ausritte wie jene von Ursula Stenzel oder dem „Mischkultur“-Rülpser – herauskristallisiert, ist eine immer größer werdende Unlust, es nochmals mit dieser instabilen, unberechenbaren blauen Truppe zu versuchen.

Handzahm und streichelweich. Einerseits weiß man, dass die Blauen – sieht man von Kickl ab – handzahm und streichelweich auf der Regierungsbank wären, andererseits ist sich die Kurz-Riege auch längst darüber bewusst geworden, dass mit dieser Partei, die in Europa mit Orbán, der AfD, Marine Le Pen und hierzulande mit den Rechtesten der Rechten im Bett liegt, in Zukunft weder Image noch Staat zu machen ist.

Aber: „Gegessen“ ist diese Ratio emotional noch lange nicht.

Wolfgang Rosam führt die Agentur Rosam, Grünberger, Change Communications und ist auf politische Beratung und Lobbying spezialisiert.

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