Bulgarien

Borissow will Wahl annullieren lassen

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GERB-Partei will in Patt-Situation Minderheitsregierung stellen.

Die GERB-Partei (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens), Wahlsiegerin bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag, will den Urnengang annullieren lassen. Das erklärte Parteichef und Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow am Donnerstag auf seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl in Sofia. "Noch heute oder spätestens morgen werden wir uns an das Verfassungsgericht wenden, um die Wahlen wegen des Stimmzettel-Skandals am Vorabend des Votums für ungültig erklären zu lassen", sagte Borissow.

Ermittler hatten am Tag vor der Wahl in einer privaten Druckerei 350.000 angeblich gefälschte Stimmzettel beschlagnahmt - sie wurden bei der Auszählung freilich nicht berücksichtigt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur BGNES unterhält der Druckereibesitzer enge Verbindungen zu Borissow. Oberstaatsanwalt Sotir Zazarow erklärte, dass die 350.000 Wahlzettel völlig legitime Stimmzettel seien - die Druckerei hatte einen legitimen Vertrag zum Druck von Wahlzetteln. Jedoch befanden sie sich zur möglichen Auslieferung in einem nicht gesicherten und nicht bewachten Lagerraum in der Druckerei. Demnach konnte zunächst nicht vollständig geklärt werden, ob die Wahlzettel zum Zwecke der Manipulation gedruckt worden waren.

Der Ex-Premier hatte damals prophezeit, dass sich die Manipulationsvorwürfe der Staatsanwaltschaft als "Lüge" herausstellen würden. Borissow warf der Staatsanwaltschaft vor, mit Publikmachung des Vorfalls einen Tag vor der Wahl samt Wirbel in der Zeit der Wahlruhe seine Partei um "fünf bis sechs Prozent" gebracht zu haben.

Wie Borissow am Donnerstag sagte, wäre es für Bulgarien besser, Neuwahlen anzuberaumen, weil die Patt-Situation im Parlament zu keiner stabilen Regierung führen könne. Die GERB will angesichts einer fehlenden Mehrheit im Parlament ein Minderheitskabinett vorschlagen, deren Unterstützung und Stabilität allerdings offen ist. "Wir wissen, dass es keine Aussicht auf Erfolg gibt, aber wir schulden es unseren Wählern, die uns als stärkste Parlamentskraft gewählt haben", begründete Borissow.

Die zentrale Wahlkommission hatte am Mittwochabend die offiziellen Wahlergebnisse bekannt gegeben. Sie bestätigen das politische Patt zwischen den Lagern. Stärkste Fraktion im Parlament ist die GERB mit 30,5 Prozent geblieben, gefolgt von ihrem politischen Gegner, den Sozialisten (BSP), mit 26,6 Prozent der Stimmen. Der Interessensvertreter der türkischen Minderheit DPS erzielte 11,2 Prozent, die Nationalisten von Ataka 7,3 Prozent.

Die Sitzverteilung im 240-köpfigen Parlament erlaubt damit keine einfache Regierungsbildung. Die GERB-Partei entsendet 97 Abgeordnete ins neue Parlament. Eine als wenig wahrscheinlich geltende Koalition mit den Nationalisten von Ataka, die als kleinste Fraktion über 23 Abgeordnete verfügen werden, käme nur auf insgesamt 120 Sitze und somit auf exakt die Hälfte der Abgeordneten im Parlament. Die Sozialisten haben als zweitstärkste Parlamentskraft 84 Sitze. Sie streben eine Koalition mit der DPS (Bewegung für Rechte und Freiheiten) an, die 36 Abgeordnete ins Parlament schickt. Dadurch erreicht keine der momentan als möglich geltenden Koalitionen eine parlamentarische Mehrheit, um eine Regierung bilden zu können.

Der stellvertretende GERB-Vorsitzende Zwetan Zwetanow gab schon gestern bekannt, seine Partei strebe als Wahlsiegerin eine Minderheitsregierung an. Die Sozialisten bezeichneten sich als "moralische Gewinner"; man wolle politische Verantwortung übernehmen, eine "Programmregierung" mit der Türkenpartei mit parlamentarischer Unterstützung von Ataka zu bilden. Ataka-Chef Wolen Siderow erklärte, eine Koalition mit der GERB-Partei, deren Regierung unter Borissow nach Massenprotesten wegen hoher Strompreise, Armut und Kritik am Politsystem zurückgetreten war, sei unmöglich.

Laut Verfassung muss der Präsident zunächst die stärkste Parlamentskraft mit der Regierungsbildung beauftragen. Sollte sie scheitern, bekommt die zweitstärkste Fraktion den Regierungsauftrag. In einem dritten und letzten Anlauf muss das Staatsoberhaupt das Mandat an eine dritte, jedoch nicht unbedingt die drittstärkste Parlamentskraft überreichen. Nach einem Scheitern muss der Staatspräsident das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen.

Laut bulgarischer Verfassung sind der Staatspräsident, der Generalstaatsanwalt oder mindestens 48 Parlamentsabgeordnete berechtigt, einen Antrag auf Wahlannullierung an das Verfassungsgericht zu richten. Die Verfassung sieht zudem keine Frist für einen Entscheid vor. Generalstaatsanwalt Sotir Zazarow betonte im Staatsradio sogleich, dass er die Wahl nicht beeinspruchen werde: "Mit unserer Operation am Samstag haben wir verhindert, dass die fraglichen Stimmzettel bei den Parlamentswahlen zum Einsatz kommen." Auch Staatspräsident Rossen Plewneliew lehnte ab: "Bulgarien braucht eine funktionierende Regierung und keine Neuwahlen", zitierte ihn BGNES. Ferner kann der Antrag auf Wahlannullierung laut den Regelungen erst nach der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments eingereicht werden.

Ex-Innenminister Zwetanow bestätigte bei Borissows Pressekonferenz unterdessen, dass er bei der konstituierenden Parlamentssitzung einen Antrag auf die Aufhebung seiner politischen Immunität einreichen werde. Damit will er offensichtlich der Staatsanwaltschaft, die gegen ihn in einer Abhöraffäre ermittelt, zuvorkommen. Zwetanow wird vorgeworfen, zahlreiche hochrangige Politiker und Unternehmer rechtswidrig bespitzelt zu haben, einschließlich Staatspräsident Plewneliew und EU-Krisenschutzkommissarin Kristalina Georgiewa (Georgieva). Zudem werde er kein Mitglied einer eventuellen künftigen Regierung der GERB sein, sagte Zwetanow.

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