Ära von Merkel zu Ende

Corona-Kampf hat für Scholz oberste Priorität

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Scholz ist der vierte SPD-Kanzler in der Geschichte der deutschen Bundesrepublik.

Die Ära der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ist nach 16 Jahren vorbei. Der Bundestag hat am Mittwoch in Berlin den Sozialdemokraten Olaf Scholz zum Kanzler einer rot-grün-gelben Regierung gewählt. Er und seine 16 Ministerinnen und Minister erhielten danach von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunden. Bereits am Abend tagte das neue Kabinett zum ersten Mal. Scholz versprach in Interviews einen entschlossenen Kampf gegen die Pandemie.

Die neue Bundesregierung werde alles tun, um die Impfquote im Land zu steigern, sagte Scholz dem Fernsehsender "Welt" in seinem ersten Interview als Kanzler. Zugleich trat er dem Eindruck entgegen, dass Deutschland in der Pandemie gespalten sei. "Die Gesellschaft ist nicht gespalten", so Scholz mit Blick auf die vergleichsweise kleine Zahl von Impfgegnern. In der ARD bekräftigte er den Plan, ab Februar oder März eine Impfpflicht einführen zu wollen. Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach nannte bei seiner Amtsübernahme ebenfalls den Kampf gegen das Coronavirus als wichtigste Aufgabe. "Wir werden so lange Boostern und Impfen, bis wir die Pandemie zu einem Ende gebracht haben", sagte er.

Die Christdemokratin Merkel übergab ihr Amt am Nachmittag an ihren sozialdemokratischen Nachfolger. In der geheimen Wahl im Bundestag waren 395 der 707 abgegebenen Stimmen auf Scholz entfallen. Es gab 303 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen. Drei Stimmen waren ungültig. Scholz übertraf die Kanzlermehrheit von 369 Stimmen deutlich, doch fehlten ihm mindestens 15 Voten aus den Reihen von SPD, Grünen und FDP. Die Ampel-Parteien verfügen im Parlament über 416 Mandate - 47 mehr als die sogenannte Kanzlermehrheit. Sechs Abgeordnete der drei Fraktionen nahmen nach deren Angaben nicht an der Abstimmung teil, etwa weil sie krank waren.

Scholz ist der vierte SPD-Kanzler in der Geschichte der deutschen Bundesrepublik - nach Willy Brandt (1969-1974), Helmut Schmidt (1974-1982) und Gerhard Schröder (1998-2005). Die CDU stellte vier Kanzler - Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Helmut Kohl - und mit Merkel die erste und einzige Kanzlerin des Landes.

Scholz sprach im Bundestag die im Grundgesetz festgelegte Eidesformel: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde." Der SPD-Politiker - und später sieben seiner Ministerinnen und Minister - verzichteten auf den Zusatz "So wahr mir Gott helfe".

Steinmeier sagte bei der Überreichung der Ernennungsurkunden, die neue Regierung habe sich "viel Fortschritt, viel Reform und viel Veränderung vorgenommen". Veränderung treffe die Erwartungen und wecke die Hoffnungen der einen. Bei anderen aber schüre sie auch Unsicherheit und Zweifel. "Die Mehrheit hat Ihnen ein Mandat für mutige Schritte des Wandels gegeben. Aber: Wer mutig vorangeht, wird Sorge dafür tragen, dass die weniger Starken Schritt halten können, dass die Menschen, für die Veränderung Verlust bedeutet, auch Neues gewinnen können."

Der deutsche Bundespräsident erinnerte die Ampel-Koalition auch an ihre außenpolitische Verantwortung. Deutschland sei keine abgelegene Insel, sagte er. "Die Welt schaut auf unser Land. Die Erwartungen an Deutschland sind groß. Unsere Verlässlichkeit und unser Einstehen für Regeln und Zusammenarbeit, für die liberale Demokratie und für das vereinte Europa, für den Frieden und unsere Sicherheit im Bündnis, all das wird Ihnen viel Zeit und Mühe abverlangen."

Bei der Übergabe des Kanzleramts wünschte Merkel Scholz "immer eine glückliche Hand". Sie wisse, dass er mit großer Motivation an die Arbeit gehe. "Und deshalb: Nehmen Sie dieses Haus in Besitz und arbeiten Sie mit ihm zum Besten unseres Landes." Scholz bescheinigte Merkel, Deutschland "geprägt" zu haben. "Das war eine große Zeit, in der Sie Kanzlerin dieses Landes waren, und Sie haben auch Großartiges bewegt." In der ZDF-Sendung "Was nun?" erklärte Scholz später, dass er sich auch weiterhin mit der Kanzlerin über Politik austauschen wolle.

Parallel fand in vielen Ministerien an diesem Mittwoch bereits die Übergabe an die neuen Amtsinhaberinnen und -inhaber statt. Weitere Amtsübergaben, etwa die des bisherigen Finanzministers Scholz an seinen Nachfolger Christian Linder (FDP), sind für diesen Donnerstag angesetzt. Das neue Kabinett traf sich am Abend bereits zu seiner ersten Sitzung. Nähere Informationen gab es dazu zunächst nicht.

Merkel hatte in der Früh die Kanzlerwahl auf der Gästetribüne des Bundestags verfolgt. Als sie bei der Eröffnung der Sitzung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) begrüßt wurde, standen die Abgeordneten - mit Ausnahme der AfD-Parlamentarier - auf und klatschten stehend Beifall.

SPD, Grüne und FDP haben ihren 177 Seiten starken Koalitionsvertrag unter das Leitmotiv "Mehr Fortschritt wagen" gestellt. Sie wollen unter anderem die Mietpreisbremse für Neuvermietungen verlängern und auf angespannten Wohnungsmärkten Mieterhöhungen in bestehenden Mietverhältnissen begrenzen. Stromkunden sollen durch den Wegfall der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms Anfang 2023 entlastet werden. Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Ampel will den öffentlichen Nahverkehr stärken und den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen.

Es wird ein neues Bauministerium geben, dem Wirtschaftsministerium wird der Klimaschutz zugeschlagen. Im kommenden Jahr will die Ampel-Koalition wegen der andauernden Pandemie nochmals neue Kredite aufnehmen, ab 2023 dann aber die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wieder einhalten. Neue Steuern oder Steuererhöhungen soll es nicht geben. Kommunen mit hohen Altschulden sollen entlastet werden.

In der neuen Regierung stellt die SPD sieben Ministerinnen und Minister: Wolfgang Schmidt (Kanzleramtschef), Karl Lauterbach (Gesundheit), Hubertus Heil (Arbeit und Soziales), Nancy Faeser (Innen), Christine Lambrecht (Verteidigung), Klara Geywitz (Bau) und Svenja Schulze (Entwicklung). Für die Grünen sind im Kabinett: Annalena Baerbock (Außen), Robert Habeck (Wirtschaft und Klimaschutz), Anne Spiegel (Familie), Steffi Lemke (Umwelt) und Cem Özdemir (Agrar). Habeck ist auch Vizekanzler. Die Kabinettsmitglieder der FDP sind: Christian Lindner (Finanzen), Volker Wissing (Verkehr), Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung).

Baerbock startete bereits am Mittwochabend ihre erste Auslandsreise, die sie zunächst nach Paris führen sollte. Danach wollte sie die EU-Hauptstadt Brüssel sowie Polen besuchen. Außenminster Alexander Schallenberg (ÖVP) gratulierte der Grün-Politikerin via Twitter zu ihrer Angelobung.

Scholz erhielt zahlreiche internationale Glückwünsche, angeführt von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, US-Präsident Joe Biden und den EU-Spitzenvertretern Ursula von der Leyen (Kommission), Charles Michel (Rat) und David Sassoli (Parlament). Die meisten Äußerungen waren dabei mit Dank an die langjährige Kanzlerin Merkel verbunden. So nannte der britische Premier Boris Johnson sie eine "Titanin der internationalen Diplomatie". Guterres würdigte das "Einfühlungsvermögen und die Führungsstärke", die Merkel in der Flüchtlingskrise gezeigt habe.

Aus Österreich kamen Glückwünsche etwa von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der SPÖ-Bundesparteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) wünschte der neuen deutschen Regierung auf Twitter viel Erfolg bei der Umsetzung ihrer gemeinsamen Vorhaben.

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