Um Zwangsehe zu entgehen:

Ein Schwur machte Mädchen zum Mann

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In Albanien leben die letzten Mannfrauen.

Shkurta Hasanpapaj war 16 Jahre alt, als sie verheiratet werden sollte. Wollte sie ihrer Familie in dem abgelegenen Dorf im Norden Albaniens keine Schande bereiten, blieb nur ein Ausweg, um der Zwangsehe zu entgegen: Sie musste zum Mann werden. Vor den Dorfältesten schwor sie, sexuell enthaltsam zu leben, nie zu heiraten und keine Kinder zu bekommen.

Von einem Tag auf den anderen änderte sich Hasanpapajs Leben. Plötzlich war sie den Männern der streng patriarchalen Gesellschaft gleichgestellt und wurde zum Oberhaupt ihrer Familie. Seither sind fast 70 Jahre vergangen und Hasanpapaj lebt immer noch als Mann. Ihre kurzen weißen Haare lugen unter einer Schirmmütze hervor und sie bittet, mit der männlichen Form ihres Namens angesprochen zu werden. "Alle, die mich mögen, nennen mich Shkurtan, wer mich ärgern will sagt Shkurta", erzählt Hasanpapaj.

Eingeschworene Jungfrauen

In der Zeit der Herrschaft Enver Hoxhas leitete Hasanpapaj den Ortsverband der kommunistischen Partei und führte eine Brigade von 50 Bauern an. "Ich war ganz schön hart", erinnert sie sich. Heute lebt Hasanpapaj in einem Hospiz in der Stadt Shkodra.

Frauen wie Hasanpapaj heißen in Albanien "virgjinesha", eingeschworene Jungfrauen. Das Phänomen der Frauen, die als Männer leben, hat in Albanien und anderen Balkanländern eine lange Tradition. Heute gibt es jedoch nur noch einige wenige in Albanien.

Das Konzept der "virgjinesha" geht auf einen mittelalterlichen Kodex zurück. Demnach können Frauen als Mann leben, wenn kein anderer Mann zur Verfügung steht, der die Familie führt. Oder um auf friedliche Weise einer arrangierten Ehe zu entgehen. Weist eine Frau einen Bewerber ab, konnte das ansonsten zu einer Generationen währenden Blutfehde zwischen den beiden Familien führen.

Arbeiten, Rauchen, Raki trinken

Eingeschworene Jungfrauen dürfen arbeiten gehen, rauchen, Raki trinken, Hosen tragen und Familienentscheidungen treffen - Dinge, die den Frauen in den nordalbanischen Bergen lange verwehrt waren. Mit Homosexualität habe das Phänomen der Mannfrauen nichts zu tun, erklärt die britische Anthropologin Antonia Young, die ein Buch über die eingeschworenen Jungfrauen geschrieben hat.

"Als virgjinesha musst du nicht mit gesenktem Haupt Essen servieren", sagt Djana Rakipi, die aus der abgelegen Region Tropoja im Norden Albaniens stammt und heute an der Küste in Durres lebt. Die 62-Jährige trägt Krawatte und eine Militärkappe, raucht Kette und freut sich, wenn der Hafenaufseher sie "Boss" nennt.

Akt der Befreiung

Ihr Schwur, als Mann zu leben, sei ein Akt der Befreiung gewesen, sagt Rakipi. Die Alternative wäre ein Leben in Unterwürfigkeit, mit schwerer Hausarbeit und ohne jegliche Selbstbestimmung gewesen. "Es war schwierig für eine Frau, am Leben teilzuhaben", sagt Rakipi. "Frei zu sein war ein Tabu." In ihrem Leben als Mann war sie Soldat und brachte den Rekruten bei, Kalaschnikows zusammenzubauen. Später arbeitete sie bei der Polizei.

"Im Kommunismus war ich immer als Mann anerkannt", sagt Rakipi. Bedauert sie es, auf eine Partnerschaft, Sex und Kinder verzichten zu müssen? "Das ist mir scheißegal", sagt Rakipi. "Ich liebe die Natur und die Sonne. Was für eine Liebe kann größer sein als diese?"

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